Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wie wird man dem „Wüstenfuch­s“gerecht?

Vor 75 Jahren kapitulier­te das Deutsche Afrikakorp­s - Doch der „Mythos Rommel“lebt

- Von Thomas Burmeister, dpa

ULM - Salutieren mit Blick auf Erwin Rommels Totenmaske und seine Tropenunif­orm. Auch mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s auf dem Schauplatz Afrika – das Deutsche Afrikakorp­s kapitulier­te am 12. Mai 1943 in Tunesien – zieht es noch Besucher an den Ort, an dem der zum „Wüstenfuch­s“hochstilis­ierte Erwin Rommel zuletzt wohnte. Und an dem er auf Weisung Adolf Hitlers zum Suizid gezwungen wurde: Herrlingen, heute ein Ortsteil von Blaustein.

Der Militärgru­ß gehöre für manche Besucher halt dazu, berichtet Karlo Hafner (69). Der Hobby-Historiker und Ex-Schuldirek­tor führt Interessie­rte durch die Rommel-Ausstellun­g in der Jugendstil-Villa „Lindenhof“, die einst ein jüdischer Unternehme­r errichten ließ und heute der Gemeinde gehört. Seit 1989 beherbergt sie in zwei Räumen eine Rommel-Ausstellun­g.

Geboten wird ein Devotional­ienSammels­urium neben hochintere­ssanten militärges­chichtlich­en Dokumenten und Briefen. Es gibt Fläschchen mit Sand aus Wüstengege­nden, in denen Rommel kämpfte, und alten Cognac aus US-Militärbes­tänden - „Ein Geschenk von amerikanis­chen Verehrern, die wohl nicht wussten, dass Rommel kaum Alkohol trank“, erzählt Hafner. Britische Afrika-Veteranen spendierte­n das Holzmodell eines Panzers.

Medienstar der Nazis

Kann das ein Ort für eine seriöse Beschäftig­ung mit dem Leben und Sterben eines Mannes sein, der als Hitlers Lieblingsg­eneral galt, der von NS-Propaganda­minister Joseph Goebbels als militärisc­her Medienstar in Szene gesetzt wurde, und schließlic­h wegen seines mutmaßlich­en Sympathisi­erens mit dem Widerstand in den Tod getrieben wurde?

Eher weniger, wenn Besucher sich einfach den Schlüssel bei der Gemeindeve­rwaltung abholen und dann allein zwischen Vitrinen mit NS-Orden und Rommels Marschall- stab umherwande­ln. „Eine Nachbildun­g der Originale wäre längst geklaut worden.“

Doch zum lehrreiche­n Diskurs wird ein Besuch in Herrlingen, wenn er mit einer der sachkundig­en Führungen durch Karlo Hafner verbunden wird. Unter anderem erfahren Besucher, die es noch nicht wussten, dass und warum der „Wüstenfuch­s“längst unter Geheimhalt­ung aus Afrika abgezogen worden war, als die Niederlage unausweich­lich war.

Der Funkspruch erreichte das Oberkomman­do der Wehrmacht in der Nacht zum 12. Mai 1943 gegen 00.40 Uhr: „Munition verschosse­n. Waffen und Kriegsgerä­t zerstört“, meldete der Nachfolger Rommels, General der Panzertrup­pen Hans Cramer. „Das Deutsche Afrikakorp­s hat sich befehlsgem­äß bis zur Kampfunfäh­igkeit geschlagen. Das Deutsche Afrikakorp­s muss wieder- erstehen!“Der Funkspruch endete mit dem Gruß der deutschen Afrikakämp­fer des Ersten Weltkriegs „Heia Safari!“.

„18 594 Deutsche, 13 748 Italiener, 35 476 Briten und 16 500 Amerikaner waren seit Beginn der Kämpfe im September 1940 gefallen“, bilanziert­e der Münchner Historiker und Dokumentar­filmproduz­ent Maurice Philip Remy. Hinter vorgehalte­ner Hand sprachen Deutsche in Anspielung auf das Fiasko in Stalingrad von „Tunisgrad“.

Erst am 9. Mai 1943 hatten sie durch ein Kommuniqué erfahren, dass sich Rommel aus angeblich gesundheit­lichen Gründen nicht mehr in Afrika befinde. Sein Name sei dem NS-Regimes für die weitere Kriegsführ­ung einfach zu wertvoll gewesen, schrieb der Historiker Ralf Georg Reuth. Goebbels notierte in seinem Tagebuch, einen Rommel könne man „nicht nach Belieben schaffen und nach Belieben wieder beseitigen“.

Bereits in Afrika – so Remy in seinem Buch „Mythos Rommel“– habe der General „aufgehört, an den ,Endsieg’ zu glauben“. Der aus dem schwäbisch­en Heidenheim stammende Rommel habe den „Führer“zwar lange verehrt, sich aber Durchhalte­befehlen Hitlers widersetzt, um sinnlose Opfer zu vermeiden – so in der Schlacht um El Alamein.

In Afrika stand Rommel, der später an der Westfront schwer verwundet wurde, im Ruf, fair zu kämpfen und Regeln der Genfer Konvention zum Umgang mit Gefangenen und Verletzten zu respektier­en. Dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 habe er nicht zugestimmt, berichten Historiker. Allerdings habe er die Pläne dazu, in die er wohl teils eingeweiht war, auch nicht verraten. Als das Hitler berichtet wurde, schickte er am 14. Oktober 1944 Generäle mit Zyankali zu Rommel.

„Er nahm den Giftbecher und opferte sich, um das Leben seiner Familie vor den Schergen Hitlers zu retten“, steht auf einem verwittert­en Gedenkstei­n unweit des einstigen Rommel-Wohnhauses an der heutigen Rommel-Steige, das im Privatbesi­tz einer Familie ist.

Viele Ausländer in Herrlingen

Die Ausstellun­g, der Gedenkstei­n und Rommels Grab werden mittlerwei­le beinahe mehr von Ausländern als von Deutschen besucht, berichtet Hafner – vor allem Amerikaner, Franzosen, Briten und sogar Chinesen. „Wir versuchen, Rommels Licht- und die Schattense­iten aufzuzeige­n.“Hafner hält ein Rollenspie­l bereit, das er gern Bundeswehr­soldaten anbietet. Teilnehmer ziehen Karten mit Aufschrift­en wie „Volksheld“, „Draufgänge­r“, „Faschist“, „Kriegsverb­recher“, „Nazi-Held“oder „Widerstand­skämpfer“und sollen sich im Streitgesp­räch dazu äußern.

Für die Bundeswehr sei Rommel nach wie vor traditions­stiftend, heißt es im Verteidigu­ngsministe­rium. „Trotz seiner Eigenschaf­t als Funktionst­räger des NS-Regimes hat er wiederholt verbrecher­ische Befehle missachtet“, sagte ein Sprecher. Allerdings schicke die Bundeswehr keine Ehrenwache mehr zur jährlichen Gedenkfeie­r am Todestag an Rommels Grab. Die Teilnahme von Soldaten sei aber zulässig.

 ?? FOTO: DPA ?? Karlo Hafner, Hobby- Historiker und Rommel- Experte, hält im Rommel- Archiv eine auf Chinesisch verfasste Broschüre. Der einstige Wehrmachts­general Erwin Rommel wohnte in Blaustein- Herrlingen.
FOTO: DPA Karlo Hafner, Hobby- Historiker und Rommel- Experte, hält im Rommel- Archiv eine auf Chinesisch verfasste Broschüre. Der einstige Wehrmachts­general Erwin Rommel wohnte in Blaustein- Herrlingen.
 ?? FOTO: DPA ?? Im Rommel- Archiv steht neben Rommel- Porträts ein aus Holz gefertigte­s Panzermode­ll.
FOTO: DPA Im Rommel- Archiv steht neben Rommel- Porträts ein aus Holz gefertigte­s Panzermode­ll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany