Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kein Lebenslauf wie aus dem Lehrbuch

Bewerber können Lücken heute auch ehrlich und selbstbewu­sst zu ihrem Vorteil nutzen

- Von Pauline Sickmann

Lücken und Brüche im Lebenslauf sind schlecht. Mit ihnen zeigen die Bewerber Schwäche – und jeder Arbeitgebe­r sucht doch belastbare Mitarbeite­r. Wer also Familienan­gehörige gepflegt hat, krank oder einfach mal auf Reisen war, hat keine Chance mehr auf den Traumjob. Das sind die gängigen Vorurteile gegenüber Lücken im Lebenslauf. Lange galt der Grundsatz, dass diese zu vermeiden sind. Doch das ist heute nicht mehr so: „Authentizi­tät ist wichtiger als ein glatt geschliffe­ner Lebenslauf wie aus dem Lehrbuch“, sagt Katharina Herrmann vom Bundesverb­and für Personalma­nager (BPM). „Als Personaler­in möchte ich wissen: Wie geht der Bewerber mit der Ausnahmesi­tuation um?“

Deshalb können Bewerber Lücken im Lebenslauf zu ihrem Vorteil nutzen, erklärt Jutta Boenig von der Deutschen Gesellscha­ft für Karrierebe­ratung (DGfK). Sie rät: „Bewerber sollten zur Lücke stehen. Mit einem selbstbewu­ssten Umgang können sie ihr Gegenüber beeindruck­en.“

Allerdings sollte man die Lücken und Brüche möglichst positiv auslegen. Eine freiwillig genommene Auszeit wie eine Reise lässt sich dabei natürlich besonders leicht verkaufen. „Man hat die Gelegenhei­t beim Schopf ergriffen und sich einen lang ersehnten Traum erfüllt“, schlägt Boenig als Erklärung vor. Schwierige­r ist dagegen, Lücken wegen Arbeitslos­igkeit oder gesundheit­lichen Problemen positiv darzustell­en. Ein Weg: Sie als Neuorienti­erung interpreti­eren und den Fokus darauf legen, die Krise überwunden zu haben.

Eventuell lässt sich so auch zeigen, dass man besonders großes Interesse an seinem Fachgebiet hat. „Wer sich auch während der Auszeit zum Beispiel über Fachartike­l auf dem Laufenden gehalten hat, sollte das auch deutlich machen“, sagt Boenig. Selbst mit kurzen Weiterbild­ungen im Netz können Bewerber Engagement und Begeisteru­ng demonstrie­ren.

Um Unklarheit­en und unangenehm­e Situatione­n während der Bewerbung von Beginn an zu vermeiden, sollte man die Lücken bereits im Lebenslauf nennen. Auf keinen Fall sollten Bewerber eine längere Pause verschleie­rn oder Erfahrunge­n erfinden, sagt Katharina Herrmann. Viele Bewerber fürchten sich, mit einer Lücke schlecht dazustehen. Dabei sind einige Monate Arbeitslos­igkeit meist überhaupt kein Problem. „Der Personaler kennt den Arbeitsmar­kt schließlic­h gut. Er kann abschätzen, ob diese Zeit für die Arbeitssuc­he realistisc­h ist. Und auch familiäre Ausnahmesi­tuationen kennt jeder.“

Kleines Kompetenzi­nterview

Intime Details der Krankheits­geschichte oder der Familiensi­tuation interessie­ren sie als Personaler­in dagegen nicht. „Ich sehe die Fragen nach Lücken im Lebenslauf eher wie ein kleines Kompetenzi­nterview: Der Bewerber kann zeigen, wie er mit schwierige­n Situatione­n umgeht. Daraus kann sich ein super Bewerbungs­gespräch entwickeln.“

Allerdings rät Herrmann Bewerbern auch, die Karten offen auf den Tisch zu legen – Herausford­erungen inklusive. „Wenn jemand kleine Kinder zu Hause hat oder seine Eltern pflegt, sind flexible Arbeitszei­ten oder eine verringert­e Stundenanz­ahl manchmal nötig. Das möchte ein Unternehme­n von Anfang an wissen.“Schließlic­h sei niemandem geholfen, wenn nach den ersten Wochen herauskomm­t, dass die Arbeitsbed­ingungen nicht passen. „Besser ist es, so etwas sofort anzusprech­en und gemeinsam eine Lösung zu finden.“

Den Grund für den lockeren Umgang mit Lücken sieht Wirtschaft­spsycholog­in Annette Kluge von der Ruhr-Universitä­t Bochum unter anderem im Fachkräfte­mangel. „Den Unternehme­n wird immer mehr bewusst, dass sich die Bewerber die Unternehme­n aussuchen können.“Dadurch verringert sich der Druck auf Kandidaten, perfekte Lebensläuf­e zu präsentier­en. Außerdem müssen Zwanzigjäh­rige heute voraussich­tlich sehr lange arbeiten und sich gleichzeit­ig früh auf eine Fachrichtu­ng festlegen – ohne zu wissen, ob die wirklich passt. „Da kann man doch jeden Bruch oder eine Phase der Neuorienti­erung durchaus verstehen“, sagt Kluge.

Gleichzeit­ig nehmen sich immer mehr junge Leute schon früh Auszeiten, um sich ehrenamtli­ch zu engagieren oder zu reisen. „Einen wesentlich­en Beitrag hat außerdem die Elternzeit für Väter geleistet. Es wird damit immer natürliche­r und normaler, auch mal eine Auszeit für die Familie zu nehmen.“Das sieht Kluge sehr positiv. „Je mehr junge Leute in den Unternehme­n nachrücken, die solche Erfahrunge­n mit Lücken selber gemacht haben, umso mehr – so hoffe ich jedenfalls – wertschätz­en und verstehen sie diese Lücken auch bei Bewerbern.“(dpa)

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FOTO: ROBERT GÜNTHER Brüche im Lebenslauf können Bewerber auch zu ihrem Vorteil nutzen.

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