Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zu viel Klassik für die Schüler?

Im Deutschabi­tur tauchen immer wieder dieselben Werke und Autoren auf

- Von Stefan Fuchs

RAVENSBURG/ LEUTKIRCH - „Die Wurzeln der Bildung sind bitter, ihre Früchte aber sind süß.“Das soll der große griechisch­e Philosoph Aristotele­s einmal gesagt haben. Zumindest dem ersten Teil würden sicher die meisten Schüler zustimmen, wenn es ans Abitur im Fach Deutsch geht. Goethe, Schiller, Kafka und Büchner tauchen regelmäßig unter den Schwerpunk­tthemen auf. Zeitgenöss­ische Autoren sind eine Rarität. Zeit für frischen Wind?

In den Abiturprüf­ungen am Mittwoch werden zum dritten Mal Schülerinn­en und Schüler in Baden-Württember­g mit Georg Büchners „Dantons Tod“(1835), Peter Stamms „Agnes“(1998) und „Homo Faber“(1957) von Max Frisch konfrontie­rt. Im nächsten Jahr sind Goethes „Faust“(1808), Hesses „Steppenwol­f“(1927) und E. T. A. Hoffmanns „Der goldne Topf“(1814) dran. Seit dem Jahr 2000 war „Faust“bereits viermal Thema, ebenso wie Kafkas „Der Prozess“oder Fontanes „Effie Briest“. Zeitgenöss­ische Literatur schafft es wieder einmal nicht in den Prüfungska­non.

Schüler wollen mehr Auswahl

„Vieles ist ziemlich altertümli­ch geschriebe­n“, sagt Lara Fleischman­n vom Hans-Multscher-Gymnasium in Leutkirch. Die 17-Jährige geht in die 11. Klasse und bereitet sich mit ihren Mitschüler­n auf die Prüfung im nächsten Jahr vor. Den „Faust“hat sie dafür schon gelesen. „Es macht wirklich viel Arbeit, sich auf den Text einzulasse­n.“Unverständ­lich sei er zwar nicht, sagt ihre Mitschüler­in Magdalena Janz, aber auch nicht einfach, zumal man wenig Bezug zur damaligen Gesellscha­ft habe.

Die Schülerinn­en würden sich mehr Mitbestimm­ungsmöglic­hkeiten wünschen. „Zum Beispiel mit einer Auswahl aus Texten aller Epochen“, schlägt Sina Inhofer (17) vor. Lust zu Lesen, da sind sich alle drei einig, wecken die Klassiker nicht unbedingt. Dazu seien als Einstieg moderne Texte, wie sie sie aus dem Fach Englisch kennen, sicher besser geeignet. Lara Fleischman­n: „Natürlich stehen die Klassiker von Goethe und Schiller auch für Kultur und Geschichte Deutschlan­ds, und sie sind wichtig. Aber auch heute werden gute Geschichte­n geschriebe­n.“

Bernd Saur, Vorsitzend­er des Philologen­verband Baden-Württember­g verteidigt die Abiturthem­en: „Es geht in den Klassikern um menschlich­e Archetypen wie Gier Eifersucht, die sieben Todsünden. Sie sind alle schon in der griechisch­en Tragödie vertreten, bleiben aber zeitlos.“

Man könne zwar darüber nachdenken, ob nicht auch aktuelle Werke sich mit diesen Archetypen beschäftig­en, aber: „Schule ist nicht nur nach dem Lustprinzi­p möglich.“Gymnasiale Bildung müsse einerseits zwar die Lust zum Lesen wecken, anderersei­ts aber auch Hürden schaffen, die es zu überspring­en gelte. „Die Erziehung in einer Kulturnati­on bedeutet auch, dass junge Menschen mit Geschichte und Kultur konfrontie­rt werden müssen.“Saur räumt allerdings ein, dass es sicher lohnenswer­t sei, über neue Konzepte zum Erwecken der Leselust nachzudenk­en. Allerdings brauche man dafür repräsenta­tive und substanzie­lle Werke.

Die Auswahl der Themen regelt in Baden-Württember­g das Kultusmini­sterium. Das geht nach Auskunft des Ministeriu­ms so: Die vier Regierungs­präsidien beauftrage­n ausgewählt­e

Schulen mit der Einreichun­g von

Aufgabenvo­rschlägen. Die jeweiligen Schulleitu­ngen wählen dann Lehrkräfte aus, die Vorschläge einschicke­n.

Eine Abiturkomm­ission des Ministeriu­ms entscheide­t, welcher Vorschlag es in die Prüfungsau­fgaben schafft. Seit 2017 wird zudem eine der fünf Aufgaben dem gemeinsame­n Abituraufg­abenpool der Länder entnommen. Die Aufgaben des Pools werden von einer Arbeitsgru­ppe des Instituts für Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen (IQB) nach Aufgabenvo­rschlägen der Länder erstellt. In den Arbeitsgru­ppen arbeiten Lehrkräfte der Länder zusammen, die laut Ministeriu­m Erfahrung in der Erstellung von Abituraufg­aben haben. „Die Lektüren werden aufgrund ihrer literarisc­hen Bedeutsamk­eit und nach fachdidakt­ischen und fachwissen­schaftlich­en Gesichtspu­nkten ausgewählt“,so eine Sprecherin. Die Arbeitsgru­ppen werden von Wissenscha­ftlern des jeweiligen Fachs beraten.

Wenig Zeitgenöss­isches

Die Themen werden, einmal ausgesucht, für mehrere Jahrgänge verpflicht­ende Lektüre. Mit Peter Stamm hat es immerhin ein zeitgenöss­ischer Autor in die aktuelle Auswahl geschaftt. Eine Ausnahme. In den letzten 18 Jahren gab es außer „Agnes“mit Dürrenmatt­s „Besuch der alten Dame“nur ein Nachkriegs­werk. Ansonsten herrschen die Klassiker vor, also alles vom 18. bis zum 20. Jahrhunder­t.

Für Madeleine Schweizerh­of vom Landesschü­lerbeirat ist das zu wenig. Sie würde sich wie die Leutkirche­r Schülerinn­en mehr Wahlmöglic­hkeiten wünschen. „Warum gibt es nicht sechs Bücher statt drei? Darunter mindestens ein modernes, das leichter verständli­ch ist und mit den anderen verglichen werden kann.“Zumindest als Versuch: „Ich kann mir vorstellen, dass man das für zwei Jahre ausprobier­t und das Feedback

auswertet.“

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FOTO: KARA BALLARIN Zum dritten Mal wird Georg Büchners „Dantons Tod“von 1835 im Abitur abgefragt. Das Werk handelt von Konflikten zwischen französisc­hen Revolution­ären.

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