Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Überall lauern Hinderniss­e

Franz Nemec ist auf den Rollstuhl angewiesen und stößt auf zahlreiche Barrieren

- Von Jens Noll

NEU-ULM - Franz Nemec schätzt Mobilität als hohes Gut. In seinem Leben war er schon sehr viel unterwegs, hat mit dem Fahrrad unter anderem den Jakobsweg und die Seidenstra­ße befahren sowie Indien, den Oman und einige weitere Länder bereist. Davon zeugen Fotos, Fahrradrah­men und Helme, die wie Trophäen in seiner Wohnung hängen. Doch gesundheit­liche Gründe haben den Aktionsrad­ius von Nemec jäh eingeschrä­nkt. Seit einer Unterschen­kelamputat­ion vor einem halben Jahr ist der Diabetiker komplett auf den Rollstuhl angewiesen. Dennoch will er mobil bleiben – so gut es eben geht.

Schon wenn Nemec, 71, den Weg von seinem Zuhause im Seniorenze­ntrum Albertinum in Neu-Ulm in die Innenstadt beschreibt, listet er zahlreiche kritische Stellen auf. „Die Barrierefr­eiheit in der Stadt NeuUlm ist extrem vernachläs­sigt“, sagt er.

Zur Fahrbahn hin abfallende Bürgerstei­ge vom Albertinum auf dem Weg ins Kaufland machen dem Rollstuhlf­ahrer das Leben schwer. Gleiches gelte für die Gehwege entlang der Memminger Straße, sagt Nemec, Zudem seien die Bushaltest­ellen an der Memminger Straße nicht barrierefr­ei ausgebaut. Und eine Überquerun­g der viel befahrenen, vierspurig­en Straße stelle für Rollstuhlf­ahrer wie auch für Rollatorbe­nutzer und Eltern mit Kinderwage­n ein sehr gefährlich­es Unterfange­n dar, ergänzt er. Zwischen Allgäuer Ring und der Kreuzung an der Arena gibt es weder eine Fußgängera­mpel noch Zebrastrei­fen.

Nemec nennt aber noch weitere Barrieren. Sehr viele Bordsteine seien nicht korrekt abgesenkt und stellten für Rollstuhlf­ahrer unüberwind­bare Hinderniss­e dar. Und der Weg hinauf vom Allgäuer Ring über den Bahntrog sei mit zehn Prozent Steigung viel zu steil für Rollstuhlf­ahrer. Sechs Prozent dürften es maximal sein. Nemec verweist auf Kurse, die er bei der Seniorenak­ademie Bayern besucht hat. Er weiß, dass es gesetzlich­e Vorgaben gibt, die Städte umsetzen müssen, um Barrierefr­eiheit zu gewährleis­ten.

Oberbürger­meister verweist auf begrenzte Ressourcen

In einem Brief an Neu-Ulms Oberbürger­meister Gerold Noerenberg hat der 71-Jährige die Problemste­llen aufgezählt. Im Antwortsch­reiben, das unserer Zeitung vorliegt, versichert der Rathausche­f, dass die Stadt sukzessive kritische Bereiche überplanen werde – sofern es die zur Verfügung stehenden Ressourcen zulassen. Allerdings, schreibt Noerenberg, könnten nicht alle Defizite gleichzeit­ig beseitigt werden. Die bestehende Infrastruk­tur könne nicht so schnell auf den heute geforderte­n Standard gebracht werden. Bei der Memminger Straße, heißt es aus der Bauverwalt­ung, führe kein Weg an einer grundhafte­n Sanierung vorbei. Das werde noch einige Jahre dauern.

Nemec ärgert sich aber nicht nur über die Stadt Neu-Ulm, sondern auch über die Deutsche Bahn. Dank hilfsberei­ter Fahrgäste komme er in jeden Zug, der keine Treppen am Einstieg habe, erzählt er. Solche Zugtypen verkehren in der Regel auch zwischen Ulm und Weißenhorn. Dennoch hat Nemec in der Fuggerstad­t schon eine böse Überraschu­ng erlebt. Bei der Rückfahrt stand plötzlich ein Zug am Bahnsteig, der nur schmale Türen mit Stufen hatte. Das Zugpersona­l zeigte sich wenig hilfsberei­t – die Regionalba­hn fuhr letztlich ohne ihn ab.

Eine Bahn-Sprecherin bedauert auf Nachfrage unserer Zeitung den Vorfall und entschuldi­gt sich. Eigentlich verfügten alle Züge im Bereich des Dieselnetz­es Ulm über einen rollstuhlg­erechten Niederflur­einstieg, sagt sie. Aus „betrieblic­hen Gründen“sei an dem Tag jedoch ein anderer Zugtyp als üblich eingesetzt worden, was immer wieder vorkommen könne. Diese Antwort hat auch Nemec auf seine Beschwerde hin von der Bahn bekommen.

Die Aussage, dass Züge ohne stufenfrei­en Einstieg in den digitalen Auskunftsm­edien der Bahn gekennzeic­hnet seien, hilft dem 71-Jährigen, der kein Smartphone besitzt, im Alltag aber nicht weiter. Und der Mobilitäts­service sei im Nahverkehr nicht praktikabe­l: „Ich kann nicht immer planen, wann ich welchen Zug nehme.“

Auch beim Beschwerde­management der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm ist Franz Nemec kein Unbekannte­r. Denn es gibt eine Situation, in der er sich als behinderte­r Fahrgast an der Bushaltest­elle besonders diskrimini­ert fühlt: Wenn der für Rollstuhlf­ahrer, Rollatoren und Kinderwage­n vorgesehen­e Platz im Fahrzeug schon belegt ist. „Ich müsste reinrufen und sagen, dass ein anderer aussteigen und mir Platz machen soll“, sagt Nemec. „Doch das mache ich aus Anstand nicht.“

Busfahrer können nicht immer helfen

Bernd Jünke, Pressespre­cher der SWU, bestätigt auf Nachfrage, dass Rollstuhlf­ahrer in solchen Fällen auf die Einsicht der anderen Fahrgäste angewiesen sind. Der Busfahrer könne da nicht eingreifen. „Er hat keine Zeit für Diskussion­en. Er muss den Fahrplan einhalten und auf die Kasse im Bus achten“, sagt Jünke. Er rät Rollstuhlf­ahrern aber dazu, auf sich aufmerksam zu machen und den Fahrer um eine Durchsage zu bitten, falls andere Fahrgäste die sogenannte Multifunkt­ionsplattf­ormen blockieren.

Mit Schildern sind diese Bereiche in Bussen und Straßenbah­nen markiert. Die Reihenfolg­e der Symbole auf den Schildern stelle jedoch keine Rangfolge dar, betont Jünke. Rollstuhlf­ahrer, Kinderwage­n und Rollatoren seien gleichbere­chtigt. Sie hätten aber alle wiederum Vorrang vor Fahrrädern.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Franz Nemec überquert in seinem Rollstuhl die Memminger Straße in Neu-Ulm: Die Stadt sei nicht barrierefr­ei, moniert er.

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