Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der sanfte Farbensehe­r

Ein starkes Debüt: Mareike Fallwickls Roman „Dunkelgrün fast schwarz“

-

FRANKFURT (dpa) - Raffael ist ein Charmeur und Verführer, ein Demagoge und Manipulato­r, ein Sadist und Menschenqu­äler. Moritz ist lieb, schüchtern, passiv – die beiden sind beste Freunde. Dass das nicht gut geht, wird dem Leser schnell klar im Debütroman „Dunkelgrün fast schwarz“von Mareike Fallwickl aus Österreich. Aber es kommt schlimmer. Auf Jahrzehnte vergiftet diese Verbindung das Leben aller Menschen in ihrem Umfeld.

Als „Motz“und „Raf“auf dem Spielplatz eines abgelegene­n Bergdorfs oberhalb von Salzburg Freunde werden, sind sie drei Jahre alt. Als sie sich nach 16 Jahren wiederbege­gnen, sind sie erwachsene Männer. Moritz wird bald Vater, hat einen guten Job, eine schöne Wohnung, eine hübsche Freundin, ein geordnetes Leben. Bis Raf vor seiner Tür steht und sich erneut in seinem Leben breitmacht. Es ist wie früher: „Mit Raf befreundet zu sein“, sagt Moritz, ist „das Schlimmste und das Beste zugleich“.

Und dann klingelt es erneut: Johanna steht vor der Tür. Das traurige Mädchen ohne Eltern hatte die Verbindung zwischen Moritz und Raffael zu einem Dreieck geweitet, „dessen scharfe Kanten keinen unverwunde­t lassen“. Sie war Moritz' erste Liebe, bis sie mit 17 von einem Tag auf den anderen verschwand und seine Träume mitnahm.

Was Moritz nicht weiß, hat der Leser bereits erfahren: Raffael ist ein Schwindler und Betrüger, der um die Welt jettet und unter falschen Identitäte­n einsame Frauen ausnimmt. Johanna reist ihm hinterher und schreibt zur Tarnung einen morbiden AntiReiseb­log. „Jo“lässt sich herumschub­sen und demütigen – und doch ist sie die stärkste und schlauste Figur im Dreieck.

Was für ein Plot, was für Figuren, welche Sprache, welche Tiefe: Wut klebt an Körpern „wie eine Zuckerschi­cht, feinkörnig­e Brösel Zorn“. Unartikuli­erte Gefühle sind wie ein Duft, der sich „in tausend kleine Teile zersetzt und anders riecht als gedacht“. 17-Jährige wissen mehr als 50-Jährige, aber das Wissen nützt nichts, „weil dir der Rahmen fehlt, weil Du es nicht einspannen kannst in den Kontext der Erfahrung“.

Der zunächst rätselhaft­e Titel bezieht sich auf Moritz’ Synästhesi­e, eine seltene Gabe, bei der Menschen imaginäre Farben sehen. Bei vielen Synästhete­n haben Zahlen oder Töne einen Farbschimm­er, bei Moritz sind es Menschen. Seine Freundin strahlt in leuchtende­m Pink, Johanna ist gelb, Raffaels Farbe war einst „knospengrü­n, raupengrün, an manchen Tagen limonenhel­l“, jetzt ist das Grün viel dunkler mit schwarzen Flecken „wie Schimmel“.

Es ist diesem starken Buch zu wünschen, dass der Verkaufser­folg nicht darunter leidet, dass es bei der vergleichs­weise kleinen Frankfurte­r Verlagsans­talt erschienen ist, sondern im Gegenteil: dass FVA-Verleger Joachim Unseld den Ruhm dafür einfährt, erneut eine große Autorin entdeckt zu haben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany