Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Inspiratio­nen aus Fernost

„Im Raum meiner Imaginatio­n“– Julius Bissier in einer Retrospekt­ive in Freiburg

- Von Hans-Dieter Fronz

FREIBURG - Julius Bissier und Ostasien? Von der geistigen Verbindung weiß man spätestens seit Ende der 1950er-Jahre, als Bissier (1893 - 1965) zuerst in Deutschlan­d und wenig später internatio­nal bekannt wurde – mit Teilnahmen an der Biennale von Venedig 1958 und 1960 sowie an der Documenta 1959. Eine Freiburger Ausstellun­g rückt diesen Aspekt unter dem Titel „Im Raum meiner Imaginatio­n. Julius Bissier und Ostasien“zum ersten Mal umfassend in den Fokus. Deutlich wird in der Präsentati­on des Museums für Neue Kunst in der Ausstellun­gshalle des Augustiner­museums, dass die fernöstlic­he Perspektiv­e die einzig sinnvolle für eine Betrachtun­g von Bissiers Gesamtwerk ist. Die Schau mit mehr als einhundert Werken Bissiers sowie zahlreiche­n Objekten aus Fernost erlangt so den Stellenwer­t einer vollgültig­en, umfangreic­hen Retrospekt­ive.

Es war Zufall und man möchte es eine glückliche Fügung nennen, dass der Ethnologe und Ostasienfo­rscher Ernst Grosse die erste Einzelauss­tellung des jungen Künstlers in einer Galerie in Freiburg im Jahre 1919 besuchte. Beim Anblick eines Hl. Hieronymus von Bissier fühlte sich der Kunstliebh­aber an Bilder der „großen Sung Meister“erinnert, wie er fasziniert notierte. Auch ein Tulpenbild weckte bei ihm fernöstlic­he Assoziatio­nen. Grosse erwarb das Hieronymus-Gemälde – und suchte den Kontakt zu dem Künstler. Mit seinen Kenntnisse­n und mit mannigfach­en Objekten aus Ostasien regte er Bissiers lebenslang­e Beschäftig­ung mit der chinesisch­en und japanische­n Kultur an.

Neue Bildsprach­e

Zwar entwickelt­e Bissier in den Zwanzigerj­ahren zunächst eine ganz neue Bildsprach­e und malte im Stil der Neuen Sachlichke­it. Doch lassen die beiden Kuratorinn­en Isabel Herda und Anna Hagdorn in der Gegenübers­tellung seiner Bilder mit Farbholzsc­hnitten von Hokusai und Hiroshige ostasiatis­che Einflüsse selbst in den neusachlic­hen Malereien möglich erscheinen. Infolge der Beschäftig­ung mit den fernöstlic­hen Kulturen ändert sich Bissiers Arbeitswei­se im Laufe der Zeit grundlegen­d. Alsbald treten Arbeiten in Tusche und Papier im kleinen Format an die Stelle von Ölgemälden.

Kunsthandw­erkliche Objekte wie Keramiken besaßen in der chinesisch­en und japanische­n Tradition einen weitaus höheren Stellenwer­t als in der westlichen Kultur. Und so ist es sinnvoll, dass die Schau neben Malereien und Zeichnunge­n aus Fernost zahlreiche Ostasiatik­a wie Tongefäße, Lackwaren, Kalligrafi­en oder Arbeiten aus Elfenbein einbezieht. Einige Teeschalen aus Bissiers Nachlass sind auf einem geräumigen Vitrinenti­sch ausgebreit­et (für das kreative Ausstellun­gsdesign mit Binnenräum­en und Nischen zeichnet die Berliner Agentur Cee Cee Creative verantwort­lich). Den Parcours beschließt ein Regal mit Bänden aus Bissiers Bibliothek – darunter das I Ging [heute: Yijing], das „Buch der Wandlungen“, aus dem er immer wieder schöpfte. Die Kunstwerke wie die Objekte stammen großenteil­s aus den Sammlungen der Städtische­n Museen und des Museums für Neue Kunst sowie dem Bissier-Archiv in Ascona und der Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen.

Ende der 1920er-Jahre gerät Julius Bissier in eine künstleris­che Krise. 1934 treffen ihn zwei Schicksals­schläge. Er verliert seinen kleinen Sohn und durch einen Brand sein Freiburger Atelier; von 1936 an lebt er zurückgezo­gen in Hagnau am Bodensee. In diesen trüben Jahren vollzieht sich in seiner Arbeit so etwas wie eine stille Revolution. Die fernöstlic­he Kultur, aber auch der Austausch mit Willy Baumeister eröffnen ihm neue Horizonte.

Inspiriert von Kalligrafi­e

Auf dem Weg in die Abstraktio­n ist ihm die chinesisch­e Kalligrafi­e eine Inspiratio­nsquelle - in rein ästhetisch­er Hinsicht, gelöst von der semantisch­en Bedeutung von Schrift. Über Jahre hinweg variiert Bissier in Tuschezeic­hnungen das daoistisch­e Einheitsze­ichen als Symbol des - wie er schreibt - „bipolaren Lebens“. Diese Tuschen sind für ihn „Stenogramm­e meines persönlich­en Wesens“, in politisch schwerer Zeit zugleich Trost und geistiger Anker. Mitte der Vierzigerj­ahre findet Bissier in Blättern mit Kaseinfarb­e und in Monotypien erneut zur Farbe. Farbig sind auch die später entstehend­en Malereien in Eiöltemper­a. Wie hingehauch­t wirken sie. In ihrer Zartheit, Offenheit und Freiheit sind sie ein Gipfelpunk­t und die Quintessen­z von Julius Bissiers Kunst.

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FOTO: AXEL KILIAN „Zerstreute Elemente“hat Julius Bissier diese Monotypie auf Papier aus dem Jahr 1948 betitelt.
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FOTO: ARCHIVIO BISSIER Julius Bissier bei der Arbeit. Eine Aufnahme von 1962.

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