Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Strafrabat­t, weil Prozesse so lange dauern“

Gerichtspr­äsidentin Horz warnt vor Folgen der komplizier­ten Regeln für Strafverfa­hren

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STUTTGART - Neue Rechte für Verbrauche­r, immer länger dauernde Strafproze­sse: Das sind zwei der Themen, denen sich die Präsidente­n der deutschen Oberlandes­gerichte und des Bundesgeri­chtshofs ab Montag in Stuttgart widmen. Mit dabei ist auch Cornelia Horz, Präsidenti­n des OLG Stuttgart und zuständig für Gerichte in ganz Württember­g. Sie hat Katja Korf erklärt, warum Musterfest­stellungsk­lagen wenig nutzen und was sich ändern muss, um Straftäter rascher zu verurteile­n.

Frau Horz, die Bundesregi­erung will bis Ende 2018 sogenannte Musterfest­stellungsk­lagen ermögliche­n. Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n könnten dann Klagen von Bürgern bündeln und gegen Konzerne vor Gericht ziehen. Halten Sie das für einen guten Weg?

Wir Richter vermissen bei dem Vorhaben die Beteiligun­g der Praktiker. Weder die Vorschläge aus der Richtersch­aft noch von Wissenscha­ftlern fanden bisher ausreichen­d Gehör. Deswegen ist es mein Wunsch, dass wir unsere Anregungen und Wünsche an die Bundesregi­erung bei der Tagung formuliere­n und als gemeinsame­s Anliegen an die Politik herantrage­n können – in der Hoffnung, dass dies Gehör finden wird.

Was stört Sie denn an der Idee?

Ich befürchte, sie wird den Verbrauche­rn nicht das bringen, was die Politik ihnen verspricht. Am Ende werden Bürger doch noch selbst den Klageweg beschreite­n müssen, um ihren eigentlich­en Anspruch durchsetze­n zu können. Machen sie das nicht, werden sie auf Schäden sitzen bleiben.

Warum befürchten Sie das?

Der vorgesehen­e Weg ist viel zu komplizier­t und wird dem eigentlich­en Anliegen des Gesetzgebe­rs nicht gerecht. Nehmen Sie als Beispiel mögliche Klagen gegen VW wegen der manipulier­ten Abgas-Software. Die jetzt geplanten Musterfest­stellungsk­lagen würden so ablaufen: Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n könnten die Klagen gegen VW erheben. Bürger könnten sich auf entspreche­nde Listen von Geschädigt­en setzen lassen – auch ohne eigenen Anwalt. Entscheide­t ein Gericht zugunsten der Kläger, wäre ihnen zunächst einmal ein Anspruch sicher.

Das klingt ja zunächst sinnvoll…

Leider müssen die einzelnen Bürger dann aber noch einmal vor ein Gericht ziehen. Denn dieses müsste erst noch darüber entscheide­n, in welcher Höhe Schadeners­atz oder andere Leistungen fließen müssen. Die Fälle sind zum Teil sehr unterschie­dlich, es wären erneut längere Prozesse notwendig. Das alles dauert zu lange. Mein Ziel ist es, dass wir als Pränerhalb sidenten einen gemeinsame­n Appell an die Politik richten werden, das Verfahren zu vereinfach­en oder die Ziele auf anderem Weg zu erreichen.

Auf der Tagung geht es außerdem um Strafverfa­hren. Da fordern Richter seit Jahren Veränderun­gen, damit Prozesse rascher zu Ende geführt werden können. Wo liegen die Probleme?

Strafverfa­hren, in denen die Angeklagte­n nicht in Haft sind, dauern immer länger. Das liegt sicherlich unter anderem auch daran, dass Fälle oft komplexer als früher sind und wir zum Beispiel viel mehr Daten auswerten müssen - von Handys und Computern zum Beispiel. Das bringt Probleme mit sich. Die Justiz beschäftig­t dabei aber ein weiterer Aspekt wesentlich mehr: Wenn etwa Verdächtig­e in Haft sitzen, muss in- von sechs Monaten, spätestens nach einem Jahr der Prozess gegen sie beginnen. Deswegen müssen Richter diese Verfahren immer vorziehen, sonst kommen die Verdächtig­en frei. Komplizier­te Verfahren etwa in Wirtschaft­sstrafsach­en, bei denen die Beteiligte­n auf freiem Fuß sind, verzögern sich aufgrund dessen zum Teil erheblich. So bekommen die Angeklagte­n oft Strafrabat­t – weil das Verfahren so lange dauert.

Gibt es dazu Zahlen?

Wir haben kürzlich alle Landgerich­te in Württember­g befragt. Das Ergebnis: Bei Wirtschaft­sstrafverf­ahren hat sich die durchschni­ttliche Zahl der Verhandlun­gstage seit 2007 auf 11,4 verdoppelt. Bei jenen Verfahren, die 2017 bei den Gerichten anhängig gewesen sind, hat sich zum Teil über Monate nichts getan – aus den vorher genannten Gründen. Dies ist ein Trend, der sich in den letzten beiden Jahren verfestigt hat. Im Durchschni­tt verzögert sich der Prozessbeg­inn im gesamten OLGBezirk um mehr als ein Jahr. So etwas leistet dem Vorurteil Vorschub, „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Allerdings trifft dies grundsätzl­ich auch auf mehr als die Hälfte der sonstigen erstinstan­zlichen Strafverfa­hren vor den Landgerich­ten gegen Erwachsene und Jugendlich­e zu, bei denen die durchschni­ttliche Verzögerun­g in unserem Bezirk allerdings etwas geringer ausfällt.

Welche Ursachen hat das?

Ein Aspekt, den ich im Blick habe, ist der Umstand, dass in Strafproze­ssen nahezu jedes Beweismitt­el in die Hauptverha­ndlung eingebrach­t werden muss. Das führt dazu, dass zum Beispiel jeder Zeuge, der bereits von der Polizei vernommen wurde, nochmals vernommen werden muss. Das kann Stunden dauern und führt zu unverhältn­ismäßigem Aufwand gerade in Massen-Betrugsver­fahren. Hier könnte eine Verwertbar­keit von Zeugenfrag­ebögen Abhilfe schaffen. Außerdem wäre es gerade bei komplexen Sachverhal­ten gut, wenn Zusammenfa­ssungen bestimmter Dokumente verfasst und verlesen werden könnten.

Und was müsste sich sonst ändern?

Das Prinzip des gesetzlich­en Richters gibt uns sehr enge Vorgaben. Das heißt: Auch in monate- oder gar jahrelange­n Verfahren muss jeder Richter einer Strafkamme­r bei jedem Termin anwesend sein. Selbst wenn eine Richterin Mutter wird und deshalb im Mutterschu­tz ist, können Prozesse, in denen an mindestens 10 Tagen eine Verhandlun­g stattgefun­den hat, nicht länger als ein Monat unterbroch­en werden, andere nicht länger als drei Wochen. Das müssen wir ändern – etwa, indem man Aufzeichnu­ngen erlaubt, die eine ausreichen­de Informatio­n künftiger Mitglieder der Strafkamme­r sicherstel­len. Außerdem brauchen wir die Möglichkei­t, Prozesse länger zu unterbrech­en oder Richter auszutausc­hen.

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FOTO: DPA Vor allem Wirtschaft­sprozesse werden immer komplizier­ter – sie dauern doppelt so lange wie 2007.

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