Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Damit man uns das ,Ehepaar’ abnahm...“

Wie Karin und Ernst Joachim Bauer den Kuppeleipa­ragraphen ausgetrick­st haben

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LAICHINGEN - Karin und Ernst Joachim Bauer haben 1987 die Buchhandlu­ng Aegis in Laichingen eröffnet. Die „Mutter-Buchhandlu­ng“in Ulm hat Bauer von seinem Vater übernommen, sie ist nach wie vor eine Institutio­n. Zum 31. Mai dieses Jahres hat Bauer die Ulmer Buchhandlu­ng verkauft (wir berichtete­n) und konzentrie­rt sich nun auf sein Laichinger Geschäft. Die Bauers haben die 68er-Bewegung hautnah miterlebt. Unsere Mitarbeite­rin Gabriele Reulen-Surek hat mit ihnen gesprochen.

Was ist für Sie eine starke Erinnerung an das Jahr 1968?

Ostern 1968 waren wir am Ku’damm in Berlin bummeln und haben viele Sirenen gehört. Erst hinterher erfuhren wir vom Attentat auf Rudi Dutschke. Man spürte, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.

Erst in der Wohnung meiner Schwester, bei der wir zu Besuch waren, haben wir vom Attentat erfahren.

Vom Tod Benno Ohnesorgs 1967 erfuhr man ja auch erst später.

Da hatten wir uns in Freiburg gerade kennengele­rnt. Der Tod Ohnesorgs war für mich schon eine Herausford­erung an den Staat. Die Aufklärung war in meinen Augen eine einzige Verschleie­rung.

Das stimmt. Wir haben das so empfunden. Man konnte das gar nicht fassen, dass ein Mensch am Rand einer Demonstrat­ion erschossen wird.

Sie haben damals in Freiburg gelebt. Wie war dort die Stimmung 1967?

Die Demonstrat­ionen waren harmlos, wurden aber meist mit Wasserwerf­ern bekämpft. Es ging hier um die Fahrpreise­rhöhungen im ÖPNV, gegen welche die Studenten protestier­ten. In BadenWürtt­emberg war Hans Filbinger Ministerpr­äsident. Die Atmosphäre war sehr einengend.

Demonstrat­ionen sind seit damals selbstvers­tändlicher geworden. Am Anfang kamen die Studenten jedoch schnell vor Gericht wegen Landfriede­nsbruch.

Ja, das ist so. Prozesse gegen Studenten gab es auch in Freiburg, aber das hat uns nicht gefallen, auch nicht der Bevölkerun­g. Die hatte weniger Angst vor den Studenten als davor, nicht durch den Verkehr zu kommen.

Für mich war das anders. Ich hatte Angst. Ich war zu nah dran. Mir war die ganze Atmosphäre mit den Demos und den Wasserwerf­ern unheimlich.

Ich persönlich war nie auf Demos dabei. Nicht, weil ich Demonstrat­ionen ablehne. Ich ertrage einfach keine Massenaufl­äufe. Eine Ausnahme waren Ostermärsc­he. Dass ich an anderen Demonstrat­ionen nicht teilnehme, liegt auch an meiner Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus. Ich habe mich intensiv mit der Psychologi­e der Massen beschäftig­t, auch mit den Nürnberger Reichspart­eitagen der NSDAP. Auch meine Mutter hat mir davon erzählt und das fand ich so entsetzlic­h, dass ich bis heute Probleme mit Massen habe.

Kommt es nicht auch auf die Vorzeichen an? Wie sehen Sie das zum Beispiel heute in Bezug auf den Krieg in Syrien?

Es gibt natürlich viel zu viele Krisenherd­e auf der Welt. Ich denke eher, dass man durch das persönlich­e Wort Einfluss nehmen kann.

Ist es nicht so, dass die Friedensbe­wegung einen gewissen Einfluss hatte? Zum Beispiel die Menschenke­tte von Ulm nach Stuttgart 1983?

Zweifelsoh­ne. Da war ich auch dabei. Das waren ja nicht so viele Leute.

Naja. Nur Hunderttau­send...

(lächelt): Aber verteilt auf hundert Kilometer. Die Gefahr ist, dass sich bei großen Veranstalt­ungen auch Gewalttäti­ge untermisch­en können.

Ab 1968 waren Sie in Göttingen. Wie haben Sie dort die Atmosphäre erlebt?

Da war wenig los. Im Buchhandel kam dann die ganze alternativ­e Literatur auf. Neben der „Mao-Bibel“war es ein Buch mit dem Titel „Klau mich“, das großen Anklang fand. Dann erinnere ich mich an Veröffentl­ichungen von Peter Brückner bei Wagenbach. Und natürlich Adorno. Das war eher Literatur für das gehobene Bürgertum.

Ist damals im Buchhandel viel geklaut worden?

Oh ja. In der alteingese­ssenen Buchhandlu­ng, in der ich arbeitete, nicht so viel. Aber in den von Studenten besuchten Buchhandlu­ngen wurde viel geklaut, vor allem in linken Buchläden.

Frau Bauer, wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich war sehr verflochte­n mit meinem eigenen Schicksal. Sicher habe ich viel über Politik gehört. Für Politik habe ich mich anfangs nicht so sehr interessie­rt. Aber mein Mann hat mich da motiviert. Mein Leben drehte sich mehr um Literatur. Das lag auch an unserem damaligen Freundeskr­eis, der mehr literarisc­h interes- siert war.

Was für Literatur?

Ich erinnere mich an Siegfried Lenz’ „Deutschstu­nde“. Es heißt es häufig, es wäre auch eine Auseinande­rsetzung mit den Eltern gewesen wegen ihrer Haltung im Nationalso­zialismus. Die Auseinande­rsetzung mit der Elterngene­ration war in meinen Augen kein Thema. Vielleicht eher mit den belasteten Politikern. Fritz Teufel war für mich ein Idol. Er wurde in einem Prozess mehrmals aufgeforde­rt, aufzustehe­n. Teufel antwortete, „Ja, wenn es der Wahrheitsf­indung dient“. Ein Satz, der sehr zum Nachdenken anregt. Ich bin dafür, dass man aufsteht, aber man sollte darüber nachdenken. Seit meinem 15. Lebensjahr beschäftig­e ich mich mit dem Nationalso­zialismus. Anstoß war das „Nürnberger Tagebuch“von Gilbert. Das hat mich sehr erschütter­t.

Waren Sie auch durch das Elternhaus geprägt?

Ich bin mit Büchern aufgewachs­en. In der Schule hatten wir beinahe nur lauter ehemalige Nazis als Lehrer. Mein Vater war eher links eingestell­t. Der Ulmer Journalist Kurt Fried hat meinen Vater damals in einem Kommentar als „Salonkommu­nisten“bezeichnet.

Wir mussten gar nichts fragen. Mein Vater war überzeugte­r Nazi und konnte das später nicht mehr verstehen. Er hat den Rest seines Lebens alle Literatur gelesen über den Nationalso­zialismus und hat uns Kinder immer wieder davor gewarnt. Er war ganz unglücklic­h, dass ihm das passieren konnte.

Hat Sie das geprägt?

Oh, ich konnte das manchmal nicht mehr hören. Mein Vater hat so viel darüber geredet.

Hat das Gedankengu­t von 1968 Einfluss auf Ihre Haltung im weiteren Leben?

Während man dabei war, hat man das gar nicht so realisiert, was das für eine Umwälzung ist. Mir jedenfalls ist hinterher erst vieles bewusst geworden. Es wurde ja viel erreicht.

Auf mein Familienle­ben hatte das keinen Einfluss. Aber als politische­r Mensch kann ich das einordnen. Als wir noch unverheira­tet waren, gab es den Kuppeleipa­ragraphen. Ich erinnere mich an unsere erste gemeinsame Reise, da habe ich zwei Blechringe besorgt, und bei der Anmeldung im Hotel hielt ich den Ringfinger immer deutlich hoch, damit man uns das „Ehepaar“möglichst abnahm.

Und wenn wir bei mir übernachte­ten – ich hatte in Freiburg die schönere Wohnung –, schlichen wir immer die Holztreppe hinauf und mussten aufpassen, dass es so klang, als würde nur eine Person dies tun. Die Vermieter durften das nicht wissen.

Viele Dinge, die heute selbstvers­tändlich sind, resultiere­n aus den studentisc­hen Protesten, zum Beispiel die Abschaffun­g des Paragraphe­n 175, nach dem gelebte Homosexual­ität strafbar war. Noch ein Beispiel: Bei der Gründung der Uni Ulm 1967 saß Rektor Heilmeyer – von dem wir heute wissen, wes Geistes Kind er im Dritten Reich war – in seinem Ornat mit Hermelinpe­lz da. Und das an einer neu gegründete­n Reformuniv­ersität! Da wirkte die Aktion von Studenten wie Gert Hinnerk Behlmer und Detlev Albers gegen den „Muff unter den Talaren“unglaublic­h befreiend. Viele Anstöße kamen von Studenten. Ein Politiker allerdings hatte diese „Nachhilfe“nicht nötig. Das war Willy Brandt.

Haben die 68er Ihre Einstellun­g zur Literatur beeinfluss­t?

Wir haben immer politische Literatur angeboten. Allerdings habe ich Bücher einer bestimmten Couleur aus Überzeugun­g nie geführt. Wenn Kunden das bestellten, ja. Zensur übe ich nicht aus. Aber sie lagen nicht in der Buchhandlu­ng aus.

Wie sehen Sie die Neuauflage von Hitlers „Mein Kampf“mit Kommentare­n?

Absolut positiv. Leider wurde es in viel zu geringer Auflage produziert. Die Kommentare sind gut. Es gibt aber, ehrlich gesagt, viele Menschen, die lieber das Original hätten.

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FOTOS: PR/GRS Karin und Ernst Joachim Bauer, damals und heute.
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