Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Im Alltag trägt der Spatz Anzug

Der 47-jährige Jürgen Springer ist Jack, das Maskottche­n des SSV Ulm 1846 Fußball

- Von Gideon Ötinger

ULM - So fühlt es sich also an in einem riesigen Spatzenkop­f. Die Luft ist stickig, gegen die Stirn drückt ein Plastikrie­men und viel zu sehen gibt es auch nicht. Die beiden Augen werden durch ein schwarzes Kunststoff­netz verdeckt und was die Füße machen, lässt sich nur fühlen. Laufen als Lotteriesp­iel.

Jürgen Springer nimmt regelmäßig an dieser Lotterie teil. Der 47-Jährige ist Jack, das Maskottche­n des SSV Ulm 1846 Fußball. Ein Spatz mit Rasta-Locken, der bei Heimspiele­n im SSV-Trikot seine Runden durch das Donaustadi­on dreht. Gegen den SV Elversberg hat Springer vor kurzem sein 150. Pflichtspi­el im JackKostüm absolviert, inklusive Testspiele­n und einzelner Auswärtspa­rtien sind es mittlerwei­le fast 170. Mit einer Lotterie hat es aus seiner Sicht deshalb wenig zu tun, wenn er ins Rund des Donaustadi­ons tritt. „Da kenne ich jeden Stein.“Bis es so weit war, dauerte es über 30 Jahre.

Springer kommt aus Ostfildern in der Nähe von Stuttgart. Dass er überhaupt Fan des 80 Kilometer entfernten SSV Ulm wurde, hat er seinem Onkel, dem Ex-Freiburg-Profi Robert Piller, zu verdanken. Der hatte es eigentlich ganz anders geplant. Im Jahr 1979 nahm er seinen damals neun Jahre alten Neffen mit ins Ulmer Stadion. SSV Ulm gegen den SC Freiburg in der 2. Bundesliga Süd, wie die Spielklass­e damals hieß. Seine Motive waren klar: „Sein Wunsch war, dass ich Interesse am SC entwickle.“Gekommen ist es aber anders. Der Junge fing Feuer für den SSV. Was folgte, war eine klassische FanKarrier­e. Springer kickte bei sich zuhause in der Landesliga und schaute regelmäßig im Donaustadi­on vorbei. Eines Tages sagte er aber: „Ich möchte noch mehr machen.“

Verwalter des Fußballarc­hivs

Aus diesem „mehr“ist eine ganze Reihe von Aufgaben geworden. Jürgen Springer, der als Mediaberat­er in Stuttgart arbeitet, ist nicht nur Jack, er verwaltet auch das Archiv des Fußballver­eins. Von jedem Spiel versucht er, ein Andenken zu ergattern. Sei es ein Stadionhef­t, ein Trikot des Gegners oder irgendeine andere Erinnerung. Eines Tages würde er gerne ein SSV-Museum eröffnen, erzählt er. Alles, was er für den Verein macht, macht er ehrenamtli­ch, Geld bekommt er dafür keines. „Ich lebe den SSV.“Liebe sei es sowieso.

Als Kind dieser Liebe erblickte Ende 2008 die erste Version des Maskottche­ns das Licht der Welt. „Ich wollte dem Verein ein Gesicht geben“, erzählt Springer. Seinen Namen erhielt Jack wegen des Films „Fluch der Karibik“und des Piraten Jack Sparrow. Springer erzählt: „Sparrow heißt auf Deutsch Spatz. Da dachte ich mir, das passt doch.“Der Pirat ist auch der Grund, aus dem das Maskottche­n damals wie heute RastaLocke­n trug.

Sein Gesicht glich dem heutigen Jack aber nur bedingt. Aus seinem Schnabel ragten schiefe, scharfe Zähne und der Kopf wirkte konturlose­r als der Spatz, der heute durchs Donaustadi­on streift. Als das Kostüm mit der Zeit etwas abgenutzt war, musste „Jack II“her. 2013 war das.

Anders als sein Vorgänger entstand er nicht in Pakistan, sondern bei einem Maskottche­n-Bauer in Karlsruhe. Über 3500 Euro hat Springer dafür auf den Tisch geblättert. Aus eigener Tasche. Dafür hält er die Namensrech­te am Maskottche­n. Die Insolvenze­n des Vereins haben ihn vorsichtig werden lassen. Er wolle nicht, dass irgendjema­nd anderer als er über Jack entscheide­n könnte, sollte es zu einer neuen Insolvenz kommen. „Aber das wird eh nicht passieren“, ist er sich sicher.

Transport in einer Plastiktüt­e

Den Spatzenkör­per transporti­ert er in einer Plastikkis­te. Hose, Oberteil, Handschuhe, ein Trikot (Größe XXL) und vier paar übergroße Schuhe. Das Umziehen ist alles andere als ein einfaches Unterfange­n. Deshalb helfen ihm seine Frau Martina oder sein Freund Markus Engele dabei. Dann wird Springer zu Jack. Von den Fans wird er ohnehin nur so genannt – auch ohne Verkleidun­g.

Sie könnten sich gar nicht vorstellen, dass jemand anderes unter dem Spatzenkop­f steckt. „Mal in ein Kostüm reinschlüp­fen ist nicht das Thema“, sagt Springer. Man müsse mit Leib und Seele dahinterst­ehen. Die Einstellun­g braucht man, wenn man sich in seiner Freizeit an die Spieltage einer Fußballman­nschaft richten muss. Für ihn ist es aber kein Problem: „Ich kenne es mein Leben lang nicht anders.“Seine Frau, eine Handballer­in, steht dem in nichts nach. „Für uns wäre es ein Albtraum, sonntags zu einer Vernissage zu gehen“, erzählt Springer.

Als Stimmungsm­acher sieht er sich an den Spieltagen nicht. Vielmehr als Teil des Teams. In den Heimspiele­n wir klar, was er meint. Vor jedem Anstoß läuft er mit den Spielern ein und steht mit ihnen in der Spielertra­ube. Danach dreht er eine Runde durchs Stadion, klatscht mit den Fans ab und fiebert genauso beim Spiel mit wie sie. „Manchmal habe ich mehr Laufeinsat­z als mancher Spieler“, erzählt er lachend. Und manchmal zischt er auch in die Kabine ab und zieht sein Kostüm wieder aus, wenn er das Gefühl hat, die Spieler auf dem Platz geben nicht ihr Bestes. So viel Einsatz geben nicht viele. „Gibt’s mich nicht mehr, gibt’s auch keinen Jack mehr“, meint er. „Nicht in der Konsequenz.“

Wie lange er noch Jack sein wird? „Das kann ich nicht beantworte­n. Am liebsten ein Leben lang.“Für seine Nachfolge hat er aber schon eine potenziell­e Kandidatin. Seine knapp dreijährig­e Tochter wäre ja wirklich ein guter Spatz, sagt er.

„Da kenne ich jeden Stein.“Jürgen Springer, das das Maskottche­n des SSV Ulm 1846 Fußball zum Ulmer Donaustadi­on

 ?? FOTO: ANDREAS BRÜCKEN ?? In seinem Beruf als Mediaberat­er trägt der 47-jährige Jürgen Springer Anzug, zu den Heimspiele­n wird er im Ulmer Donaustadi­on zu Jack, dem Maskottche­n des SSV Ulm 1846 Fußball. Verkleiden kann er sich jedoch nicht allein, sein Freund Markus Engele...
FOTO: ANDREAS BRÜCKEN In seinem Beruf als Mediaberat­er trägt der 47-jährige Jürgen Springer Anzug, zu den Heimspiele­n wird er im Ulmer Donaustadi­on zu Jack, dem Maskottche­n des SSV Ulm 1846 Fußball. Verkleiden kann er sich jedoch nicht allein, sein Freund Markus Engele...
 ?? FOTO: HÖRGER ?? Hose, Oberteil, Handschuhe, ein Trikot (Größe XXL) und vier paar übergroße Schuhe – aus Jürgen Springer wird Jack.
FOTO: HÖRGER Hose, Oberteil, Handschuhe, ein Trikot (Größe XXL) und vier paar übergroße Schuhe – aus Jürgen Springer wird Jack.

Newspapers in German

Newspapers from Germany