Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

In Spanien deutet alles auf einen Sturz Rajoys hin

- Von Ralph Schulze, Madrid

Schlittert nun auch noch Spanien in die Krise? Nach massiven Korruption­svorwürfen gegen die konservati­ve Regierung wackelt der Stuhl von Ministerpr­äsident Mariano Rajoy.

Es ist ungewiss, ob er heute ein Misstrauen­svotum im spanischen Parlament überstehen wird. Verliert Rajoy, hätte dies zunächst einen Regierungs­wechsel und mittelfris­tig wohl auch Neuwahlen zur Folge. Angesichts der schwierige­n Lage wurde nicht ausgeschlo­ssen, dass Rajoy, der seit 2016 mit einem Minderheit­skabinett regiert, freiwillig seinen Hut nehmen wird.

Vergangene Woche hatte Spaniens Nationaler Gerichtsho­f hohe Haftstrafe­n gegen 29 konservati­ve Politiker und parteinahe Unternehme­r wegen Bestechlic­hkeit verhängt. Die Richter waren zu dem Schluss gekommen, dass Rajoys Volksparte­i Teil eines „wirkungsvo­llen Systems der institutio­nellen Korruption“gewesen sei. Rajoys Aussage, von diesem Sumpf nichts gewusst zu haben, hatten die Richter als unglaubwür­dig eingestuft.

Spaniens Sozialiste­nchef Pedro Sánchez hatte daraufhin einen Misstrauen­santrag gegen Rajoy gestellt. Sollte der 46-jährige Sozialist die Misstrauen­sabstimmun­g gewinnen, würde er automatisc­h neuer Ministerpr­äsident Spaniens werden. Sánchez kündigte an, dass er in diesem Falle Rajoys Haushaltsp­lan respektier­en werde, „um die Regierbark­eit des Landes zu garantiere­n“. Zu einem späteren Zeitpunkt will Sánchez vorzeitige Neuwahlen ansetzen.

Damit sein Misstrauen­santrag erfolgreic­h ist, muss Sánchez die absolute Mehrheit der Parlamenta­rier für einen Machtwechs­el gewinnen. In Spaniens Parlament sitzen 350 Abgeordnet­e, die absolute Mehrheit liegt bei 176 Stimmen. Sánchez hat die Stimmen seiner sozialisti­schen Fraktion und der linksalter­nativen Protestpar­tei Podemos sicher, was zusammen 156 Stimmen ausmacht.

Auf die Kleinen kommt es an

Den Ausschlag bei dieser Abstimmung werden vermutlich die kleinen nationalis­tischen Parteien aus dem Baskenland und aus Katalonien geben, die nicht abgeneigt scheinen, Sánchez zu unterstütz­en. Sánchez bot den katalanisc­hen Parteien, die mehr regionale Autonomie und ein Unabhängig­keitsrefer­endum fordern, einen Dialog an und versprach, „die zerstörten Brücken mit Katalonien wieder aufzubauen“.

Rajoys Minderheit­sregierung konnte bisher mit der Hilfe der 32 li- beralen Abgeordnet­en der bürgerlich­en Partei Ciudadanos rechnen, um ihre Abstimmung­smehrheit im Parlament zu sichern. Nach dem Gerichtsur­teil gingen zwar auch die Liberalen zu Rajoy auf Distanz, doch für Sánchez Misstrauen­santrag wollen sie trotzdem nicht stimmen. Sie fordern stattdesse­n sofortige Neuwahl, weil sie mit einem kräftigen Stimmenzuw­achs rechnen können.

Wenn der 63-jährige Rajoy in letzter Sekunde freiwillig das Handtuch werfen sollte, könnte er damit Zeit gewinnen. Im Falle eines Rücktritts gäbe es keine Neuwahl, sondern seine Regierung würde solange provisoris­ch im Amt bleiben, bis sich das zersplitte­rte Parlament auf einen neuen Regierungs­chef geeinigt hat. Das kann dauern: Beim letzten Mal brauchten die Abgeordnet­en 315 Tage, bis eine neue Regierung stand – mit Mariano Rajoy an der Spitze.

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