Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Eine Mutter ohne Glamour

Charlize Theron überzeugt in „Tully - Dieses verdammte Mutterglüc­k“

- Christian Fahrenbach

Marlo (Charlize Theron), eine Anfangvier­zigerin, wohnt mit ihrem immer leicht abwesenden, aber grundguten Mann Drew (Ron Livingston) und ihren zwei Kindern in einem Vorort von New York. Ihre achtjährig­e Tochter Sarah geht bereits zur Schule und auch der jüngere Sohn Jonah besucht die Vorschule. Er leidet an Anzeichen von Autismus und neigt zu Wutanfälle­n. Als Marlo erneut schwanger wird und ein weiteres Baby hinzukommt, ist sie heillos überforder­t.

Ihr Unternehme­r-Bruder Craig (Mark Duplass) hat die rettende Idee und schenkt ihr eine „Night Nanny“, ein Kindermädc­hen, das abends ins Haus kommt, nachts über das Kind wacht und Marlo nur weckt, um es ihr an die Brust zu legen. Zunächst zögert die dreifache Mutter, doch als die freigeisti­ge Hipster-Mary-Poppins Tully (Mackenzie Davis) vor der Tür steht, wird sie schnell zur unverzicht­baren Hilfe und besten Freundin.

Mit einem schlechter­en Team wäre diese Geschichte zur schlichten Selbstverw­irklichung­sstory einer letztlich doch erstaunlic­h privilegie­rten Familie geworden. Doch nicht nur die gute Besetzung, sondern auch das Team hinter der Kamera stellen sicher, dass hier eine manchmal witzige, aber immer aufrichtig­e Story erzählt wird. Drehbuchau­torin Diablo Cody und Regisseur Jason Reitman arbeiten bei diesem Film zum dritten Mal bei einem ähnlichen Thema zusammen. Nach der Teenager-Schwangers­chaftsTrag­ikomödie „Juno“und dem Quarterlif­e-Crisis-Werk „Young Adult“hat auch „Tully“interessan­te Dinge über die Rolle (un)gewöhnlich­er Frauen in unserer Gesellscha­ft zu sagen.

Kern: Wie mit Träumen umgehen

Im Kern geht es erneut um die Frage, wie wir mit unseren Träumen umgehen und warum wir uns so selten erlauben, was uns eigentlich gut tun würde. „Tully“geht dem mit klugen Gags, einem großen Herz und spannenden Wendungen nahe. Und Theron? Vielleicht ist es 15 Jahre nach „Monster“an der Zeit, ihr endgültig Anerkennun­g für ihre unfassbare Wandelbark­eit auszusprec­hen. Egal ob mit Glatze in der Wüsten-Action von „Mad Max“, als Extrem-Spätpubert­ierende in „Young Adult“oder jetzt in „Tully“: Ihre Oscar-Rolle in „Monster“war kein Ausrutsche­r.

Als Marlo blickt sie nach der Geburt verschwitz­t und desillusio­niert durch den Kreißsaal, legt extrem viel in einen sehnsüchti­gen Blick zu ihrer neuen Freundin Tully oder sitzt nur im BH bekleidet am Abendbrott­isch – und hat dabei genau die Figur, die man kurz nach der Geburt eben hat.

Theron veredelt hier mit viel Wärme und schauspiel­erischer Brillanz die Schwächen einer manchmal etwas thesenhaft­en Personenko­nstellatio­n, und so wird dieser kleine, kluge Film wirklich herausrage­nd.

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FOTO: KIMBERLY FRENCH; FOCUS FEATURES Marlo ( Charlize Theron) liebt ihre Kinder und ist trotzdem heillos überforder­t.

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