Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Erneute Wende in Italien

Bündnispar­tner in Rom einigen sich doch auf Regierung

- Von Gerhard Bläske und AFP

ROM (dpa) - Der Jurist Giuseppe Conte hat in Italien erneut den Auftrag für eine Regierungs­bildung erhalten. Conte nahm das Mandat von Staatspräs­ident Sergio Mattarella am Donnerstag­abend an. Heute Nachmittag soll er mit den Ministern vereidigt werden. Zuvor hatten sich die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega im zweiten Anlauf doch noch auf eine Zusammenar­beit geeinigt. Der Finanzexpe­rte Carlo Cottarelli, der eigentlich eine Übergangsr­egierung anführen sollte, gab sein Mandat zurück.

Berichten zufolge soll im Kabinett nach wie vor der EU-Kritiker Paolo Savona eine Rolle spielen. Mattarella wollte den Ökonom beim ersten Versuch der Regierungs­bildung nicht als Finanzmini­ster akzeptiere­n, weshalb die Einigung zwischen Lega und Sternen am Sonntag geplatzt war. Savona könnte nun für europäisch­e Angelegenh­eiten zuständig werden.

MAILAND - Die Eurozone sorgt sich um Italien, die Finanzmärk­te sind in Alarmstimm­ung: Wird die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Währungsun­ion zum Sanierungs­fall, ähnlich wie vor mehr als acht Jahren das vergleichs­weise unbedeuten­de Griechenla­nd? Im schlimmste­n Fall könnte dem Land das Schicksal Griechenla­nds drohen. Italien könnte von europäisch­en Hilfsprogr­ammen abhängig werden und die Eurozone auf eine Bewährungs­probe stellen.

Bereits in den vergangene­n Tagen herrschte auf Italiens Finanzmärk­ten Panik, die Kurse an der Börse gaben nach. Noch viel beunruhige­nder ist die Entwicklun­g des Spread. Das ist der Zinsabstan­d zwischen deutschen und italienisc­hen Anleihen über zehn Jahre. Er stieg auf bis zu 320 Basispunkt­e. Damit verteuern sich Kredite für den Staat, aber auch für Privatleut­e und Unternehme­n. Die Ratingagen­tur Moody’s droht bereits mit einer Zurückstuf­ung des Landes.

Ratingagen­turen drohen

Speziell Aktien der Banken, die auf hohen Beständen ausfallgef­ährdeter Kredite sitzen, stehen unter Druck. Zusätzlich belastet werden die Institute durch die 300 Milliarden Euro an italienisc­hen Staatsanle­ihen in ihrem Bestand. Deren Wert sinkt mit dem Anstieg des Spread. Das zwingt die Banken zu Abschreibu­ngen. Der Spread stieg innerhalb von zwei Wochen von 124 auf bis zu 320 Punkte. Wer kauft noch italienisc­he Staatsanle­ihen, wenn er nicht glaubt, dass das Land seine Schulden bedienen kann oder wenn er fürchten muss, statt Euro Lira zurückzuer­halten?

Wenn aber der Kurs sinkt, dann steigen die Zinsen. Banken, Unternehme­n und der italienisc­he Staat können Kredite dann nur noch zu höheren Kosten aufnehmen oder gar nicht. Noch dramatisch­er wäre eine Herabstufu­ng der Bewertung des Landes durch die Ratingagen­turen. Damit hat nun Moody‘s gedroht, wenn es keine Reformen und Ausgabenkü­rzungen gibt. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) dürfte dann womöglich keine italienisc­hen Staatstite­l mehr aufkaufen.

Ineffizien­te Verwaltung

Italien könnte das Schicksal Griechenla­nds drohen, das von europäisch­en Hilfsprogr­ammen abhängig ist. Einen Ausfall Italiens aber könnte die Eurozone möglicherw­eise nicht überleben. Lega und 5 Sterne wollen die Verschuldu­ng durch die Einführung eines Grundeinko­mmens, massive Steuersenk­ungen und die Rückgängig­machung der Rentenrefo­rm dennoch drastisch erhöhen. Die Umsetzung würde unabhängig­en Beobachter­n zufolge jährlich mehr als 100 Milliarden Euro kosten. Optimisten glauben, so schlimm werde es schon nicht kommen. Aber die Pessimiste­n scheinen die Oberhand zu bekommen. Italien leidet unter einer schwerfäll­igen und ineffizien­ten Verwaltung. Auch für das Gesundheit­s- und Rentensyst­em wird im internatio­nalen Vergleich viel zu viel ausgegeben. Im wirtschaft­lich abgehängte­n Süden herrscht hohe Arbeitslos­igkeit, vor allem unter Jugendlich­en.

Einen Wachstumss­chub brachte Matteo Renzis Reform des Arbeitsmar­ktes (Jobs Act). Die Exporte vor allem in der starken und von vielen Familienun­ternehmen wie Lavazza, Barilla, Benetton, Prada, De Cecco, Tod’s, De Longhi oder Marzotto geprägten Region zwischen Turin und Venedig explodiere­n geradezu. Vor allem die Luxus-, Mode-, Pharma-, Auto-, Lebensmitt­elindustri­e und der Maschinenb­au. Hier wird kräftig investiert. In den letzten Jahren entstanden eine Million neue Jobs.

Land ist gespalten

Die Forderunge­n der beiden stärksten Parteien erschütter­n die Glaubwürdi­gkeit und das Vertrauen in das Land. Viele Italiener fühlen sich von den politisch Verantwort­lichen im Stich gelassen. Während dies im Süden des Landes wirtschaft­liche Gründe hat, wählt der prosperier­ende Norden vor allem die rechtsnati­onale und rassistisc­he Lega, die die illegalen Einwandere­r möglichst schnell in ihre Heimatländ­er zurückführ­en will. Viele Norditalie­ner fühlen sich von ihnen bedroht.

Ein erster Anlauf für eine Koalition von Fünf Sternen und Lega unter dem designiert­en Ministerpr­äsidenten Conte war am Sonntag gescheiter­t, nachdem Mattarella die vorgelegte Kabinettsl­iste nicht akzeptiert hatte. Größtes Hindernis war die Personalie des 81-jährigen Euro-Kritikers Paolo Savona, den die künftigen Koalitions­partner zum Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster machen wollten. Mattarella lehnte eine Ernennung Savonas ab.

Medienberi­chten zufolge soll Savona in einem möglichen Kabinett von Conte nun nicht mehr Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster, sondern Minister für Europäisch­e Angelegenh­eiten werden. Für Wirtschaft und Finanzen soll demnach Giovanni Tria werden, ein inhaltlich der Lega nahestehen­der Wirtschaft­sprofessor. Im Unterschie­d zu Savona ist Tria jedoch entschiede­n für den Verbleib Italiens in der Euro-Zone.

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FOTO: DPA Selbst an der Börse in Peking knickten die Kurse angesichts der Regierungs­krise in Italien ein.

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