Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Feministin und ihre algerische Großfamilie
Alice Schwarzer eröffnet Allgäuer Literaturfestival
MEMMINGEN - Als prominente Starthilfe eröffnete Alice Schwarzer am Donnerstag das Allgäuer Literaturfestival in Memmingen. Zum Auftakt las sie aus ihrem neuesten Buch „Meine algerische Familie“. Bis zum 19. Mai bietet das Festival 22 Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten im Allgäu.
„Es mag überraschend für sie sein, dass ich auf einmal mit einer algerischen Großfamilie um die Ecke komme“, sagte Schwarzer zu Anfang der Lesung in der Aula des Vöhlin-Gymnasiums zu den rund 100 Zuhörern. In der Tat. Um Blutsverwandtschaft handelt es sich dabei allerdings nicht. Aber ihre Freunde, die sie seit über 20 Jahre kenne, bestünden darauf, dass sie sie als Familie bezeichne.
Zu ihrer sogenannten Familie kam sie über die algerische Journalistin Djamila. Schwarzer lernte sie bei einem Seminar in Tunis für Journalistinnen aus Nordafrika kennen. In den 1990er-Jahren, als in Algerien der Bürgerkrieg tobte, ging Djamila ins Exil nach Köln, wo Schwarzer seit Jahrzehnten ihre Zeitschrift Emma leitet. Djamilas Familie kam häufig zu Besuch. Nach und nach wurde auch Schwarzer zu einem Teil von ihr. Mittlerweile lebt Djamila wieder in Algerien.
2016 und 2017 reiste Schwarzer mit der Fotografin Bettina Flitner nach Algerien. Das Ziel: Ein Buch zu schreiben, in dem sie die Geschichte aller Neffen und Nichten, Onkel und Tanten bis hin zu den Enkelinnen und Enkeln der Großfamilie erzählen möchte. Schwarzer wollte wissen, wie die Familienmitglieder zu Themen wie dem Islam, Frauenrechten, dem Kopftuch und der algerischen Geschichte stehen. Daraus entstanden ist eine Reportage, die immer wieder von Erzählungen der Protagonisten unterbrochen wird.
Erstaunlich zurückhaltend beschreibt die sonst so meinungsstarke Autorin die Familie und ihr Leben in Algerien. Nicht Schwarzers Sichtweisen stehen im Vordergrund, sondern die Aussagen ihrer Gesprächspartner. „Ich bin nicht nach Algerien gefahren, um Vorträge zu halten, sondern eher um zu verstehen“, erklärt Schwarzer während der Lesung.
Alice Schwarzer wäre aber nicht Alice Schwarzer, wenn ihre Meinung an der ein oder anderen Stelle nicht durchscheinen würde. So schreibt sie zum Beispiel, dass gerade voll verschleierte Frauen ihre Töchter besonders kokett anzögen. „Als lebten sie sich darin aus“, mutmaßt Schwarzer über Frauen, denen sie in Algier auf dem Markt begegnete.
Mit der vorsichtigen Zurückhaltung war es spätestens bei der anschließenden Diskussion vorbei. Auf die Anmerkung eines Besuchers, dass ein Kopftuch auch schick aussehen könne, warnte Schwarzer vor falscher Toleranz. „Es gibt keine religiöse Pflicht, das Kopftuch zu tragen“, erklärte sie. Es sei kein religiöses, sondern eher ein politisches Symbol. Deswegen ist die Frauenrechtlerin auch für ein absolutes Verbot des Kopftuchs bei Minderjährigen und in staatlichen Institutionen.