Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Gegen alle Erwartungen
Bei „Raumklänge“wird das Stadthaus zum akustischen Abenteuerland
ULM - Zu den klingenden Schatzkammern Ulms gehören ohne Frage die Konzertabende des Festivals für Neue Musik im Stadthaus. Ähnlich den Exponaten in barocken Wunderkammern, die aus fremden Regionen der Welt stammten und deren Herkunft dem Betrachter oftmals wunderlich und unerklärbar schien, wirken auch viele Klänge dieses Festivals – auch bei dem an wundersamen und wundervollen Klängen nicht armen, von der in Ulm lebenden Dirigentin Paraskevi Kontogianni geleiteten Konzertabend „Raumklänge“.
Es begann mit Peter Eötvös’ „Brass – The Metal Space“in der obersten Ausstellungsebene, wo vor den Bildern der Ausstellung „Souvenir“von Martin Parr ein gleichermaßen amüsanter wie auch virtuoser Reigen sich abspielte. Blechbläser und Schlagwerk entfesselten einen in seiner Unvorhersehbarkeit magischen Klang, mal Melodiefetzen folgend, dann wieder dem reinen Rhythmus.
Die Blechbläser – Trompeten, Hörner, Posaunen – folgten hierbei einer ballettartigen Choreografie, die der Musik von Eötvös zusätzliche Klangvarianten hinzufügten. Je nach dem, ob der Musiker dem Publikum zu- oder abgewandt spielte, variierte die Lautstärke. Die Posaunisten spielten an anderer Stelle mit aneinandergehaltenen Schalttrichtern einen alles durchdringenden Unisono-Ton, parallel dazu ließen Trompeter mit auf den Boden gesetzten Instrumenten den Klang in den Körper des Publikums vordringen. Im finalen Part im Stadthaussaal standen die Musiker verteilt um das Publikum, das inmitten des hochtourenden Klangsturms gebannt lauschte.
Es blieb weiterhin Bewegung im Abend, die Bühne, so hatte man den Eindruck, war jeweils nur Zwischenstation, etwa für Antonis Anissegos, der Thomas Adès motorischen Rohdiamanten „Traced Overhead“am Flügel interpretierte. Ein Werk von intellektueller Kraft und extremem Anspruch – man musste buchstäblich jeder Note folgen, wenn man sich das Werk und seine Janacek-artig scharfen Stimmungswechsel erschließen wollte. Anissegos brillierte. Brigitta Muntendorfs „Shivers on Speed“stellte eher einen von Unsicherheit und unkontrollierbarer Fantasie geleiteten Klangraum vor, wobei der Rhythmus des menschlichen Atems ins Zentrum der sich zuspitzenden Musik gestellt schien.
In die sehr gedankenvolle Dramaturgie des Abends passte die vergleichsweise „alte“Musik Maurice Ravels ganz hervorragend. Nicht nur, weil Esther Kretzinger und ihr Ensemble eine überaus pointierte und ergreifende Umsetzung der Mallarmé-Lieder gelang, sondern auch, weil die symbolistischen Texten folgende Musik mit ihren gewitzten Kehrtwendungen und gegen die Erwartbarkeit gestellten Klängen ganz in den Abend hineinpasste.
Erstaufführung als Höhepunkt
Dieser fand mit der deutschen Erstaufführung von Anna Thorvaldsdottirs „Into: Second Self“einen fabelhaften Höhepunkt. Thorvaldsdottirs Musik ist bestimmt von der Weite und kühlen Grazie der isländischen Landschaft, und ebenso wie dort brodelnde Lava auf eisigen Wind und Stille treffen trafen sich in der kantigen Musik von „Into: Second Self“Klänge zwischen introspektiver Feinheit und expressiver Experimentierlust.
Bildhaft, fantasievoll, aber auch unbequem die Klänge dieses Abend und des ganzen Festivals, das gegen alle Schwierigkeiten und Gewohnheiten immer wieder ein willkommener Anlass ist, frischen Wind durch musikalische Angewohnheiten zu blasen.