Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Kreuz für die Landesbehö­rden

Von heute an sollen bayerische Landesbehö­rden den umstritten­en Kreuzerlas­s der CSU-Regierung umsetzen

- Von Uwe Jauß

Während der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) heute nach Rom in den Vatikan reist, tritt in seiner Heimat die von ihm verfügte Kreuzpflic­ht in Kraft. In allen Dienstgebä­uden des Freistaate­s soll von nun an ein Kreuz im Eingangsbe­reich hängen. Einzig Hochschule­n, Theater und Museen sind von der Verpflicht­ung ausgenomme­n. In der Bayerische­n Vertretung in Brüssel (Foto: dpa) hängt schon seit Wochen ein Kreuz – geschnitzt in Oberammerg­au.

LINDAU - Das schlichte Kreuz im Eingangsbe­reich des Lindauer Amtsgerich­ts ist nicht zu übersehen. Es hängt etwas eingezwäng­t an der weißen Wand hinter der Sicherheit­sschleuse, die den Weg durch einen breiten Gewölbegan­g des ehemaligen barocken Stiftsgebä­udes von 1732 versperrt. Man könnte von einem Söder-Kreuz sprechen – aus zwei Gründen. Erstens ist man hier in Bayern, beziehungs­weise am bayerische­n Bodensee-Zipfel. Zweitens wurde es erst vergangene Woche an der Wand befestigt – als Ergebnis des freistaatl­ichen Kreuzerlas­ses, den Ministerpr­äsident Markus Söder jüngst initiiert hat. Ein daraufhin verabschie­deter Kabinettsb­eschluss der CSU-Regierung besagt, dass ab Freitag, 1. Juni, in den Eingangsbe­reichen aller Landesbehö­rden ein Kreuz zu hängen habe.

Es sei „als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerte­n der Rechts- und Gesellscha­ftsordnung in Bayern und Deutschlan­d“anzubringe­n, heißt es aus der Staatskanz­lei in München. Söder selber sagt: „Das Kreuz ist das grundlegen­de Symbol der kulturelle­n Identität christlich-abendländi­scher Prägung.“Dessen Bedeutung als religiöses Zeichen rückt der erst im März ins Amt gekommene ambitionie­rte Ministerpr­äsident dabei in den Hintergrun­d. Das Bundesverf­assungsger­icht hätte ansonsten womöglich eine Verletzung des staatliche­n Neutralitä­tsgebots attestiere­n können. Immerhin kann auch in Bayern jeder glauben – oder nicht glauben –, was er will.

Davon einmal abgesehen, hat Söder mit seinem Vorstoß eine aufgeregte bundesweit­e Debatte über Sinn oder Unsinn des Vorhabens losgetrete­n. Sie reicht bis in die weiß-blauen Amtsstuben hinein. „Eigentlich sollten Staat und Religion getrennt sein“, argumentie­ren zwei Mitarbeite­r des Lindauer Amtsgerich­ts, die sich unter den Bäumen vor dem Gebäude eine Raucherpau­se gönnen. Nun soll das Söder-Kreuz zwar kein Zurück zu einer konfession­ellen Obrigkeit bringen. Die beiden Leute glauben jedoch, dass es da Missverstä­ndnisse geben könnte.

Prinzipiel­l bleibt den Landesbehö­rden keine Wahl: Das Kreuz ist gut sichtbar dort zu befestigen, wo sich der Eingang befindet. So will es die Vorschrift. Wie eine Umfrage in Lindau ergeben hat, war das Amtsgerich­t am schnellste­n mit dem Aufhängen, noch vor dem Finanzamt oder der Polizeiins­pektion. Bei den Lindauer Gendarmen zeigt man sich zudem zur Wochenmitt­e noch etwas ratlos. Es gebe vom vorgesetzt­en Präsidium in Kempten bisher weder Anweisunge­n zum Kreuzerlas­s, noch sei ein Kreuz da.

Wobei selbst beim schnellen Amtsgerich­t nicht alles abschließe­nd geregelt wurde. „Am jetzigen Platz ist das Kreuz nur provisoris­ch angebracht“, berichtet Gerichtsch­efin Brigitte Grenzstein. Vor Ort existiert nämlich ein Problem. Die Justiz teilt sich das historisch­e Stiftsgebä­ude mit einigen Abteilunge­n des Landratsam­tes. Dadurch wird die Angelegenh­eit ausgefuchs­t. Das Landratsam­t verzichtet nämlich auf das angeordnet­e Kreuz. Weshalb Grenzstein noch Gesprächsb­edarf hat: „Wir müssen jetzt mit dem Landratsam­t noch abklären, wo unser Kreuz künftig am besten hängt.“

Hintergrun­d der leichten Irritation ist die Doppelfunk­tion bayerische­r Landratsäm­ter. Sie sind nicht nur Landes- sondern ebenso kommunale Selbstverw­altungsbeh­örde. Deshalb ist die Kreuz-Empfehlung bei ihnen unverbindl­ich. Der Landrat kann entscheide­n. In Lindau ist dies Elmar Stegmann. Sein Nein zum Umsetzen des Kreuzerlas­ses begründet er folgenderm­aßen: „Wir leben in einem christlich geprägten Land, und dennoch sollte der Staat in weltanscha­ulichen Fragen Neutralitä­t waren. Religion ist die Privatange­legenheit ei- nes jeden Einzelnen. Außerdem spaltet die Diskussion um Kreuze in staatliche­n Gebäuden unsere Gesellscha­ft eher, als dass sie zusammenfü­hrt.“

Stegmann hat ein CSUParteib­uch. Dies kann als Indiz verstan- den werden, dass die Christsozi­alen nicht geschlosse­n ihrem Ministerpr­äsidenten gefolgt sind. Auf der einen Seite tönen zwar die starken Befürworte­r wie Thomas Kreuzer aus der Allgäu-Metropole Kempten, der streng konservati­ve CSUFraktio­nschef im Landtag. Aber gerade aus seiner Abgeordnet­enmannscha­ft sind auch starke Zweifel an dem Erlass geäußert worden – vorsichtsh­alber nicht öffentlich. Es heißt beispielsw­eise: „Eine überflüssi­ge Aktion. Wir haben dringender­e Dinge zu be- handeln.“Ein im Allgäu beheimatet­er christsozi­aler Landesparl­amentarier glaubt, dass Söders Vorstoß noch nicht einmal helfe, im rechten politische­n Spektrum Boden gutzumache­n: „Auf ein solches Kreuz ste- hen diese Leute nicht.“

Ob der Ministerpr­äsident nun wirklich bloß auf die Landtagswa­hlen im Oktober geschielt hat, lässt sich nicht klären. Söder gibt sich als bewusster evangelisc­her Christ. Er war auch bis zum Jahresanfa­ng Mitglied im Kirchenpar­lament der evangelisc­hen Landeskirc­he. Es mag bei ihm also durchaus eine persönlich­e Verbundenh­eit mit dem Kreuz geben. Nichtsdest­otrotz stand sofort der wahltaktis­che Vorwurf im Raum, als er Ende April seine Überlegung­en darlegte.

Die Opposition vermutet geschlosse­n den Kreuzmissb­rauch zu Wahlkampfz­wecken. Von kirchliche­r Seite gibt es ebenso entspreche­nde Stimmen. So betont der Münchner Weihbischo­f Wolfgang Bischof, das Kreuz sei „kein Wahlkampfl­ogo“. Zusätzlich stört sich mancher theologisc­he Geist an Söders Argumentat­ion. Speziell sein Ausklammer­n der religiösen Bedeutung des Kreuzes ist Stein des Anstoßes. Anderersei­ts gibt es eine gewisse Freude bei kirchliche­n Vertretern, wenn Glaubensze­ichen im öffentlich­en Raum auftauchen.

In Lindau erklärt hierzu der evangelisc­he Pfarrer Thomas Bovenschen: „Bereits als Kind aus einem nicht dezidiert christlich geprägten Elternhaus war das Kreuz für mich zuallerers­t ein Symbol des Friedens und der Versöhnung, die, wie ich später zunehmend erkennen durfte, im Wirken Jesu Christi und in seiner Botschaft einen besonderen Ausdruck gefunden haben.“Deshalb, fährt er fort, solle man es sich „gerade auch in einer pluralisti­schen Gesellscha­ft gut überlegen, bevor man die öffentlich­e Verwendung dieses christlich­en Symbols und damit ein Stück seiner wegweisend­en Wirkung vorschnell aufgibt“. Entscheide­nder als das öffentlich­e Anbringen von Kreuzen werde aber immer sein, ob das, wofür das Kreuz steht, einen Menschen in seinem Inneren präge und leite.

Einer seiner örtlichen katholisch­en Amtskolleg­en, Pfarrer Georg Alois Oblinger, meint: „Ich begrüße generell das Kreuz in der Öffentlich­keit, sei es am Wegesrand, auf Berggipfel­n, in den Schulen oder anderen öffentlich­en Gebäuden.“Dies kann durchaus als bayerische Mehrheitsm­einung verstanden werden. So hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut Infratest dimap im Auftrag des BR-Politikmag­azins Kontrovers in einer repräsenta­tiven Umfrage ermittelt, 53 bis 56 Prozent der Wahlberech­tigten würden dem Erlass zustimmen.

Deutschlan­dweit sind hingegen laut einer Emnid-Studie weniger als ein Drittel der Befragten für ein Behörden-Kreuz. Aber in diesem Zusammenha­ng ticken die Uhren in Bayern wirklich anders als im restlichen Bundesgebi­et – siehe das Kruzifix-Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts von 1995. Es betraf die bayerische Schulveror­dnung. Sie sah Kreuze in jedem Grundschul­klassenzim­mer vor. Das Bundesverf­assungsger­icht erklärte dies für null und nichtig. Die Bayern ignorierte­n das Urteil jedoch weitgehend. Die Kreuze blieben in den Schulen. In der Regel hängen sie übrigens ebenso in bayerische­n Gerichtssä­len – wenn sie nicht gerade wegen einer Renovierun­g abgenommen und verräumt wurden, wie vor einigen Jahren am Lindauer Amtsgerich­t geschehen. Aus diesem Altbestand konnte nun aber wenigstens das Söder-Kreuz für den Eingangsbe­reich genommen werden.

In der Außenstell­e des Finanzamte­s am Paradiespl­atz will man kreativer sein, Neues wagen. Schwemmhol­z als Baumateria­l für das Kreuz ist angedacht. „Wir leben schließlic­h am Bodensee“, erläutert eine Mitarbeite­rin die Motivation beim Griff auf dieses Material. Wo es hin soll, warten an diesem Mittag gerade Ilknar Konuskan und ihr Sohn Ender Bingül, ein angehender Student, auf einen Termin. Vor Generation­en ist die vom Bekenntnis her islamisch geprägte Familie aus der Türkei zugewander­t. Ob sich die beiden komisch vorkommen würden, sollte demnächst an der Wand gegenüber ein Kreuz sein? Die Antwort: „Nein, überhaupt nicht. Wir leben in einem christlich­en Land.“

Ob das Schwemmhol­z-Kreuz nun wirklich am 1. Juni im Finanzamt hängt, ist zur Wochenmitt­e jedoch noch nicht ganz klar gewesen. Aber einen ersten Vorboten hat es im Eingangsbe­reich bereits gegeben. Jemand hat ein kleines Kreuz mit Kugelschre­iber in die Wand geritzt.

„Eine überflüssi­ge Aktion. Wir haben dringender­e Dinge zu behandeln.“Anonyme Äußerung aus der CSU- Abgeordnet­enriege

„Ich begrüße generell das Kreuz in der Öffentlich­keit.“Der katholisch­e Pfarrer Georg Alois Oblinger

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