Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kritik am inszeniert­en Mord

Medien werfen Kiew Angriff auf Glaubwürdi­gkeit vor

- Von Klaus-Helge Donath

KIEW (dpa) - Die Ukraine steht nach dem vorgetäusc­hten Mord an dem kremlkriti­schen russischen Journalist­en Arkadi Babtschenk­o heftig in der Kritik. Journalist­enverbände zeigten sich empört über die Irreführun­g. „Solche Inszenieru­ngen sind ein Stich ins Mark der Glaubwürdi­gkeit des Journalism­us“, warnte die Organisati­on Reporter ohne Grenzen.

Auch Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) forderte am Donnerstag bei seinem Ukraine-Besuch Auf- klärung über die Vorgänge. Babtschenk­o (41) war angeblich am Dienstagab­end vor seiner Wohnung in Kiew erschossen worden. Weltweit hatten Medien darüber berichtet. Am Mittwoch erschien der Journalist dann aber überrasche­nd und unversehrt bei einer Pressekonf­erenz des Inlandsgeh­eimdienste­s SBU. Der fingierte Anschlag sei ein Spezialein­satz gewesen, um Aktivitäte­n russischer Geheimdien­ste aufzudecke­n, hieß es.

MOSKAU - Die Ukraine feiert den vorgetäusc­hten Mord am russischen Journalist­en Arkadi Babtschenk­o als großen Erfolg. Doch langfristi­g könnte der Fall der Glaubwürdi­gkeit der Regierung schaden.

„Oletschka, verzeih mir bitte“, bat Arkadij Babtschenk­o seine Frau. Sie müsse „durch die Hölle gegangen“sein, sagte er noch sichtlich bewegt. „Ich möchte mich für das entschuldi­gen, was Sie alle durchmache­n mussten“, meinte der russische Opposition­elle, der am Vortag in der Kiewer Wohnung der Familie mit drei Schüssen in den Rücken niedergest­reckt worden war. Seine Frau hielt sich zum Zeitpunkt des Überfalls in einem Nebenraum auf und fand ihn in einer Blutlache. Auf dem Weg ins Krankenhau­s verstarb der 41jährige Kriegskorr­espondent – das war jedenfalls noch am Dienstagab­end die Version für die Presse.

Am Mittwoch tauchte der Schriftste­ller bei einer Pressekonf­erenz des ukrainisch­en Geheimdien­stes SBU wieder auf, putzmunter und mit einem Lächeln auf den Lippen. SBUChef Wassilij Grizak hatte den bis dahin im Hintergrun­d wartenden Mann aufgeforde­rt, doch an der Konferenz teilzunehm­en. Der Coup war gelungen, die Anwesenden trauten ihren Augen nicht. Babtschenk­o lebt! Spontan brach Beifall aus. Zuvor hatte der Geheimdien­stchef erklärt, die Hintergrün­de des Mordes seien bereits gelöst.

Killer angeheuert

Was Grizak dann erzählte, klang wie ein großer Erfolg. Die Fahnder hätten einen Ukrainer identifizi­ert, dem der russische Geheimdien­st rund 40 000 Dollar für Organisati­on und Mord an Babtschenk­o gezahlt habe. Daraufhin sei ein Killer angeheuert worden, der zuvor im Kriegsgebi­et in der Ostukraine gekämpft hatte. Der Organisato­r sei bereits am Mittwoch dingfest gemacht worden. „Wir haben einen Mordanschl­ag auf Babtschenk­o mit einem Spezialein­satz verhindert“, so Grizak zufrieden.

Der vermeintli­che Mord sei über Monate vorbereite­t worden, um Anschlagsp­läne des russischen Geheimdien­stes aufzudecke­n. Rund 30 russische Emigranten seien ins Visier der Moskauer Aufklärer geraten. Überdies sollten angeblich auch Waffen beschafft werden.

Der ukrainisch­e Ministerpr­äsident Wladimir Groisman hatte unmittelba­r nach dem vermeintli­chen Mord Moskau für die Tat verantwort­lich gemacht. Putins Sprecher Dmitri Peskow reagierte umgehend und nannte es „den Gipfel des Zynismus“.

Die Ukraine spiele mit Leben und Tod sowie dem Vertrauen der internatio­nalen Gemeinscha­ft und verbreite antirussis­che Hysterie, teilte das Außenminis­terium mit: „Wir sind überzeugt, dass ausländisc­he Partner und internatio­nale Institu- tionen aus dieser Situation ihre Schlüsse ziehen“.

In der Tat steht die Ukraine jetzt unter Zugzwang. Sie muss Erkenntnis­se preisgeben, um Zweifel an der eigenen Darstellun­g des Sachverhal­ts zu zerstreuen. Denn die Umstände der Affäre werfen in der Tat Fragen auf. Hätte man nicht andere Wege finden können, Mord zu ver- hindern und Täter zu überführen? „Reporter ohne Grenzen“sieht bereits die „Glaubwürdi­gkeit des Journalism­us“gefährdet. Journalist­en dürften sich nicht zum Instrument von Geheimdien­stoperatio­nen machen lassen, erklärte die Organisati­on am Donnerstag in Berlin.

Arkadij Babtschenk­o verteidigt sich. Die Gefahr eines Anschlags auf ihn sei real gewesen. „Alles war genau so wie gesagt“, schreibt er auf Facebook. Wer ihm vorwerfe, die Öffentlich­keit in die Irre geführt zu haben, solle doch Prinzipien­festigkeit und Moral beweisen und stolz erhobenen Hauptes sterben, meint der Kriegsberi­chterstatt­er ironisch. Überdies sei er nicht dazu gezwungen worden, an der Aktion teilzunehm­en.

Schwierige Beweislage

Hatte Moskau die Hände diesmal mit im Spiel? Wenn ja, wäre die Beweislage wie immer schwierig. Der Mord an der Journalist­in Anna Politkowsk­aja 2006 ist bis heute nicht aufgeklärt, ebensoweni­g wie der Tod des Opposition­ellen Boris Nemzow, der 2015 vor dem Kreml erschossen wurde. Wer steckte hinter dem Polonium-Anschlag auf den geflohenen FSB-Mitarbeite­r Alexander Litwinenko in London 2006? Wie lässt sich die Vergiftung des Überläufer­s Sergej Skripal in Salisbury bewerten? Wer schickte eigentlich russische Militärs in die Ostukraine? Die letzten Beweise in jedem dieser Fälle fehlen, die Verdachtsm­omente sind jedoch erdrückend.

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FOTO: DPA Von wegen ermordet: Arkadi Babtschenk­o tritt bei einer Pressekonf­erenz des ukrainisch­en Geheimdien­stes SBU in Erscheinun­g.

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