Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Kampf gegen Billigalkohol
Kein anderer Stadtteil steht so sehr für Hamburg wie St. Pauli – Doch die Wandlung zum Alki-Kiez stört viele
HAMBURG (dpa) - Der Ort des Protests hat Symbolcharakter. Am HansAlbers-Platz, der an einen der ganz Großen der goldenen Kiez-Zeit erinnert, wollen Clubbesitzer, Wirte und Anwohner dafür kämpfen, dass „ihr“St. Pauli seinen Charme behält. Nichts weniger als die Befürchtung einer Ballermannisierung des Hamburger Amüsierviertels eint die bunte Schar jener, die an einem Samstagabend unter dem Motto „Save St. Pauli“über die Reeperbahn ziehen wollen.
Im Mittelpunkt ihrer Kritik: Die zunehmende Zahl der Kioske mit Billigalkohol, der den Clubs und Kneipen das (Über-)Leben schwer macht. Zwischen 50 und 60 Kioske gibt es derzeit laut Bezirksamt HamburgMitte auf St. Pauli, eine Verfünffachung binnen zehn Jahren.
Und so mahnen die Demo-Veranstalter um Quartiermanagerin Julia Staron auf Facebook: „Wenn die letzte Bar, der letzte Club geschlossen ist, werdet ihr merken, dass am Kiosk die Kultur am Ende ist.“Trinkkioske siedelten sich um gastronomische und kulturelle Betriebe parasitär an. „Gäste verzehren im öffentlichen Raum, gehen aber beim Nachbarn tanzen“, heißt es im Demo-Aufruf.
Verkehrschaos und Müll
Eine weitere Folge beklagen die St. Paulianer: Jetzt, wo’s wärmer wird, trinken an einigen Ecken Hunderte Menschen beim sogenannten Cornern auf der Straße, sind laut, behindern den Verkehr, hinterlassen Müll. Und wegen „alkoholbedingter Randerscheinungen“gefährdeten sie auch die öffentliche Sicherheit, so die Demoveranstalter, die fast schon verzweifelt betonen: „St. Pauli ist keine Kulisse. St. Pauli ist neben aller Gastfreundlichkeit und Amüsierkultur auch Lebensraum.“
Längst hat der Konflikt die Rathauspolitik erreicht. Gilt der Kiez mit seiner Kneipenvielfalt, den Überbleibseln der Hafenromantik und der verrucht-berüchtigten Rotlichtszene doch als Tourismusmagnet und Hamburger Alleinstellungsmerkmal im Kampf der Großstädte um Gäste. Scharen von Touristenführern wie jene von Dragqueen Olivia Jones, die allabendlich Besuchergruppen über den Kiez schleusen, zeugen davon.
Im rot-grünen Regierungslager brüten sie darüber, wie sie dem Problem Herr werden können. Es gehe darum, Möglichkeiten zu suchen, wie der Außer-Haus-Verkauf zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten eingeschränkt werden könne, heißt es aus dem Rathaus. Der Knackpunkt: Eine Regelung muss präzise und gerichtsfest sein.
Eine Idee ist, dass Kioske nach 22.00 Uhr künftig keinen Alkohol mehr in bestimmten Straßenzügen verkaufen dürfen. Diese zeitliche Beschränkung wäre ein nützliches Element, „um die entstandene Wettbewerbsverzerrung zwischen Clubs und Kiosken wieder aufzuheben“, sagt Bezirksamtsleiter Falko Droßmann. Ohne gesetzliche Grundlage könne er aber nicht gegen die Billigalkohol-Läden vorgehen. „Wir brauchen hier eine Gesetzesänderung.“Quartiermanagerin Staron bezeichnet derlei Überlegungen als „Schritt in die richtige Richtung“.
Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen fänden es gut, wenn der Senat Vorschläge für landesrechtliche Regelungen unterbreiten würde. „Denn der Verkauf von Billigdrinks ohne Toiletten vis-à-vis der Clubs bedroht deren gesellschaftlich anerkannten Zweck, Künstlern und Bands zum Bekanntwerden eine Bühne zu bieten“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Farid Müller.
Doch wie sieht es wirklich auf dem Kiez aus? Eine Spurensuche am Wochenende vor der „Save St. Pauli“-Demo: Los geht es am Abend im Clochard, der selbsternannten „billigen Kneipe auf der Meile“. Hier wird getrunken, gepennt, gekickert und gegrölt – wie auch schon vor 20 Jahren. Geschäftsführerin Andrea (46) sagt aber, in den Kneipen und Clubs werde immer weniger verzehrt. „Das nervt.“Immer mehr Clubs hätten wegen der Kiosk-Konkurrenz schon dicht machen müssen. „Es leidet die ganze Attraktivität darunter – auch die Musikläden.“
Halber Liter für vier Euro
Bei einem Streifzug über Reeperbahn, Hamburger Berg und Hans-Albers-Platz fällt auf: Quasi vor jedem Kiosk steht eine Traube junger Menschen, einen Longdrink oder ein Bier in der Hand. Vor allem Läden, die sich auf Hochprozentiges spezialisiert haben, boomen. Sie heißen Wodka Welt oder Alkotheke, andere werben mit Wodka Bomben, den halben Liter als Mixgetränk für gerade einmal vier Euro.
Student Lukas steht vor dem Non Stop Shop, mit Freunden trinkt er Bier. Er glühe zu Hause vor und komme in einer Nacht auf dem Kiez mit rund 15 Euro aus, sagt der 20-Jährige. Schuldgefühle, dass seine Geiz-istgeil-Mentalität mit dazu beitragen könnte, dass die Clubkultur auf St. Pauli mehr und mehr schwindet, hat er nicht. Er sagt aber auch: „Ich kann den Ärger der Clubbetreiber verstehen, aber für mich ist es einfach extrem praktisch, dass ich so günstig feiern kann.“
Der legendäre Silbersack ist in dieser Frühlings-Nacht ordentlich gefüllt, ebenso Der goldene Handschuh und die Kneipen rund um den Hans-Albers-Platz. Anders sieht es im Onkel Otto oder in der Bierstube auf der Großen Freiheit aus. Hier sind die Gäste nach Mitternacht an zwei Händen abzuzählen. Angesprochen auf den Boom des Billigalkohols und seine Auswirkungen sagt der Barkeeper der Bierstube lapidar: „Die Kioske? Das merkt hier doch jeder.“