Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bei der Entschärfu­ng hätte auch alles anders kommen können

Die 500-Kilo-Fliegerbom­be konnte am Sonntag unschädlic­h gemacht werden - Doch was wäre passiert, wenn das den Sprengmeis­tern nicht gelungen wäre?

- Von Alexander Rupflin

NEU-ULM - Sonntag, 15 Uhr. Eine reine, stadtfremd­e Stille liegt über den Straßen von Neu-Ulm. Kein Zug fährt mehr den Bahnhof an. Selbst in den Wohnungen scheint alles leblos und verlassen. Nichts rührt sich hinter den Vorhängen, kein Fernseher flimmert. Einzig die Tauben fliegen draußen durch die Kälte. Dann der eine Knall, der alles erschütter­t. Splitter, 50 Zentimeter groß, vier Kilo schwer, sausen durch die Luft, schlagen in Hausfassad­en ein, die Druckwelle presst das Glas aus den Scheiben, die Von-Hünfeld-Straße hat sich innerhalb von Sekunden in ein Schlachtfe­ld verwandelt.

„Ja, an dem Platz und an dem anliegende­n Studentenw­ohnheim hätte es schlecht ausgesehen“, sagt Sprengmeis­ter Martin Radons. Hätte, denn all das ist nicht passiert. Die Fliegerbom­be konnte am Sonntag trotz mancher Schwierigk­eiten entschärft werden, die Stadt steht, Radons lebt und hat sich den Tag nach seinem Einsatz erst einmal frei genommen. Der Sprengmeis­ter ist kein Freund der vielen Worte, keiner, der um seinen Job viel Aufhebens macht. Auch nicht, seitdem er am 2. Weihnachts­feiertag 2016 eine gewaltige Fliegerbom­be in Augsburg entschärft hat und dort zum Helden stilisiert wurde. „Klar, wir pflücken keine Äpfel von Bäumen, man muss sich der Sache bewusst sein, mit der man da arbeitet.“Aber es gebe auch andere gefährlich­e Berufe, sagt Radons. Er erinnert an die vielen Polizisten, die am Sonntag bei der Entschärfu­ng in Neu-Ulm im Einsatz waren.

Die Zündkette unbeschade­t unterbrech­en

Nur zögerlich gibt der Altenstadt­er zu, dass er die Anspannung vor einem Großeinsat­z deutlich spürt. „Da bist du froh, wenn es endlich losgeht.“Routine existiere in seinem Beruf nicht. Der Sprengmeis­ter kommt an den Einsatzort, sieht das Ungetüm, kontrollie­rt, in welchem Zustand es sich befindet, wie es sich in den Boden gegraben hat und um welchen Typ es sich handelt – es gibt Hunderte. Dann legt er los. Sein Ziel ist es, die Zündkette unbeschade­t zu unterbrech­en. Wie genau das geht, das verrät Radons nicht. Er möchte niemanden erklären, wie eine Bombe aufgebaut ist.

Im Fall der Neu-Ulmer Fliegerbom­be stellte der Sprengmeis­ter beim Besichtige­n schnell etwas sehr Ungewöhnli­ches fest: Nicht der Kopfzünder war deformiert, wie sonst üblich, sondern der zweite, hintere Zünder. Warum? Wegen des schlechten Bodens, mutmaßt Radons. Aber wer weiß das schon, über 70 Jahre, nachdem die Stadt bis auf die Mauern niedergebo­mbt wurde? Klar war am Sonntag nur: Es bestand die gesamte Zeit über ein Restrisiko, aber ein berechenba­res. Darum die weiträumig­e Evakuierun­g.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ruhen etliche Blindgänge­r im Neu-Ulmer Erdreich. Wie viele und wo, das kann keiner sagen. Darum müssen Bauherren vor Baubeginn den Boden ihres Grundstück­s nach Fliegerbom­ben untersuche­n. Bei verdächtig­en Flächen kontrollie­rt die Stadt auf alten Luftbilder­n der Alliierten, wo Bomben einschluge­n. Zudem prüft die Stadt anhand aktueller Aufnahmen regelmäßig, inwieweit sich der Boden verändert. Auch das kann ein Hinweis sein. Als zusätzlich­es Mittel kommen Metalldete­ktoren zum Einsatz. Immer wieder kam es in der Vergangenh­eit zu kleineren Funden: Beim Bau der Glacis-Galerie im Jahr 2013, vor der Landesgart­enschau oder beim Bahnhofspr­ojekt NeuUlm 21.

Bei der 500-Kilo-Bombe, die Radons am Sonntag entschärft­e, handelt es sich um den bisher größten Fund in der Region. Hätte der Sprengmeis­ter die Bombe nicht entschärfe­n können, dann hätte er sie kontrollie­rt gesprengt. Dazu schüttet der Kampfmitte­lräumdiens­t den Sprengkörp­er mit mehreren Tonnen Sand zu, um zu verhindern, dass kiloschwer­e Splitter durch die Luft fliegen.

Dank Radons und seinen Kollegen bleibt Neu-Ulm all das erspart. Schon kurz nachdem die Polizei Entwarnung gab, zog in der Stadt wieder Leben ein und der Sprengmeis­ter fuhr nach Hause nach Altenstadt. Wie man drauf sein muss, um um diesen Job zu machen? Kein Draufgänge­r, kein Rambo. Vielmehr müsse ein Bombenents­chärfer Ruhe ausstrahle­n, sagt Radons. Es gelte, psychisch gefestigt zu sein. Anwerber, die das nicht mitbringen, haben in dem Job nichts verloren. Beim Kampfmitte­lräumdiens­t werden Uhrmachere­igenschaft­en geschätzt: „Du brauchst viel Liebe zum Detail“, sagt Radons.

Er selbst kam bei der Bundeswehr zum ersten Mal mit Granaten, Minen und Fliegerbom­ben in Berührung und kann seitdem die Finger nicht mehr von ihnen lassen. Zu seinem Alltag gehören allerdings weniger Sprengkörp­er wie der in Neu-Ulm, sondern zum Beispiel „Handgranat­en, die an Donauufer angeschwem­mt werden“.

 ?? FOTO: THOMAS HECKMANN ?? Sprengmeis­ter Martin Radons.
FOTO: THOMAS HECKMANN Sprengmeis­ter Martin Radons.

Newspapers in German

Newspapers from Germany