Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Wer riskant wirtschaftet, soll auch dafür haften“
Roman Glaser, Präsident des Genossenschaftsverbands im Südwesten, zu 20 Jahren Europäische Zentralbank
RAVENSBURG - Als Zentralbank für die Eurozone wurde die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet – am heutigen Freitag wird sie 20 Jahre alt. Ihr wichtigster Auftrag sei die Wahrung der Preisstabilität, sagt Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands. Im Gespräch mit Claudia Kling kritisiert er die Pläne für eine europäische Einlagensicherung und den anhaltend niedrigen Leitzins.
Herr Glaser, 20 Jahre Europäische Zentralbank – ist das für Sie ein Grund zum Feiern?
Bei der EZB geht es mir nicht um das Thema Feiern, sondern um das Erinnern an das vorrangige Ziel des europäischen Systems der Zentralbanken, die Preisstabilität zu gewährleisten. Ihre Gründung war Teil der europäischen Integration. Vom Grundgedanken her ist es richtig, bei einer gemeinsamen europäischen Währung eine gemeinsame europäische Zentralbank zu schaffen. Das war ein sinnvoller Schritt, dem man gedenken sollte.
Wie fällt Ihre Bewertung der EZB aus?
Unterschiedlich. Die Idee, eine gemeinsame Geldpolitik zu betreiben, ist sicherlich richtig. Aber es gibt zwei Themen, bei denen die EZB gerade uns Deutsche stark strapaziert. Das erste ist die langanhaltende Niedrigzinspolitik, die ich in dieser Form volkswirtschaftlich für langfristig schädlich halte. Das zweite ist die europäische Einlagensicherung.
Die EZB hat sich mit ihrer jüngsten Positionierung ohne Not in die laufende politische Debatte eingemischt. Das ist für meine Begriffe eine Überdehnung des Mandats einer unabhängigen europäischen Zentralbank.
Haben Sie mit Ihrer Kritik an der geplanten europäischen Einlagensicherung etwas erreicht?
Ja, wir haben die politischen Entscheidungsträger in Bund und Land für unser Anliegen sensibilisieren können. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben sich bislang so positioniert, dass man über eine vergemeinschaftete europäische Einlagensicherung erst dann sprechen kann, wenn zunächst eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist: eine Lösung der Problematik der faulen Kredite in Europa, ein einheitliches europäisches Insolvenzregime und die Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital. Unsere Argumente, die wir auch im Sinne der Bevölkerung vorgetragen haben, konnten überzeugen. Aber die entscheidende Verhandlungsphase hat erst begonnen.
Die Kuh ist für Sie also noch nicht vom Eis?
Nein, es kommt jetzt darauf an, dass die Bundesregierung standhaft bleibt. Wir stehen auf jeden Fall zu der Positionierung, dass eine vergemeinschaftete europäische Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt ein ganz schlechter Weg wäre.
Warum ist dieses Vorhaben für Volks- und Raiffeisenbanken sowie für Sparkassen in Deutschland so bedrohlich?
Es geht in erster Linie um die Kunden der beiden Bankengruppen, nicht um die Banken an sich. So- wohl die Volksbanken und Raiffeisenbanken als auch die Sparkassen haben über die Jahre einen eigenen Einlagen- und Institutssicherungsschutz etabliert, um in schwierigen Phasen bestehen zu können. Mit diesem Weg konnten wir bis dato sicherstellen, dass noch nie ein Kunde Geld verloren hat – weder Pfennig noch Cent. Dazu kommt: Die Genossenschaftsbanken in Deutschland haben bereits wie die Sparkassen die geltende europäische Einlagensicherungsrichtlinie umgesetzt und in ein europäisches Sicherungssystem einbezahlt – das ist in anderen Ländern noch nicht der Fall.
Was stört Sie dann an der geplanten europäischen Einlagensicherung?
Sie würde zu einer Vergemeinschaftung der Risiken führen und individuelle Lasten auf andere abwälzen. Das könnte zur Folge haben, dass der Kunde einer Volksbank oder einer Raiffeisenbank im Allgäu oder in Oberschwaben in die Haftung genommen würde für die Risiken irgendeiner Bank in Europa. Wer riskant wirtschaftet, soll auch dafür haften. Dieses prägende Prinzip der Einheit von Risiko und Haftung wird mit einer vergemeinschafteten europäischen Einlagensicherung durchbrochen, und das lehnen wir ab.
Die EZB hat sich in der Finanzkrise auch einer Politik des lockeren Geldes verschrieben. Ist es an der
Zeit, sich davon wieder zu verabschieden?
Es braucht eine allmähliche Veränderung dieser Politik, so wie es Bundesbankpräsident Jens Weidmann schon seit Längerem fordert. Wir müssen uns in Trippelschritten von der Niedrigzinspolitik verabschieden, weil diese Waffe ansonsten stumpf wird. Es ist an der Zeit, die Märkte wieder auf normale Zinsverhältnisse vorzubereiten.
Würde das einige Euroländer, vor allem im Süden der Eurozone, nicht zurückwerfen?
Bei Staaten ist es wie bei Privatpersonen und Unternehmen: Billiges Geld nimmt den Druck, Reformen einzuleiten. Ich rede mit Sicherheit nicht einer schnellen Zinswende das Wort, weil dies tatsächlich zu Verwerfungen führen könnte, aber eine baldige geldpolitische Wende ist dringend geboten. Zudem hat die Politik des billigen Geldes nicht zu den notwendigen Strukturreformen in vielen Ländern Europas geführt – auch bei uns hat der Reformdruck nachgelassen. Das ist langfristig schädlich.
Was sollte die EZB machen, um die Eurozone weiter zu stabilisieren?
Die EZB muss schlicht ihrem Auftrag nachkommen und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik betreiben. Dazu gehört, den Märkten zu signalisieren, dass das Programm, Staatsanleihen aufzukaufen, allmählich auslaufen wird. Die EZB hat es mit ihrer Politik der vergangenen Jahre zwar geschafft, die Eurozone zu stabilisieren, ihr ist es aber nicht gelungen, notwendige Strukturreformen in den Ländern der Eurozone auszulösen, um langfristige Stabilität zu erreichen.
Sollte ein Deutscher Nachfolger von Mario Draghi werden – und hat Jens Weidmann Chancen auf diesen Posten?
Natürlich würde ich mich freuen, wenn künftig auch einmal eine Persönlichkeit aus Deutschland EZBPräsident würde. Aber entscheidend ist die richtige geldpolitische Ausrichtung des Präsidenten. Bei Jens Weidmann wäre dies sicherlich gegeben. Er ist ein ausgesprochen kluger und stabilitätsorientierter Mann, der durch seine Fachkompetenz besticht und die Entwicklung der gesamten Eurozone im Blick hat.
Würde dies nicht die Kritik an Deutschlands angeblich beherrschender Rolle in der Eurozone weiter anheizen?
Das eine ist die veröffentlichte Meinung, das zweite ist öffentliche Meinung und das dritte sind die reinen Fakten. Als überzeugter Europäer beobachte ich die derzeitige Polarisierung in Europa natürlich mit Sorge. Gerade Jens Weidmann ist ein besonnener Mann, der gewiss dazu beitragen könnte, dass sich auch die verbalen Auseinandersetzungen innerhalb Europas wieder beruhigen könnten.