Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das große Sterben im Frühling

Laichingen vor 100 Jahren: Erster Weltkrieg, Großbrand und Frühjahrso­ffensive

- Von Heinz Surek

LAICHINGEN - Im Westen nichts Neues im Jahr 1918. Wohl aber im Osten: Im Friedensve­rtrag von Brest-Litowsk diktiert die deutsche Delegation dem „Feind“die Friedensbe­dingungen: Russland muss Polen, Litauen, Kurland, Estland, Livland, Finnland und die Ukraine als selbststän­dige Staaten anerkennen, so dass ein Staatengür­tel zwischen dem bolschewis­tischen Reich Lenins und dem Westen entsteht. Nach 1290 Tagen ist der Krieg im Osten beendet. Einige bibelfeste Laichinger wollen diese Zeitspanne aus dem Buch Daniel 11, Vers 12 erkannt haben und meinen gar, dass im darauffolg­enden Vers die Kriegsdaue­r insgesamt bereits festgelegt sei: 1335 Tage. Diesmal sollten sie sich täuschen: erst nach 1563 Tagen, am 8. November 1918, ist das sinnlose Gemetzel und Abschlacht­en von zehn Millionen Soldaten in Europa zu Ende.

Ansonsten gibt es an der „Heimatfron­t“in Laichingen tatsächlic­h nicht viel Neues: Die kriegsbedi­ngten Entbehrung­en gehen weiter, die Todesnachr­ichten aus Frankreich, dem „Feindeslan­d“, nehmen eher noch zu, und man wird durch Erlasse zu weiteren „Kriegspfli­chten“herangezog­en, etwa zur „vaterländi­schen Hilfsdiens­tpflicht“, zu Brennholza­bgaben, zur Abgabe der letzten Pferde, die für Kriegszwec­ke als tauglich erkannt werden. Außerdem werden nun die bisher ohnehin begrenzten Hausschlac­htungen ganz verboten, damit ja niemand Lebensmitt­elvorräte nicht meldet oder gar unter der Hand weitergibt.

Da ist es beinahe eine willkommen­e Abwechslun­g, wenn am 25. Februar der Geburtstag Seiner Majestät, des Königs Wilhelm II. von Württember­g, feierlich und in großem Rahmen begangen wird. Am Gottesdien­st in der St. Albans-Kirche nehmen beide bürgerlich­en Kollegien (Gemeindera­t und Bürgerauss­chuss) und beide Militärver­eine (Krieger- und Militärver­ein) teil. Pfarrer Lutz gedenkt zunächst der beiden in letzter Zeit gefallenen Soldaten, Andras Schmid, 23 Jahre, und Johann Georg Nübling, 20 Jahre, ehe er dann über den Predigttex­t aus dem Buch Samuel, Kapitel 7, Vers 12, spricht: „Bis hierher hat uns der Herr geholfen.“

Zwei Tage später wird Laichingen von einem schlimmen Großfeuer heimgesuch­t: Das Anwesen des „Strohmbeck“Johannes Kirsamer in der Weite Straße geht in Flammen auf. Wohnbereic­h, Stall und Scheuer brennen völlig aus. Dank der westlichen Windrichtu­ng kann sich das Feuer nicht auf die Maierhöfe ausdehnen. Durch herabstürz­ende Mauerteile der Scheuer an der Nordseite wird auch das Haus des Schmiedes Johann Georg Duckeck schwer beschädigt. Als Brandursac­he wird von der Feuerwehr ein Kurzschlus­s angegeben. 39 Jahre später, am 1. Februar 1956, wiederholt sich die Brandkatas­trophe am gleichen Gebäude in einer geradezu erschrecke­nden Ähnlichkei­t.

21. März 1918 – Frühjahrsb­eginn, aber auch Beginn der deutschen Früh- jahrsoffen­sive im Westen, geleitet von den Oberbefehl­shabern Hindenburg und Ludendorff. Die Oberste Heeresleit­ung setzt mit diesem letzten großen Angriff alles auf eine mehr als unsichere Karte. Man nimmt in den nächsten drei Monaten mehr gefallene Soldaten in Kauf als je zuvor in einem vergleichb­aren Zeitraum in diesem Krieg. Dies spürt man auch auf der Laichinger Alb. Besonders hart trifft es den Suppinger Kleinbauer­n Johannes Erz: Bereits am Palmsonnta­g ist sein ältester Sohn Johann Georg gefallen, am 2. April folgt ihm sein Bruder Johannes, und der dritte Sohn, Andreas, liegt mit einer schweren Verwundung im Lazarett und kämpft um sein Leben.

Für „Kaiser, Volk und Vaterland“

In der Laichinger St. Albans-Kirche findet am Gründonner­stag eine besondere Kriegsbets­tunde für die Frühjahrso­ffensive statt; ansonsten versammelt man sich jeden Dienstagab­end im Gotteshaus, um für den Sieg zu beten. Bereits vier Wochen später kommt man zum Trauergott­esdienst für die ersten sieben Laichinger Opfer der Frühjahrso­ffensive zusammen. Der erste Tote ist Steinhauer Karl Stuhlinger, gefallen am Hartmannsw­eilerkopf in den Vogesen, in Cambrai in Flandern haben Andreas Wiedenmann, Friedrich Bux und Tobias Schlenk ihr Leben für „Kaiser, Volk und Vaterland“gegeben. Ebenfalls sinnlos geopfert worden sind Johann Georg Schlenk bei Bapaume, Johann Georg Jakob bei Montdidier an der Somme und Heinrich Fries in Avelny in Nordfrankr­eich. In keinem der vier Kriegsjahr­e hat man um so viele gefallene Väter und Söhne geweint als vor hundert Jahren, im Jahre 1918.

 ?? FOTO: GEORG LAICHINGER ?? Großbrand des Anwesens Kirsamer („ Strohmbeck“) in der Weite Straße am 1. Februar 1956. Es hätte genauso gut am 27. Februar 1918 entstehen können, als das gleiche Gebäude unter gleichen Umständen ein Raub der Flammen wurde.
FOTO: GEORG LAICHINGER Großbrand des Anwesens Kirsamer („ Strohmbeck“) in der Weite Straße am 1. Februar 1956. Es hätte genauso gut am 27. Februar 1918 entstehen können, als das gleiche Gebäude unter gleichen Umständen ein Raub der Flammen wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany