Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
So lässt es sich leben
Der Italiener di Chiara ist bis Samstag mit seinem Neun-Quadratmeter-Haus zu Gast in Ulm
ULM - Wer Leonardo di Chiara auf seinem Rundgang durch sein Domizil folgt, muss die Schuhe ausziehen, wie in jedem anständigen schwäbischen Haus. Gleich am Eingang liegt das Badezimmer, dann Küche, Esszimmer und Schlafzimmer. Alles da, alles ganz normal – wäre das Haus nicht nur neun Quadratmeter groß. Denn der 27-jährige Italiener lebt in einem sogenannten „Tiny House“, also einem Mini-Haus, das noch dazu auf einem Anhänger steht und deswegen mobil ist. Derzeit hat er sein selbst entworfenes Heim vor dem HfG-Gebäude am Oberen Kuhberg abgestellt – und hofft auf möglichst viele Besucher.
Der Begriff „Tiny House“kommt aus dem US-amerikanischen Sprachgebrauch und meint die kleinstmögliche Kategorie von – zumeist mobilen – Wohngebäuden. Inzwischen ist die Beschäftigung mit solchen Konzepten bei Planern auch auf dieser Seite des Atlantiks in Mode: Schließlich sind Mangel an Wohnraum und berufliche Mobilität zwei wichtige soziale Themen. Und der bewusste Verzicht und die Konzentration auf das Wesentliche liegen derzeit im Trend.
Das „Tiny House“des jungen Architekten di Chiara war zusammen mit sechs weiteren Kleinstwohnprojekten ein Jahr lang Teil der „Tinyhouse University“am Bauhaus Campus Berlin. „Es ging darum, Menschen zu inspirieren“, sagt der Italiener. Das ist auch die Idee hinter der kleinen Tournee, die ihn und sein Haus wieder zurück nach Italien bringen wird. Mit Ulm als Zwischenstation.
Di Chiara hat sein Häuschen „aVOID“getauft, worin auch das englische Wort für „Leere“steckt. Und genau die sieht man, wenn man durch die Glasscheiben ins Innere blickt. Der Architekt nennt ihn einen „Raum zum Nachdenken“.
Doch dann beginnt der Umbau: Am anderen Ende des Raumes dringt das Licht durch ein weiteres Fenster, ein Bett lässt herausklappen und auf Wunsch sogar zum Doppelbett erweitern, hinter einem Holzbrett verbirgt sich eine Küche mit Herd und Spüle.
Mit jedem Handgriff ist mehr Holz zu sehen, so dass aus dem geradezu zen-buddhistischen Urzustand eine durchaus gemütlich Wohnung wird; und eine kombinierte Dusche und (Kompost-)toilette ist auch eingebaut, ebenso Tanks für Trink- und Regenwasser.
„Ich will zeigen, dass es möglich ist, auf engstem Raum zu leben, ohne viel Lebensqualität zu verlieren“, sagt Architekt di Chiara. Doch ist das so? Der 20-jährige Matthias Berger hat in der Nacht zum Dienstag in „aVOID“übernachtet: „Es war sehr schön, mir hat nichts gefehlt.“Nachts sei er über das Dachfenster auf den „Balkon“gestiegen und habe die Sterne angeschaut, morgens habe er auf dem Ausklapptischchen ein bisschen gelernt, sagt er. „Wenn man ordentlich ist, gibt es alles, was man braucht.“
Rund 50 000 Euro hat der Prototyp für di Chiaras „Tiny House“samt Anhänger-Unterbau gekostet, der Architekt schätzt, dass der Preis bei einer Serienfertigung auf rund 35 000 Euro sinken könnte. Nicht einmal halb so teuer wäre es, ein Appartement im „aVOID“-Stil auszubauen oder eine solche Wohneinheit in einen leer stehenden Gewerbebau zu stellen. Di Chiara hat seinen Haustyp auch so konstruiert, dass mehrere Einzelhäuser wie Reihenhäuser nebeneinander gestellt werden können.
Doch so originell die Ideen di Chiaras und seiner Mitstreiter sind: Das Thema hat auch schon die Planer an der HfG Ulm beschäftigt, speziell in der Abteilung „industrialisiertes Bauen“. Dort wurde an mobilen Raumzellen geforscht, standardisierte Fertigelemente, aus denen ganze Räume, Gebäude und Siedlungen entstehen sollten. Die Visionen der Ulmer sind in einem Bauwagen neben dem „Tiny House“zu besichtigen.
Der Wagen steht noch bis
14. April, direkt am HfGEingang.