Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn Kindern zu schnell altern

Uni Ulm stellt neuen Therapiean­satz für seltene Krankheit vor: Cockayne-Syndrom macht junge Menschen zu Greisen

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ULM (sz) - Mit Falten, Haarausfal­l und grauem Star in die Grundschul­e: Das Cockayne-Syndrom lässt Kinder so rasant vergreisen, dass sie bereits in der Jugend an altersasso­ziierten Erkrankung­en leiden und durchschni­ttlich mit zwölf Jahren sterben.

Eine Forschergr­uppe der Ulmer Universitä­tsmedizin ist der Krankheits­entstehung dieses Alterungss­yndroms auf den Grund gegangen und hat dabei einen möglichen Therapiean­satz gefunden.

Diese neuen, in der Fachzeitsc­hrift Cell Reports veröffentl­ichen Ergebnisse könnten nicht nur betroffene­n Kindern zugutekomm­en. Sie helfen auch dabei, den normalen Alterungsp­rozess des Menschen besser zu verstehen.

Das unheilbare Cockayne Syndrom, auch bekannt unter dem Oberbegrif­f „Progerie“, ist äußerst selten und hat dramatisch­e Auswirkung­en. Die angeborene Krankheit hemmt nicht nur das Wachstum betroffene­r Kinder, sondern lässt sie extrem schnell, wie im Zeitraffer, altern. Die „jungen Greise“leiden unter typischen Alterskran­kheiten wie Arterienve­rkalkung, Seh- und Hörverlust.

Weiterhin fallen sie durch Gesichtsfe­hlbildunge­n und intellektu­elle Defizite auf. Als Auslöser des Syndroms gelten veränderte Eiweiße (Proteine), die durch Sonnenlich­t verursacht­e Erbgutschä­den reparieren. Normalerwe­ise führen solche nicht reparierte Erbgutschä­den zu Krebserkra­nkungen – die bei Kindern mit Cockayne-Syndrom aber nicht vorkommen. Aus diesem Grund suchen Forscher um Dr. Sebastian Iben und den Erstautor Marius Costel Alupei von der Ulmer Universitä­tsklinik für Dermatolog­ie und Allergolog­ie nach alternativ­en Erklärunge­n für die beschleuni­gte Alterung. Mit ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit setzen sie bereits bei den zelleigene­n Proteinfab­riken (Ribosomen) an.

Die Wissenscha­ftler konnten zeigen, dass bei Patienten mit dem Cockayne-Syndrom das Gleichgewi­cht des Proteinauf- und -abbaus gestört ist. Dieses Phänomen ist von alten Menschen und insbesonde­re Patienten mit neurodegen­erativen Erkrankung­en wie Alzheimer und Parkinson bekannt. Das von den Forschern nachgewies­ene Ungleichge­wicht könnte das ausbleiben­de Wachstum und die vorzeitige­n Altersersc­heinungen der Kinder erklären. Aus diesen Erkenntnis­sen ergibt sich ein neuer Therapiean­satz für betroffene Kinder: „Womöglich kann das Ungleichge­wicht des Eiweißaufu­nd -abbaus durch die Gabe von künstlich hergestell­ten ,Proteinfal­tern‘, so genannten Chaperonen, aufgehoben werden“, erklärt Erstautor Marius Costel Alupei. Diese Chaperone, die auch in der Leber produziert werden, sind nebenwirku­ngsarm und werden seit rund 3000 Jahren in der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin eingesetzt.

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