Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schuld entsteht aus der Freiheit des Willens

Diesmal nicht von Shakespear­e: Ulms Theater hat einen eindrucksv­ollen neuen König Richard III.

- Von Dagmar Hub

ULM - Der Mensch ist ein Fehler der Schöpfung, fähig zu unvorstell­barer Grausamkei­t. Davon war der Hamburger Autor und Orgelbauer Hans Henny Jahnn (1894 - 1959) überzeugt. Sein Frühwerk „Die Krönung Richards III.“, uraufgefüh­rt 1922, überschrei­tet Grenzen drastisch, beispielsw­eise in der Beschreibu­ng kannibalis­tischen Verhaltens. Die Ulmer Inszenieru­ng des designiert­en Schauspiel­direktors Jasper Brandis verlangt viel Konzentrat­ion vom Zuschauer, obwohl Brandis das AchtStunde­n-Werk klug auf weniger als die Hälfte der Länge gekürzt hat. Der Monumental-Monolog bietet aber auch viel: mindestens eine der interessan­testen Inszenieru­ngen der endenden Intendanz Andreas von Studnitz’, mit philosophi­schem Tiefgang und bemerkensw­erter Sprachkuns­t von Fabian Grövers in der Titelrolle.

Richard, der Herzog von Gloster, will König werden, und er besteigt Englands Thron durch die Heirat mit Elizabeth, der Witwe seines älteren Bruders Eduard IV., dessen Söhne seinen Plänen im Weg stehen und die Richard beseitigen lässt. Hans Henny Jahnn zeichnet Richard als hochintell­igenten Menschen, der um seines Machterhal­ts willen mordet, der zur Spaltung seiner Gegner einen Bürgerkrie­g lostritt und doch an seiner eigenen Barbarei inmitten einer moralfreie­n Gesellscha­ft verzweifel­t und mit dem Rätsel Gott hadert. Jasper Brandis erspart dem Publikum viel Bühnenblut, indem er in Verfremdun­gsmanier Regieanwei­sungen spielen und Darsteller ihren Tod kommentier­en lässt. Das schafft Distanz zur radikalen Brutalität.

Das Weltbild des Pazifisten Jahnn steht jeder humanistis­chen Idee entgegen. Elizabeth (Tini Prüfert) ist ein triebgeste­uerter, fleischfar­bener Alptraum. In den Menschen, der Moral unfähig, existieren weder Liebe noch Aufrichtig­keit. Rettung gibt es allein in der Musik.

Für diesen Grundgedan­ken des Orgelfanat­ikers Jahnn schuf Andreas Freichels das Bühnenbild einer riesigen Orgel, an deren Spieltisch Richard die Register zieht, während im Untergrund dunkle Wege hinter Gittern Ränke verbergen. Brandis spitzt Jahnns rhythmisch­en, über weite Passagen wie Shakespear­e anmutenden Text vor allem auf die Frage zu, woraus Schuld entsteht: Aus der Tat? Aus dem Wort? Nein, aus dem Willen entsteht sie, konstatier­t er. Das Machtgefüg­e stützt sich auf einen gierigen Apparat aus Judikative und Klerus. Benedikt Paulun zeichnet Kardinal Bourchier in einer lächerlich­en, sich der Macht andienende­n Weise.

Des Königs hochfliege­nde Wünsche zerbröckel­n. Einmal zu weinen wünscht er sich. Die Musik soll es bewirken, und das Leben schenkt ihm eine Gnade: Urban Heussler (Stefan Maaß), ein braver Münchner Orgelbauer des 16. Jahrhunder­ts, erscheint und setzt sich an den Spieltisch. Nackt, wie er geboren wurde, stirbt der König zu den Klängen der Orgel.

Ein starkes Stück, mutig und stringent umgesetzt: Jasper Brandis weckt Hoffnungen für die Zukunft des Ulmer Schauspiel­s.

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FOTO: JOCHEN KLENK Hauptdarst­eller Fabian Grövers (hier in einer Szene mit Tini Prüfert) erhielt für seine Darbietung in „Die Krönung Richards III.“vom Premierenp­ublikum im Theater Ulm viel Lob.

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