Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Reisender kommt an
Jasper Brandis wird im Sommer Schauspielchef am Theater Ulm
ULM - Jasper Brandis mag es, in Ulm anzukommen. „Man steigt aus dem Zug und sieht das Theater“, schwärmt er. Mit dem Zugfahren und dem Aussteigen kennt sich der 1971 geborene Brandis aus. Seit 1999 ist er als freischaffender Regisseur tätig, in Deutschland, wo er beispielsweise in Karlsruhe, Weimar, Göttingen und Heidelberg tätig war, aber auch in Belgien und Italien. Jahre der Freiheit, aber auch Jahre der Unsicherheit. Und Jahre des Unterwegsseins.
Jetzt aber bekommt er einen beruflichen Heimatbahnhof: Jasper Brandis wird zur neuen Spielzeit Schauspieldirektor in Ulm. Schon jetzt stemmt er für das Theater ein künstlerisch bemerkenswertes Projekt: Seine Inszenierung von Hans Henny Jahnns „Die Krönung Richards III.“hatte am Donnerstag Premiere.
Tatsächlich hängt Brandis’ jetziges Engagement in Ulm nicht mit seiner kommenden Tätigkeit zusammen. Es war der scheidende Intendant Andreas von Studnitz, der ihn fragte, ob er sich vorstellen könnte, Jahnns historische Tragödie auf die Bühne zu bringen – und ihm drei Tage Bedenkzeit gab.
Die braucht man auch, wenn es um einen Brocken wie „Die Krönung Richards III.“geht. Autor Jahnn (1894-1959) gilt als einer der großen Außenseiter der deutschen Literatur, einer, der gerühmt und verdammt, aber eher selten gelesen und gespielt wurde. Ein Künstler, der den Menschen für den größten Irrtum der Schöpfung hielt und jegliche Moral in Frage stellte. „Hans Henny Jahnn ist immer sehr spannend“, sagt Brandis. Schon weil seine Sprache „völlig irre“sei – was an dieser Stelle als Lob gemeint ist. Der Text fühle sich wie eine Partitur an, man spüre beim Zuhören den Rhythmus.
Die Vorlage ernst nehmen
Jasper Brandis ist ein Regisseur, der bei der Sprache ansetzt – und die Vorlage erst nimmt. Das bewies er auch schon in Ulm, wo er vor zwei Jahren Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“auf die Bühne brachte. Eine Inszenierung, in der eigenwillige, vom bayerischen Dialekt gefärbte Kunstsprache des Stückes leuchtete.
Doch nicht nur künstlerisch machte Brandis damals Eindruck, auch menschlich. Er ist ein bodenständiger Typ, einer, der lieber überzeugt als befiehlt, der sich für das einzelne Stück interessiert und nicht seinen Stil aufpropfen möchte. Aber auch ein Künstler, der viel von seinen Schauspielern verlangt: Sie sollen vor allem den Text sprechen lassen, und nicht den Inhalt durch übertriebenden Körpereinsatz oder „SoapNaturalismus“vermitteln.
In „Die Krönung Richards III.“ist genau das gefragt, und mit Fabian Gröver hat Brandis seinen Wunschdarsteller für die Hauptrolle bekommen. Er bekommt viel zu tun, denn das Stück ist in der von acht (!) auf gut drei Stunden gekürzten Fassung, wie es der Regisseur nennt, ein Monolog mit Gästen, konzentriert auf die Hauptfigur, die anders als bei Shakespeare, eben nicht nur der Superschurke ist.
Denn bei Jahnn ist der König ein Zweifler, der den Wahnsinn in seinen blutigen Taten und die Absurdität der gesamten Existenz erkennt, aber doch nicht ausbrechen kann. „Es ist alles in seinem Kopf“, sagt Brandis, und meint damit sowohl den des Königs als auch den des Autors. Das zeigt auch das von Andreas Freichels gestaltete Bühnenbild: eine riesige Orgel, angelehnt an ein von Jahnn selbst entworfenes Instrument. Jahnn war von Beruf Orgelbauer.
Einen ungewöhnlichen Lebenslauf hat auch Brandis. Denn er studierte Jura, bevor er sich ganz auf das Theaterleben einließ, zunächst als Regieassistent, dann als Regisseur. Vor ein paar Jahren hängte er den Beruf kurzzeitig an den Nagel – er habe versucht, seine Ehe zu retten, sagt er, leider ohne Erfolg.
Und nun macht er einen unerwarteten Karriereschritt: Der neue Intendant Kay Metzger, für den er auch schon in Detmold inszenierte, holt ihn für zunächst drei Jahre als Schauspielchef nach Ulm. In der Spielzeit 2018/19 wird er drei Produktionen verantworten, als erstes Schillers „Die Räuber“. Sehr zu seiner Freude: „Ich habe zunehmend Lust auf die klassischen Texte.“
Besonders für den Posten des Ulmer Schauspieldirektors qualifizieren dürfte ihn eher eine andere Eigenschaft: Er deckt die ganze Bandbreite ab, inszenierte in Detmold sogar den Nonnen-Klamauk „Non(n)sens“. Auch für abstraktere Positionen wie Elfriede Jelinek hat er etwas übrig.
Was er davon in Ulm realisieren kann, wird sich zeigen. Denn in einem kleinen Ensemble leiste man Akkordarbeit, sagt er. Aber das genügt ihm nicht: Er habe das Gefühl, dass an seiner neuen Wirkungsstätte Visionen bedeutender seien als die Pflicht. Dass man das Haus offener, gastlicher gestalten könne.
„Altes Geld“in Ulm
Brandis glaubt, dass die Ulmer viel für ihr Theater übrig haben. Es sei hier bürgerlich, aber nicht piefig. „Man spürt das alte Geld.“Daran könne er als Mann aus der Kaufmannstadt Hamburg gut anknüpfen, sagt er und lacht.
In Ulm wird er allerdings nur eine kleine Wohnung beziehen. Denn trotz der neuen Stelle: Jasper Brandis wird weiter reisen. Er wird auch in Zukunft vereinzelt an anderen Häusern als Gastregisseur arbeiten, vor allem aber hat er eine Freundin, die in Berlin lebt, und zwei Kinder in Hamburg. „Eine Bahncard 100 ist für mich eine gute Investition.“