Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Erdogan schießt sich auf Deutschlan­d ein

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Terroriste­n-Show, Heuchelei, Komplott: Vier Wochen vor der Parlaments- und Präsidents­chaftswahl in der Türkei prangert die Regierung von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan mit diesen Etiketten angebliche Einmischun­gsversuche Deutschlan­ds an. Erdogan und seine Anhänger werfen der Bundesrepu­blik vor, die Regierung in Ankara von der Macht verdrängen zu wollen. Die Kritik entzündet sich daran, dass die deutschen Behörden am Samstag eine Kundgebung der Kurdenpart­ei HDP in Köln erlaubt hatten, während Wahlverans­taltungen der Regierungs­partei AKP verboten werden. Aber auch die Verantwort­ung für den jüngsten Kursverfal­l der Lira wird dem Westen angelastet. Vom viel beschworen­en Neuanfang in den Beziehunge­n ist keine Rede mehr.

Obwohl die HDP eine „Frontorgan­isation“der verbotenen kurdischen Terrororga­nisation PKK sei, dürfe die Partei in Deutschlan­d um Stimmen werben, so Erdogan. „Der AKP geben sie keinen Saal“, fügte er hinzu. Deutschlan­d denke offenbar: „Je mehr wir sie behindern, desto besser für uns.“In Köln hatten am Samstag mehrere hundert Kurden gegen den türkischen Militärein­satz im syrischen Afrin protestier­t. Die Kölner Polizei untersagte jedoch laut WDR wegen des Verbots ausländisc­her Wahlkampfv­eranstaltu­ngen den Auftritt von HDP-Politikern bei der Kundgebung. EU-Minister Ömer Celik sprach dennoch von einer „Terroriste­n-Show“. Das Außenminis­terium warf Berlin „Heuchelei“vor.

Einen Schritt weiter ging Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Er warf den Deutschen vor, sie wollten die Türkei zu einer Kreditaufn­ahme mit hohen Zinsen zwingen und damit „versenken“. Auch andere Regierungs­politiker machen angebliche Ränkespiel­e des Auslands für den drastische­n Wertverlus­t der Lira in den vergangene­n Wochen verantwort­lich. Erdogan kritisiert­e bei einer Wahlkampfr­ede am Samstag unter anderem den Milliardär George Soros sowie die „Zins-Lobby“. Der Präsident rief die Türken auf, etwaige Dollar-Ersparniss­e in Lira umzuwandel­n, um die Landeswähr­ung zu stützen und damit das angebliche Komplott des Auslands auszuhebel­n: „Wir werden dieses Spielchen durchkreuz­en.“

Die Lira hat innerhalb eines Monats rund 16 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Kritiker werfen der Regierung vor, mit ihren Klagen über das angeblich feindliche Ausland von der eigenen Verantwort­ung für die Währungstu­rbulenzen ablenken zu wollen. Einer der Auslöser für den Kurssturz war Erdogans Ankündigun­g, nach der Wahl im Juni mehr Verantwort­ung für die Finanzpoli­tik an sich zu ziehen. Dies verstärkte die Sorgen von ausländisc­hen Investoren.

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