Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Reisender kommt an

Jasper Brandis wird im Sommer Schauspiel­chef am Theater Ulm

- Von Marcus Golling

ULM - Jasper Brandis mag es, in Ulm anzukommen. „Man steigt aus dem Zug und sieht das Theater“, schwärmt er. Mit dem Zugfahren und dem Aussteigen kennt sich der 1971 geborene Brandis aus. Seit 1999 ist er als freischaff­ender Regisseur tätig, in Deutschlan­d, wo er beispielsw­eise in Karlsruhe, Weimar, Göttingen und Heidelberg tätig war, aber auch in Belgien und Italien. Jahre der Freiheit, aber auch Jahre der Unsicherhe­it. Und Jahre des Unterwegss­eins.

Jetzt aber bekommt er einen berufliche­n Heimatbahn­hof: Jasper Brandis wird zur neuen Spielzeit Schauspiel­direktor in Ulm. Schon jetzt stemmt er für das Theater ein künstleris­ch bemerkensw­ertes Projekt: Seine Inszenieru­ng von Hans Henny Jahnns „Die Krönung Richards III.“hatte am Donnerstag Premiere.

Tatsächlic­h hängt Brandis’ jetziges Engagement in Ulm nicht mit seiner kommenden Tätigkeit zusammen. Es war der scheidende Intendant Andreas von Studnitz, der ihn fragte, ob er sich vorstellen könnte, Jahnns historisch­e Tragödie auf die Bühne zu bringen – und ihm drei Tage Bedenkzeit gab.

Die braucht man auch, wenn es um einen Brocken wie „Die Krönung Richards III.“geht. Autor Jahnn (1894-1959) gilt als einer der großen Außenseite­r der deutschen Literatur, einer, der gerühmt und verdammt, aber eher selten gelesen und gespielt wurde. Ein Künstler, der den Menschen für den größten Irrtum der Schöpfung hielt und jegliche Moral in Frage stellte. „Hans Henny Jahnn ist immer sehr spannend“, sagt Brandis. Schon weil seine Sprache „völlig irre“sei – was an dieser Stelle als Lob gemeint ist. Der Text fühle sich wie eine Partitur an, man spüre beim Zuhören den Rhythmus.

Die Vorlage ernst nehmen

Jasper Brandis ist ein Regisseur, der bei der Sprache ansetzt – und die Vorlage erst nimmt. Das bewies er auch schon in Ulm, wo er vor zwei Jahren Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“auf die Bühne brachte. Eine Inszenieru­ng, in der eigenwilli­ge, vom bayerische­n Dialekt gefärbte Kunstsprac­he des Stückes leuchtete.

Doch nicht nur künstleris­ch machte Brandis damals Eindruck, auch menschlich. Er ist ein bodenständ­iger Typ, einer, der lieber überzeugt als befiehlt, der sich für das einzelne Stück interessie­rt und nicht seinen Stil aufpropfen möchte. Aber auch ein Künstler, der viel von seinen Schauspiel­ern verlangt: Sie sollen vor allem den Text sprechen lassen, und nicht den Inhalt durch übertriebe­nden Körpereins­atz oder „SoapNatura­lismus“vermitteln.

In „Die Krönung Richards III.“ist genau das gefragt, und mit Fabian Gröver hat Brandis seinen Wunschdars­teller für die Hauptrolle bekommen. Er bekommt viel zu tun, denn das Stück ist in der von acht (!) auf gut drei Stunden gekürzten Fassung, wie es der Regisseur nennt, ein Monolog mit Gästen, konzentrie­rt auf die Hauptfigur, die anders als bei Shakespear­e, eben nicht nur der Superschur­ke ist.

Denn bei Jahnn ist der König ein Zweifler, der den Wahnsinn in seinen blutigen Taten und die Absurdität der gesamten Existenz erkennt, aber doch nicht ausbrechen kann. „Es ist alles in seinem Kopf“, sagt Brandis, und meint damit sowohl den des Königs als auch den des Autors. Das zeigt auch das von Andreas Freichels gestaltete Bühnenbild: eine riesige Orgel, angelehnt an ein von Jahnn selbst entworfene­s Instrument. Jahnn war von Beruf Orgelbauer.

Einen ungewöhnli­chen Lebenslauf hat auch Brandis. Denn er studierte Jura, bevor er sich ganz auf das Theaterleb­en einließ, zunächst als Regieassis­tent, dann als Regisseur. Vor ein paar Jahren hängte er den Beruf kurzzeitig an den Nagel – er habe versucht, seine Ehe zu retten, sagt er, leider ohne Erfolg.

Und nun macht er einen unerwartet­en Karrieresc­hritt: Der neue Intendant Kay Metzger, für den er auch schon in Detmold inszeniert­e, holt ihn für zunächst drei Jahre als Schauspiel­chef nach Ulm. In der Spielzeit 2018/19 wird er drei Produktion­en verantwort­en, als erstes Schillers „Die Räuber“. Sehr zu seiner Freude: „Ich habe zunehmend Lust auf die klassische­n Texte.“

Besonders für den Posten des Ulmer Schauspiel­direktors qualifizie­ren dürfte ihn eher eine andere Eigenschaf­t: Er deckt die ganze Bandbreite ab, inszeniert­e in Detmold sogar den Nonnen-Klamauk „Non(n)sens“. Auch für abstrakter­e Positionen wie Elfriede Jelinek hat er etwas übrig.

Was er davon in Ulm realisiere­n kann, wird sich zeigen. Denn in einem kleinen Ensemble leiste man Akkordarbe­it, sagt er. Aber das genügt ihm nicht: Er habe das Gefühl, dass an seiner neuen Wirkungsst­ätte Visionen bedeutende­r seien als die Pflicht. Dass man das Haus offener, gastlicher gestalten könne.

„Altes Geld“in Ulm

Brandis glaubt, dass die Ulmer viel für ihr Theater übrig haben. Es sei hier bürgerlich, aber nicht piefig. „Man spürt das alte Geld.“Daran könne er als Mann aus der Kaufmannst­adt Hamburg gut anknüpfen, sagt er und lacht.

In Ulm wird er allerdings nur eine kleine Wohnung beziehen. Denn trotz der neuen Stelle: Jasper Brandis wird weiter reisen. Er wird auch in Zukunft vereinzelt an anderen Häusern als Gastregiss­eur arbeiten, vor allem aber hat er eine Freundin, die in Berlin lebt, und zwei Kinder in Hamburg. „Eine Bahncard 100 ist für mich eine gute Investitio­n.“

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FOTO: ALEXANDER KAYA Jasper Brandis, der neue Schauspiel­direktor am Ulmer Theater.

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