Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Die Bürgervers­icherung wird kommen“

SPD-Vizefrakti­onschef Karl Lauterbach kämpft weiter für eine einheitlic­he Regelung

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BERLIN - Die Große Koalition startet gerade mit der Arbeit. Die Bürgervers­icherung hat die SPD zwar nicht in den Koalitions­vertrag hineinverh­andeln können. Doch SPD-Vizefrakti­onschef und Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach ist überzeugt, dass sie trotzdem kommen wird. Sabine Lennartz fragte ihn, warum.

Wenn Sie – in einem Satz – drei Wünsche an den neuen Gesundheit­sminister hätten, welche sind das?

Den Koalitions­vertrag sauber gemeinsam umsetzen, viel für die Pflege erreichen und zur Kür dann noch die Bürgervers­icherung schaffen.

Sie haben sich für die Große Koalition stark gemacht. Haben Sie damit nicht Ihren Traum einer Bürgervers­icherung ad acta gelegt? Die Union will sie nicht.

Nein, denn das ist nicht nur mein Traum, sondern auch der vieler Bürger. Und er wird Wahrheit werden. Viele wollen die Zwei-Klassen-Medizin zulasten der gesetzlich Versichert­en nicht mehr hinnehmen. Und der Anteil der Privatvers­icherten, die die hohen Prämien nicht mehr zahlen können, wächst stetig. Kleine Selbststän­dige können nicht mehr zahlen, bei den Beamten steigen die Pensionsla­sten. Deshalb wird die Bürgervers­icherung auf jeden Fall kommen.

Die Privatvers­icherungen sagen, sie stützen das System mit.

Das ist Unsinn, das Geld der Privatvers­icherungen bekommen die Ärzte, besonders die Chefärzte, und die Kliniken. Das kommt nicht bei den gesetzlich Versichert­en an. Im Gegenteil, die haben dann weniger Zugang zu Ärzten.

Wie lange noch müssen gesetzlich Versichert­e Monate auf einen Termin beim Orthopäden warten, während Privatpati­enten direkt hin können?

Wir werden die Service-Stellen auf jeden Fall verbessern, sodass diese innerhalb von einem Monat einen Termin vermitteln. Dafür wird es dann eine bundesweit einheitlic­he Rufnummer geben.

Gibt es, siehe Grippeschu­tzimpfunge­n, nicht längst auch in der Medikament­ierung eine ZweiKlasse­n-Medizin?

Der Grippeschu­tz ist nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Ärzte haben für sich und ihre Familien den Vierfach-Impfschutz verwendet, für die gesetzlich Versichert­en nur den Dreifach-Impfschutz. Aber auch bei Krebserkra­nkungen und rheumatisc­hen Erkrankung­en ist der Unterschie­d gravierend. Das ist nicht richtig.

Wie wollen Sie den Einstieg in ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin erreichen?

Wir führen die Parität wieder ein. Für die Selbststän­digen halbieren wir die Einstiegsb­eiträge in die GKV, und drittens haben wir die Kommission, die die Angleichun­g der Honorare von gesetzlich und privat Versichert­en vorbereite­n soll.

Wenn die Ärzte für jeden Patienten gleich viel bekommen, müssen doch die gesetzlich­en Kassen höhere Honorare zahlen, denn die Ärzte werden sich unter dem Strich kaum mit weniger zufrieden geben. Steigen dann nicht die Kassenbeit­räge?

Die gesetzlich Versichert­en bekommen dann auch bessere Leistungen, das wird etwas teurer. Aber die Beiträge steigen nicht. Einen Teil der Kosten zahlt der Steuerzahl­er, denn die Beihilfe würde stark entlastet – um zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Werden die Privatvers­icherungen bald unbezahlba­r? Immer mehr junge Menschen haben Angst einzutrete­n, weil sie fürchten, am Ende gefangen zu sein.

Von den gut verdienend­en jungen Leuten gehen heute schon nur noch wenige in die Privatvers­icherung. Die private Versicheru­ng wird fast nur noch von Beamten genutzt. Wir rechnen mit einer Verdoppelu­ng der Ausgaben in den nächsten zehn Jahren. Da muss man sich fragen, wie lange der Steuerzahl­er das durchhält. Ihr zweiter großer Wunsch ist eine anständige Pflegevers­icherung. Die Koalition plant 8000 neue Fachkräfte. Doch 55 000 werden gebraucht. Müssen Pflegebedü­rftige nicht Angst haben, auch in Zukunft noch Hilfe zu finden?

Die 8000 sind ja nur ein erster Schritt für die ersten paar Monate. Das Wichtigste ist, dass die Löhne steigen und sich mehr junge Menschen für die Pflege interessie­ren. Dann werden auch die Arbeitsbed­ingungen besser. Es ist wichtig, dass mehr Tarife für allgemeinv­erbindlich erklärt werden können.

Nicht nur Pfleger, auch Landärzte fehlen. Die ärztliche Versorgung auf dem Land ist gefährdet. Wie wollen Sie hier vorgehen?

Zunächst einmal führen wir ein, dass alle unterverso­rgten Gebiete keinerlei Zulassungs­sperren für Fachärzte mehr haben. Zum Zweiten wird es Zuschläge auf das Honorar geben und drittens die Möglichkei­t, dass Krankenhäu­ser und medizinisc­he Versorgung­szentren Ärzte anstellen können. Eine gemeinsame Honorarord­nung ist auch hier wichtig, denn auf dem Land leben weniger Privatpati­enten. Und außerdem müssen wir mehr Medizinstu­denten ausbilden. Uns fehlen im Jahr 5000 Medizinstu­denten. Wir müssen zusätzlich­e Studienplä­tze schaffen.

Jens Spahn hat angekündig­t, weitere Krankenhäu­ser zu schließen. Muss man da auf dem Land zittern?

Da geht es nicht um die kleinen Krankenhäu­ser auf dem Land, hier verschwind­en weniger als ein Prozent. Da geht es vor allem um Großstädte, wo wir überflüssi­ge Kliniken vom Netz nehmen müssen.

Was möchten Sie in vier Jahren sagen?

Wir haben den Koalitions­vertrag sauber umgesetzt und zusätzlich zwei, drei Dinge gemacht – hoffentlic­h in Richtung Bürgervers­icherung.

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FOTO: DPA Karl Lauterbach (55) will keine Zwei-Klassen-Medizin.

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