Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Arbeiter verdrängen Überlastung
Peter Maile ist Baustellenseelsorger – Scharfe Worte beim Männervesper in Machtolsheim
MACHTOLSHEIM - Über „Jugendwahn und Altersteilzeit“sollte es beim Machtolsheimer Männervesper eigentlich gehen. Doch ein grippaler Effekt machte Referent Michael Brugger zu schaffen. Mit Baustellenseelsorger Peter Maile fand das Organisatoren-Team mehr als nur einen Ersatz. Auch vor den Haustüren der Laichinger Alb kümmert der Theologe sich um die Probleme, denen sich im belasteten und teils unwürdigem Arbeitsalltag von Tunnelbauern ansonsten wenige widmen.
Es wird häufig weg geschaut, wenn es um seelische Probleme von Berufstätigen in einer an Effizienz orientierten Arbeitswelt geht. Peter Maile hört zu, gibt Rat und streitet für Rechte von Arbeitnehmern auf der Großbaustelle des Stuttgart 21Projektes. Seine Arbeit ähnelt der von Michael Brugger, wenn er sich auch nicht als Experte für das Älterwerden in der modernen Arbeitswelt sieht. Einen Tipp gab der Seelsorger aber besonders den jüngeren der rund 100 anwesenden Männern mit auf den Weg: „Denken Sie in jungen Jahren daran: Diese Arbeit müssen sie auch in 20 oder 30 Jahren noch machen können.“Besonders auf dem Bau würden sich junge Arbeiter getrieben fühlen, ihre Schnelligkeit und Produktivität immer mehr steigern zu wollen. Die Erfahrungen von Peter Maile zeigen: Die Gesundheit leidet, Arbeiter verdrängen seelische Probleme und versuchen, Überbelastung zu verdrängen. Doch dieses Tempo über das komplette Berufsleben durchzuhalten, sei besonders auf dem Bau nicht möglich, so Peter Maile.
Rechte einfordern
Dort heiße es für den Seelsorger: Gespräche suchen, Rechte für die Handwerker einfordern und besonders: den Arbeitern nicht nur für ihre Arbeit wertzuschätzen, sondern besonders als Mensch. Und gerade die Wertschätzung sei es, die besonders Baustellenarbeitern nicht bis kaum entgegengebracht werde. Lohn und Anerkennung seitens Politik und Unternehmen seien gleichermaßen gering, was zu einem „Schmuddelecken-Image“der Baustelle in Deutschland führe. Denn was die Arbeiter des Großprojekts Stuttgart 21 beispielsweise betrifft, so würden die wenigsten Handwerker und Lastwagenfahrer noch aus Deutschland kommen. Besonders Menschen aus Osteuropa übernehmen die Arbeiten – eingestellt von deutschen Firmen. Die Unternehmen, so Peter Maile, „geben auf diese Menschen häufig leider überhaupt nichts.“Sie würden als Arbeitskräfte genutzt, notdürftig in Containern untergebracht und schlecht nach dem Entsendungsgesetz bezahlt. „Daher braucht es zumindest einmal ein europäisches Entsendegesetz mit dem Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch es sind noch nicht einmal Diskussionen darüber zu hören“, ärgert sich der Seelsorger und moniert: „Bei der Arbeit muss das Menschsein wieder im Mittelpunkt stehen. Arbeit hat ihren Wert, aber auch ihren Preis.“Deutsche Baustellenmitarbeiter werden immerhin nach Tariflohn bezahlt. Die Arbeitsbedingungen seien aber natürlich kaum anders. Besonders im Tunnelbau seien prekäre Beschäftigungsverhältnisse an der Tagesordnung. Minöre und Spezialisten sind von Projektmitarbeit abhängig – Zukunft ungewiss. „Das ist eine riesige Belastung, jederzeit fallen gelassen werden zu können, sobald ein Projekt abgeschlossen wird.“Der Alltag der Tunnelbaumitarbeiter ist von Dunkelheit, Staub, Nässe und auch Gefahren geprägt.
Unverständlichkeit kann Peter Maile nur den Unternehmen entgegenbringen, die aufgrund von Lohneinsparungen und Überbelastung der Arbeiter ihre Leistungen billiger anbieten wollen. „Das ist sogar wirtschaftlich unvernünftig. Schließlich brauchen wir auch für die Zukunft alle leistungsfähige und glückliche Arbeiter. Momentan werden die Menschen, die auf dem Bau arbeiten, verbrannt.“
Betriebsräte ohne Wirkung
Die Betriebsräte der meisten Unternehmen würden kaum Wirkung zeigen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Gewerkschaft „Bau“ist in Baden-Württemberg ohne Außenstelle vertreten und somit weitgehend machtlos. Die Politik sieht er in der Pflicht, für die Arbeitnehmer einzutreten, Voraussetzungen für Entlastungen zu schaffen und gegebenenfalls höhere Kosten und mehr Zeit für die Verwirklichung von Großprojekten in Kauf zu nehmen, wenn dadurch die Bedingungen auf den Baustellen verbessert werden könnten. Fortschritte diesbezüglich sehe er aber kaum.
Barbara ist Schutzpatronin
Resignieren will Peter Maile aber nicht. Er will hin zu den Menschen, zuhören, ablenken und eine Gemeinschaft unter den Angestellten aufbauen. Er organisiert Feste und hält Gottesdienste auf den Baustellen. „Barbara“ist die Schutzpatronin der Tunnelbauer, eine Figur, die für die Tunnelbauer eine große Rolle spielt. Verletzungen und gar Tote durch Stürze, Steine oder Vergiftungen durch Staub seien nicht unüblich. Die Tunnelbauer seien sich dieses Risikos bewusst, würden Schutz und Trost im Glauben suchen. Peter Maile sieht darin die Zukunft der Kirche: „Wir müssen zu den Menschen hingehen, unseren Platz bei deren Sorgen und Problemen suchen. Das Festhangeln an herkömmlichen Orten reicht nicht aus.“