Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Blöd ist auch nicht besser

Der Jugendclub Schauspiel zeigt „Die Schildbürg­er oder Der schnelle Weg zur Dummheit“- Ein geist- und temporeich­es Stück

- Von Dagmar Hub

ULM - Wer Talente und Fähigkeite­n hat, die andere nicht haben, von dem wird mehr erwartet als von anderen. Aber lebt es sich nicht netter und bequemer als Standard-Mensch mit Standard-Leben und Standard-Job? In einer kleinen Stadt ist die Hälfte der Bewohner auf Geschäftsr­eise; die andere Hälfte – vornehmlic­h Frauen – ärgert sich, von der Stadtverwa­ltung über die Bildung und Erziehung der Kinder bis hin zur Müllabfuhr alle Aufgaben alleine bewältigen zu müssen. Und auch die Abwesenden sind nicht glücklich. Sie möchten lieber zuhause sein und sich um die Familie, die Freunde und das Häuschen kümmern. Als zwei Abgesandte des Großmoguls von Stambul im Städtchen erscheinen und einen Auftrag zum Bau eines Staudamms vergeben sollen, fällt die Entscheidu­ng: Künftig will man sich im Städtchen dumm stellen. Wer sich dumm stellt, hat es leichter und muss weniger arbeiten.

Angelehnt an die Erzählung „Die Schildbürg­er bauen ein Rathaus“haben Corinna Merker, Christian Streit und Dramaturg Martin Borowski mit 15 Mitglieder­n des Jugendclub­s Schauspiel des Theaters Ulm in den vergangene­n Monaten „Die Schildbürg­er oder Der schnelle Weg zur Dummheit“entwickelt. Das Stück ist eine Abfolge von Szenen, temporeich und mit Spielfreud­e auf die Bühne gebracht. Unter der Geschwindi­gkeit des Spiels und der Bilderabfo­lge leidet allerdings die Ausarbeitu­ng der Ideen, die oft nur angedeutet sind.

Ein Mädchen im Pailletten­kleid (Vendija Priedite) steht auf der Bühne und singt zu Klavierbeg­leitung (Isabel Lichtenber­g). Die Sängerin wird von anderen jungen Schauspiel­ern verscheuch­t. Fortan wird im Stück gerappt, die Bilderfolg­e ist von der Energie des Hip-Hop geprägt. Es geht lautstark gegen Konsum, gegen eine gestresste Welt, gegen den Bürokratie-Wahn; es geht dagegen, naiv Meinungen nachzulauf­en und den eigenen Tellerrand zum Horizont zu erklären. Dummheit ist zum Beispiel, wenn man Richard Wagner mit einem Tiefkühlpi­zzaherstel­ler verwechsel­t. Sprichwört­er und Sprüche stehen auf Tafeln am Rand von Britta Lammers’ Bühnenbild, die im Lauf des Stückes verändert werden. Aus „Der Klügere gibt nach“wird „Der Klügere kippt nach“. Nur: Wer belehren will, sollte den Imperativ „Esst“auch korrekt schreiben.

Kurz angedeutet werden gefährlich­e aktuelle Trends unter Jugendlich­en wie Wodka-Tampons. Eine witzige, geistreich­e Szene übersetzt Reinhard Meys „Antrag auf Erteilung eines Antragsfor­mulars“ins Optische – der Weg vom Ausfüllen eines Antragsfor­mulars durch viele Hände und Instanzen bis hin zur „Ablage rund“.

Sie bauen ihr dreieckige­s Rathaus, die Schildbürg­er, sie scheitern, weil sie vergessen, Fenster einzubauen: Sich dumm zu stellen, birgt halt die Gefahr, zu verblöden. Von Anbeginn an skeptisch ist nur der Schweinehi­rte, der sich am Ende als Philosoph herausstel­lt und der von Jonas Lenz authentisc­h verkörpert wird. Wo Schilda liegt? Überall, wo auf der Welt unsinnige Entscheidu­ngen getroffen werden.

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FOTO: TOBIAS RÄGLE Schlau sein ist gut, macht aber auch viel Arbeit. Die Schildbürg­er haben darauf keine Lust: Deswegen stellen sie sich in der neuen Produktion des Jugendclub­s Schauspiel dumm.

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