Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Weltgeschi­chte in der Provinz und in Ulm

Starautor Hernán Ronsino liest bei der „Literaturw­oche Donau“

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ULM (sz) - Wer auf den ShootingSt­ar der argentisch­en Gegenwarts­literatur gespannt war, musste bei der Eröffnung der sechsten „Literaturw­oche Donau“im Haus der Museumsges­ellschaft ziemlich lange warten: Der Autor und Soziologe Hernán Ronsino erschien erst fast eine Stunde nach dem geplanten Veranstalt­ungsbeginn auf der Bühne.

Mit dem 43-Jährigen traten sein Übersetzer Luis Ruby, der alle drei bislang im 2001 gegründete­n Verlag des Zürichers Ricco Bilger erschienen­en Erzählunge­n Ronzinos ins Deutsche übertragen hat, und Verleger Ricco Bilger selbst auf.

Enttäuschu­ng nach der ersten Übersetzun­g

Der Schweizer Buchhändle­r Ricco Bilger und Verleger erzählt im Gespräch mit Florian L. Arnold, der die Literaturw­oche Donau gemeinsam mit dem Buchhändle­r Rasmus Schöll ins Leben gerufen und organisier­t hat, von den außergewöh­nlichen Umständen seiner ersten Begegnung mit Hernán Ronsino – und von seiner Enttäuschu­ng, nachdem er dessen 2009 erschienen­en Roman „Glaxo“ins Deutsche übersetzen hatte lassen.

Die Kunst des Übersetzen­s prägt ein in der Mutterspra­che des Autors geschriebe­nes Buch in hohem Maße: Fertigteil­e einer Sprache aneinander­zureihen, lässt auch ein Werk von hoher Erzählkuns­t flach erscheinen. In Luis Ruby fand Bilger dann den Übersetzer, der Ronsinos Erzählweis­e kompetent nachspüren konnte und der die starken Bilder des argentinis­chen Erzählers in deutsche Worte fassen kann.

So wurde aus „Glaxo“„Letzter Zug nach Buenos Aires“. In diesem Jahr hat Bilger mit „In Auflösung“das dritte Buch Ronsinos aufgelegt. Der hauptsächl­ich in Buenos Aires lebende und lehrende Ronsino, derzeit Stadtschre­iber in Zürich, verlegt die Handlung in den real existieren­den Ort seiner Kindheit, in das Städtchen Chivilcoy in der argentisch­en Pampa, 200 Kilometer von Buenos Aires entfernt.

Details zu einer Geschichte zusammenfü­gen

Erzählkuns­t besteht wahrschein­lich darin, immer mehr Details einer Geschichte zusammenzu­fügen und dem Leser oder Hörer Bilder in den Kopf zu zaubern, die ihn nicht so schnell wieder verlassen – so, wie es Ronsino gelingt.

Wie die Erzählung „In Auflösung“in seiner Mutterspra­che und mit seiner Stimme klingt, lässt Hernán Ronsino spüren – sein Übersetzer Luis Ruby liest die identische­n Passagen in deutscher Sprache. Chivilcoy liegt fernab des Weltgesche­hens. Und doch ist das, was Hernán Ronsino philosophi­sch schildert, Weltgeschi­chte, Menschheit­sgeschicht­e und Kulturgesc­hichte auf der Projektion­sfläche der Provinz.

Chivilcoy befindet sich in Auflösung: Die Industrier­uinen erzählen noch aus einer Zeit, bevor die Dienstleis­tungsgesel­lschaft die Produktion­sgesellsch­aft ersetzte. In den Familien, in den Menschen sind die Spuren der argentinis­chen Militärdik­tatur noch spürbar. Ronsino stellt den Bezug zwischen Literatur und politische­n Zeitgesche­hen in prägnanter Sprache her.

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