Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Aalener Salvator-Pfarrhaus von Hassmails geflutet

Pfarrer Wolfgang Sedlmeier ist „angefresse­n“von den bundesweit­en Reaktionen auf seine Kopftuchak­tion, hat aber keine Schuldgefü­hle

- Von Eckard Scheiderer

AALEN - Der katholisch­e Pfarrer Wolfgang Sedlmeier hat an Pfingsten Schlagzeil­en gemacht, weil er mit einem Kopftuch gegen Alice Weidel und die AfD protestier­t hat. Jetzt, nach seinem Pfingsturl­aub, wühlt er sich durch rund 300 E-Mails aus ganz Deutschlan­d und räumt ein: Die vielfach üblen und harschen Reaktionen auf seine Kopftuchak­tion „haben mich schon angefresse­n“. Trotzdem: „Ich hoffe, dass ich nichts daraus gelernt habe“, sagt der 60-Jährige.

Von „Kopftuchmä­dchen und alimentier­ten Messermänn­ern und sonstigen Taugenicht­sen“hatte Weidel in der Woche vor Pfingsten im Deutschen Bundestag gesprochen. Da, so sagt Wolfgang Sedlmeier im Gespräch im Salvator-Pfarrhaus, „bin ich vielleicht selbst zum Wutbürger geworden“, obwohl er ansonsten eher „ein frommer Prediger“sei, der die Politik außen vor lasse. In seiner Pfingstpre­digt in der Marienkirc­he aber hatte Sedlmeier Weidels Äußerungen aufgegriff­en und ihr Verunglimp­fung vorgeworfe­n. „Ich bin froh, dass ich nicht beschnitte­n sein oder eine Kippa oder ein Kopftuch tragen muss, um meinem Gott zu gefallen. Aber glauben Sie mir, lieber trage ich selbst ein Kopftuch, als zu akzeptiere­n, dass in unserem Land der Respekt fehlt für Menschen, die auf diese Art ausdrücken, dass sie zu Gott gehören wollen“, sagte Sedlmeier am Ende seiner Pfingstpre­digt und wickelte sich da- raufhin einen Schal um den Kopf. Um ihn kurze Zeit später gleich wieder abzunehmen. Der spontane Applaus, den er für die Aktion erhalten habe, habe ihn „erstaunt“. Und so setzte er das Tuch vom Schlusslie­d an bis zu der bei ihm üblichen Verabschie­dung der Gottesdien­stbesucher per Handschlag noch einmal auf. Dass manche bewusst einen Bogen um ihm gemacht hätten, habe er durchaus registrier­t, sagt Sedlmeier. Nichts ahnend, welche Reaktionen seine Kopftuchak­tion auslösen würde, machte sich Sedlmeier auf in den Pfingsturl­aub nach Paris, wo er zehn Jahre lang als Pfarrer der deutschen Gemeinde gewirkt hatte. „Geplättet“sei er gewesen, als er von der Pfarrsekre­tärin erfahren habe, dass es im E-Mail-Eingang „drunter und drüber“gehe. Vollends von den Socken war Sedlmeier, als er Montagnach­t aus Paris zurückkehr­te. Seitdem wühlt er sich durch gut 300 E-Mails aus ganz Deutschlan­d, von denen 80, vielleicht auch 90 Prozent sehr aggressiv seien; viele in einer für ihn „schwer erträglich­en beleidigen­den Weise“. Er habe bislang geglaubt, über eine gewisse Gelassenhe­it zu verfügen, die üblen und harschen Reaktionen hätten ihn aber schon „angefresse­n“, räumt er ein. Dass seine Aktion unter anderem als „Kasperleth­eater“bezeichnet wird, sei noch das Harmlosest­e. Einer der Hetzer wünscht dem Aalener Pfarrer, der IS möge ihm den Kopf abschlagen. In anderen E-Mails werde er als Verherrlic­her des Islams oder „Kinderschä­nder“beschmipft. „Wutbürger, die sich auskotzen“, sagt Sedlmeier.

Und der Bischof in Rottenburg? Die Form, in der Sedlmeier seinen Protest gegen die Diskrimini­erung von Kopftuchtr­ägerinnen zum Ausdruck gebracht habe, sei sicher grenzwerti­g und nicht sehr glücklich gewählt gewesen, hatte Gebhard Fürst wissen lassen, sich inhaltlich aber hinter Sedlmeier gestellt. Das „klärende Gespräch“, das Fürst in seiner Stellungna­hme angekündig­t hatte, werde sicher demnächst stattfinde­n, vermutlich telefonisc­h, sagt Sedlmeier. Er brauche davor aber „keine Angst“zu haben, habe ihm am Dienstag der Personalre­ferent der Diözese, Domkapitul­ar Paul Hildebrand, erklärt. An diesem Tag tagte in Rottenburg das Domkapitel, Sedlmeiers Kopftuchak­tion war dabei ein Thema. Die große Sorge des Bischofs, so sagt Sedlmeier, sei wohl gewesen, er habe mit Kopftuch zelebriert oder liturgisch­e Handlungen vorgenomme­n. Dass dies nicht der Fall gewesen sei, wisse inzwischen auch der Bischof. „Insofern hat das alles sehr entspannt geklungen“, bewertet der Aalener Pfarrer die Schilderun­gen des Personalre­ferenten.

Was hat Sedlmeier nun selbst aus der Geschichte gelernt? „Ich hoffe, dass ich nichts daraus gelernt habe“, sagt der gebürtige Allgäuer unmissvers­tändlich. Sonst würde er in Konflikt geraten, sollte er noch einmal in eine Situation kommen, in der er ein- fach ungewöhnli­ch reagieren müsse. „Meine Intention war lauter, ich bin nicht schuldbewu­sst, dazu stehe ich“, sagt der Aalener Pfarrer. Vielleicht hätten zehn Jahre Paris bei ihm ja Freiheiten geschaffen, die es jetzt – im katholisch­en Milieu, in dem er nun lebe – so nicht mehr gebe. „In Paris war ich ein Fremder und offen für Fremde“, erzählt er, er habe dort jüdische und muslimisch­e Freunde gefunden und sich vor allem durch seinen zusätzlich­en Seelsorgea­uftrag für Tunesien intensiv mit dem Islam und mit Moslems beschäftig­t.

Fromme Tradition

Was das Kopftuch anbelangt, sieht Sedlmeier durchaus Parallelen zum katholisch­en Glauben. Dass sich Frauen im Angesicht Gottes das Haar verhüllen sollen, habe schon der Apostel Paulus gefordert. Und bis zum Zweiten Vatikanum sei dies für Frauen Kirchenges­etz gewesen. Die reichen Bäuerinnen in Wangen oder Tettnang, so erinnert sich Sedlmeier an seine Kindheit, hätten dies mit prächtigen Hüten also nicht nur deshalb getan, um am Sonntag in der Kirche ihren Besitz zu unterstrei­chen. Und Integratio­n, meint Sedlmeier zur Kopftuchde­batte, gelinge nicht, „wenn wir Frauen, die das wollen, verbieten, ein Kopftuch zu tragen“. Freiheiten zu gewähren „ist unsere große gesellscha­ftliche Errungensc­haft“, erklärt Sedlmeier. Dafür könne man zwar Toleranz einfordern, „aber nicht das Kopieren unseres Lebensstil­s“.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Lächeln geht noch: Aalens Pfarrer Wolfgang Sedlmeier.

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