Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Geprägt durch NPD-Auftritt im „Adler“in Laichingen
Teil vier der Serie: Der erfolgreiche Rechtsanwalt Wolfgang Betz aus Laichingen im Interview
LAICHINGEN - Auf viele Menschen, die 1968 und in den folgenden Jahren in den Strudel der politischen Ereignisse gerieten, hatte diese Zeit einen für ihr Leben prägenden Einfluss. Dazu gehört auch der in Berlin ansässige Rechtsanwalt Wolfgang Betz, der aus Laichingen stammt. Unsere Mitarbeiterin Gabriele Reulen-Surek hat mit ihm gesprochen.
Lieber Wolfgang Betz. Wie kamen Sie aus dem doch eher beschaulichen Laichingen zur Politik?
Ich erinnere mich, dass ich schon als Schüler interessiert war. Bekanntlich gab es bei Landtagswahlen in BadenWürttemberg 1968 über neun Prozent für die NPD. In diesem Zusammenhang fand eine NPD-Veranstaltung im Gasthaus Adler in Laichingen statt. Dort wollte man uns den Zutritt verwehren weil wir, eine kleine Gruppe von Schülern, schon als kritisch bekannt waren.
Und? Wurden Sie dann ausgeschlossen?
Nach einer kurzen Rangelei durften wir in den Saal.
Sie haben dann gleich nach dem Abitur angefangen zu studieren?
Ja, ich habe kurz gejobbt und dann in Berlin mein Studium angefangen. Für mich war immer klar, dass ich Jura studieren werde. Das hing mit der Scheidung unserer Eltern zusammen. Alle legten meiner Mutter damals – 1962 – Knüppel in den Weg. Das waren nicht nur Teile der Verwandtschaft, auch der offizielle Weg war so. Es gab ein „Sühneverfahren“vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht. Da war ein Staatsanwalt dabei und meine Mutter hat sich von den Juristen immer nur gedemütigt gefühlt. Alle redeten ihr nur zu, ihren Scheidungsantrag fallen zu lassen. Erst in Stuttgart vor dem Oberlandesgericht geriet sie an einen sehr rechtsstaatlich gesinnten Richter, der ihr Mut machte. Es war der damalige Präsident des OLG Stuttgart, Richard Schmid, ein ehemaliger Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. All diese Erfahrungen haben bei mir dazu geführt, dass ich Rechtsanwalt werden wollte, um auch einfachen Menschen ohne Geld helfen zu können.
Wie war Ihre erste Zeit in Berlin?
Es war für mich alles sehr beeindruckend, weil ich sofort mit politischen Auseinandersetzungen sehr direkt konfrontiert wurde. In meinem Fachbereich, den Juristen, wurde viel über Studienreform diskutiert. Ich selber habe dann jahrelang Unipolitik gemacht. Über drei oder vier Jahre war ich Mitglied im Akademischen Senat der Freien Universität (FU) Berlin. Im Fachbereich Jura war ich studentischer Vertreter und im ersten Konzil der FU, wo man den Präsidenten Kreibich wählte. Er war der erste Universitätspräsident, der nicht Professor war. Dies war nach einer Reform möglich. Das war eine ganz interessante Zeit, die erste Phase, mit der man eine Hochschulreform begonnen hatte.
Ich erinnere mich aber aus meiner Berliner Zeit etwa um 1970, dass es auch beim Präsidenten Kreibich Protestaktionen der Studenten gab.
Ja. Wir waren zu der Zeit ziemlich radikal, und jemand wie Herr Kreibich erschien uns zu sehr auf Kompromisse aus. Mit ihm haben wir nur punktuell zusammengearbeitet. 1977 habe ich das erste Staatsexamen gemacht. Ich hatte am Ende des Studiums einen heftigen Konflikt. Es gab damals mehrere Streiks an der Uni. Ich schrieb schon an meiner Examenshausarbeit und schaute mehr aus Neugier im sogenannten Streikcafé vorbei. Dort wollte ein mir aus dem Akademischen Senat bekannter Professor seine Vorlesung halten, was ihm wegen des Streiks nicht gelang. Er erkannte mich und veranlasste aufgrund meiner Anwesenheit in seinem Hörsaal ein sogenanntes Ordnungsverfahren gegen mich. Als ich dann nach erfolgreich abgelegtem Staatsexamen mein Referendariat antreten wollte, wurde ich als „Verfassungsfeind“abgelehnt. Nach einer Klage durch mich wurde ich in einem besonderen Rechtsverhältnis angestellt, so dass ich die Ausbildung beenden konnte.
Wie ging es dann weiter?
Wie eingangs gesagt, wollte ich eigentlich immer Rechtsanwalt werden. Dann gab es eine Diskussion, ob man als Linker nicht Richter werden sollte. Das kam für mich dann aber nicht mehr in Frage, da ich keine Chancen im Öffentlichen Dienst gehabt hätte. Besonders traurig war ich darüber nicht. Geärgert hat mich daran eben nur, dass ich als „Verfassungsfeind“abgestempelt wurde.
Warum?
Wir hatten eben eine ganz andere Vorstellung von unserer Verfassung. Wir wollten nicht das Grundgesetz bekämpfen, sondern wir hatten einfach eine andere Rechtsauffassung. Wir zweifelten zum Beispiel die Rechtmäßigkeit der Berufsverbote in Bezug auf die in unserem Grundgesetz garantierten Rechte an. Das war ja alles umstritten. Ich habe mich dann sehr schnell als Anwalt niedergelassen und habe diese Schwierigkeiten hinter mir gelassen.
Haben Sie sich zuerst alleine niedergelassen?
Gleich von Anfang an habe ich in Bürogemeinschaft mit einem älteren bekannten Strafverteidiger zusammengearbeitet. Da habe ich überwiegend Strafrecht und ein wenig Arbeitsrecht gemacht. Finanziell vernünftig leben kannst du da aber als Strafverteidiger nur, wenn Wirtschaftskriminalität oder organisierte Kriminalität deine Schwerpunkte bilden. Deshalb suchte ich mir andere Schwerpunkte.
Das Arbeitsrecht?
Auch. Aber am Anfang hatte ich ein breit gefächertes Angebot an Verfahren. Im Laufe der ersten zehn Jahre meines Berufslebens habe ich mich quasi durch Ausschlussverfahren auf wenige Gebiete konzentriert. Die Spezialisierung auf Arbeitsrecht hat sich dann daraus ergeben.
Hat das mit Ihrer Sozialisierung in der Studentenzeit zu tun?
Auf jeden Fall. Politisch fand ich Auseinandersetzungen im Arbeitsrecht am interessantesten. Vor allem kollektives Arbeitsrecht, zum Beispiel Verfahren von Betriebsräten gegen Arbeitgeber, haben mich interessiert. Das betreibe ich bis heute. Wie hat der Kontakt zu Ihrem jüngeren Bruder Heinrich das beeinflusst?
Nun, mein Bruder kam kurz nach seiner Lehre als Einzelhandelskaufmann nach Berlin und wurde nach kurzer Zeit mit 21 Jahren Vorsitzender des Betriebsrats im Kaufhaus des Westens (KaDeWe) mit fast 3000 Mitarbeitern. Durch ihn erhielt ich viele interessante Einblicke und Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeberund Arbeitnehmervertretern. Das hat mir beruflich sehr geholfen.
Und heute? Wenn ich ins Internet schaue, führen Sie eine riesige Kanzlei in Berlin.
Riesig ist etwas übertrieben. Aber wir sind 13 Rechtsanwälte, also eine mittelgroße Anwaltskanzlei.
Wie kam das?
Wir haben von Anfang an immer alle als gleichberechtigte Partner angesehen. Erst in den vergangenen Jahren haben wir auch junge Kolleginnen und Kollegen als Angestellte übernommen. Im Prinzip sind wir in Berlin eine der bekannteren Kanzleien. Wir haben den Vorteil, dass sowohl der derzeitige Präsident der Berliner Anwaltskammer, Dr. Mollnau, als auch der langjährige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Dr. Dombek, und die renommierte Anwältin für Familienrecht, RaketeDombek, bei uns tätig sind.
Haben Sie immer nur Arbeitnehmer vertreten?
Ich bekomme immer wieder Anfragen von Arbeitgebern, aber in der Regel machen wir das nicht. Es kommt gelegentlich vor bei Bekannten. Wenn das mal passiert, dann werde ich vom Gericht ironisch gefragt, „Herr Betz, heute sind Sie ja auf der falschen Seite?“
Sie wurden von Focus zum achten Mal in der Rubrik „Die besten Arbeitsrechtsanwälte“für Berlin aufgeführt.
Ich weiß auch nicht, wie das zustande kommt. Die Methoden kenne ich nicht genau. Aber es wird schon etwas dran sein.
Wenn Sie den Bogen von 1969 bis heute ziehen, was ist für heute noch wichtig?
Was ich mitnehmen konnte, ist, dass wir eine klare Vorstellung hatten, von dem, was wir wollten. Wir wollten nicht nur einzeln tätig sein, sondern haben immer in Gemeinschaftskanzleien und in juristischen Organisationen gearbeitet, um so demokratischen Fortschritt zu erzielen. Ich war immer in der Vereinigung demokratischer Juristen. Früher konnte man sich gemeinsame Veranstaltungen von Juristenorganisationen und Gewerkschaften überhaupt nicht vorstellen. Heute ist das anders, eine Veränderung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Seit Ende der 70er Jahre haben sich Anwälte aus der Studentenbewegung zum Ziel gesetzt, für Rechte der Arbeitnehmer zu kämpfen. Und das hat sich gelohnt!