Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mattheis: Vollbeschäftigung ist Zerrbild im Alb-Donau-Kreis
Lebhafte Diskussion um die Ausrichtung der SPD, den Kapitalismus und den ländlichen Raum
KIRCHEN (dtp) - Zu einem Bürgergespräch ist die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (SPD) am Mittwochabend in den Gasthof zum Hirsch nach Kirchen gekommen. Sie habe im vergangenen Wahlkampf immer wieder gehört und wahrgenommen, dass sich die Politik stark von den Sorgen der Bevölkerung entfernt habe, sagte sie. Auch im Hinblick auf die Ergebnisse der AfD wolle sie deshalb bei den Bürgergesprächen mit den Leuten in einen Diskurs kommen.
Es entspann sich eine lebhafte Diskussion um grundlegende Themen wie den Sozialstaat und den Kapitalismus, aber auch um Spezifisches wie häusliche Pflege und Ärzteversorgung auf dem Land. Mattheis gestand Fehler der SPD ein. Als ein Gast fragte, warum die SPD denn nichts gegen eine soziale Situation unternehme, die der AfD nachweislich Wähler einbringe, erklärte die Politikerin, die Regelung zu Hartz IV sei der SPD auf die Füße gefallen. „Wir haben die Abstiegstreppe so steil gemacht, dass keiner wieder hoch kommt.“Die nahezu erreichte Vollbeschäftigung in Ulm und im Alb-DonauKreis sei ein Zerrbild, viele seien Zeitoder Leiharbeiter oder hätten einen 450-Euro-Job, erklärte sie. „Die Zahl der Alleinerziehenden, die ausschließlich einen 450-Euro-Job haben, ist in Baden-Württemberg am höchsten.“Bei der Rente sei man dem neoliberalem Zeitgeist erlegen, wonach jeder für sich selbst privat vorsorgt.
„Wir müssen eine Politik machen, die das Ganze beinhaltet und angeht“, sagte Mattheis. Die SPD müsse sich wieder stärker als Friedenspartei aufstellen. Dass sie selbst keine Befürworterin der Großen Koalition ist, daraus machte Mattheis keinen Hehl: „Große Koalitionen sind für mich eine Ausnahme“, sagte sie.
Der Kapitalismus müsse politisch in Schranken gewiesen werden, er habe immer nur Wenigen geholfen, „aber wir haben keine Mehrheit“, erklärte Mattheis. „Im Vergleich etwa zu Griechenland und Spanien geht es uns extrem gut“, warf ein Gast ein. Die Politikerin konterte: „Der Satz ,Uns geht es sehr gut’ verdeckt Konflikte“und gehe über Einzelschicksale hinweg. Beim Bedingungslosen Grundeinkommen gebe es noch offene Fragen. Sie will das Modell einer Ulmer Initiative vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags durchrechnen lassen.
Wie man die Leute im ländlichen Raum halten wolle, fragte ein junger Zuhörer und bezog sich vor allem auf die Versorgung mit Ärzten. „Ich würde am liebsten Gesundheitsregionen einrichten“, sagte Mattheis. „Jede soll selbst bestimmen, wie die Versorgung aussehen muss.“