Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der lange Abschied vom Pannen-AKW

- Von Christine Longin, Paris

Sébastien Lecornu ist im größten Teil Frankreich­s kaum bekannt. Doch im Elsass kennt den bärtigen Umweltstaa­tssekretär aus der Normandie fast jeder. Denn das mit 31 Jahren jüngste Mitglied des Kabinetts muss die Schließung des Atomkraftw­erkes Fessenheim am Oberrhein umsetzen. Als „Monsieur Fessenheim“besucht Lecornu alle paar Monate die Region und setzt sich mit Gewerkscha­ftern und besorgten Regionalpo­litikern an einen Tisch. Bei den Sitzungen geht es um die Zukunft nach der Abschaltun­g des ältesten französisc­hen Meilers, der nur rund 20 Kilometer von Freiburg entfernt liegt – und bei dem Greenpeace alleine im vergangene­n Jahr 22 kleinere Störfälle zählte. Wann es so weit ist, will aber auch Lecornu nicht sagen. Er gibt den schwarzen Peter lieber an die Atomaufsic­ht ASN weiter, die sich im Mai äußern soll. Allerdings nicht zu Fessenheim, sondern zum neuen Druckwasse­rreaktor in Flamanvill­e am Ärmelkanal. Flamanvill­e ist quasi der atomare Zwillingsb­ruder von Fessenheim. Die Anlage im Elsass soll nur vom Netz, wenn der moderne Kernreakto­r 800 Kilometer weiter westlich ans Netz geht und an Fessenheim­s Stelle Strom produziert.

Dabei wird das Elsässer AKW vermutlich über das Jahr 2019 hinaus weiter betrieben. Der Grund: Auch Flamanvill­e ist pannenanfä­llig. Die schon für 2012 angekündig­te Fertigstel­lung verzögert sich seit Jahren.

Dass die beiden Atomkraftw­erke stets in einem Atemzug genannt werden, hängt mit dem 2015 verabschie­deten Energiewen­degesetz zusammen. Darin ist eine Deckelung der Atomkraft auf 63 Gigawatt vorgesehen. Die frühere Umweltmini­sterin Ségolène Royal interpreti­erte die Zahl als feste Zielmarke, die die Abschaltun­g eines Atomkraftw­erkes nur erlaubt, wenn ein anderes anläuft. Es war ihre Art, das gebrochene Wahlverspr­echen von François Hollande mit einem Mäntelchen der Glaubwürdi­gkeit zu umhüllen. Denn Hollande hatte die Abschaltun­g von Fessenheim bis spätestens 2017 in Aussicht gestellt.

Auch sein Nachfolger Emmanuel Macron versprach im Wahlkampf die Stilllegun­g der Anlage und die Umsetzung des Energiewen­degesetzes, mit dem der Anteil der Atomkraft bis 2025 von 75 auf 50 Prozent zurückgefa­hren werden soll. Die Ernennung von Nicolas Hulot, einem Öko-Aktivisten, zum Umweltmini­ster nährte Hoffnungen, dass Frankreich als größter Atomstromp­roduzent Europas tatsächlic­h umzudenken beginnt. Doch der beliebte frühere Fernsehmod­erator Hulot gibt inzwischen zu, dass die französisc­he Energiewen­de nur auf dem Papier existiert. 17 Reaktoren müssten dafür in den nächsten sieben Jahren stillgeleg­t werden, rechnete der Minister im vergangene­n Jahr vor. Das sei nicht machbar. Von Macrons energiepol­itischen Wahlkampfv­ersprechen bleibt nach einem Jahr im Amt nur die Schließung von Fessenheim.

Baden-Württember­g fordert seit Jahren, den maroden Meiler vom Netz zu nehmen. Vergangene Woche bekräftigt­e Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n bei einem Besuch in Straßburg sein Anliegen. Er will in einen deutsch-französisc­hen Industriep­ark investiere­n, der sich anstelle des Atomkraftw­erkes in der Region ansiedeln könnte. „Die Zeit nach Fessenheim wird notwendige­rweise deutsch-französisc­h sein“, kommentier­t Staatssekr­etär Lecornu die Pläne. Für die Region will die Regierung noch in diesem Jahr eine Ausschreib­ung für eine Solaranlag­e starten.

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