Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Umjubelte Gala der Gefühle im Ulmer Zelt

Von wild bis still: Der neue Augsburger Ballettdir­ektor Ricardo Fernando zeigt eine Auswahl seiner Choreograf­ien

- Von Dagmar Hub

ULM - An vier Veranstalt­ungsorten findet das dritte zehntägige Tanzfestiv­al „Ulm moves!“statt. Das Ulmer Zelt war an seinem Abend sogar ausverkauf­t: Dort zeigte Ricardo Fernando, seit einem Jahr Direktor des Balletts am Theater Augsburg, „Shortcuts“, Ausschnitt­e aus seinen Choreograf­ien in Form einer GalaShow.

Der gebürtige Brasiliane­r Fernando ist ein Meister der Dramaturgi­e – das zeigte der Ablauf der „Shortcuts“im Zelt. Nach Mauro Bigonzetti­s abschließe­nder temperamen­t- und fantasievo­ller Tarantella-Choreograf­ie „Cantata“huldigten die Zuschauer – darunter Ulms Kulturbürg­ermeisteri­n Iris Mann und mehrere Stadträte – der Augsburger Ballett-Compagnie mit Standing Ovations und „Bravo!“Rufen.

Der Römer Bigonzetti versetzt die Zuschauer auf einen süditalien­ischen Dorfplatz. Hier wird Tarantella getanzt – und angesichts dessen, was die zehn Compagnie-Mitglieder an Feuer abliefern, wird der Ausdruck „wie von der Tarantel gestochen“verstehbar: Der wilde Tanz sollte in vergangene­n Jahrhunder­ten eine Therapie sein gegen den Biss einer Giftspinne, der Europäisch­en Schwarzen Witwe. Der Gebissene sollte bis zur kompletten Erschöpfun­g tanzen, um das Gift aus dem Körper zu treiben, wofür eigens Musiker vor sein Haus kamen. Bis zur Erschöpfun­g tanzen auch Fernandos Tänzerinne­n und Tänzer – die Tarantella-Interpreta­tion Bigonzetti­s imitiert aber einen Ausdauer-Wettbewerb werbender junger Männer um die Dorfschönh­eiten, wozu der Tanz, pure Lebensleid­enschaft sprühend, später mutierte.

Ein weiteres Highlight: das Solo des brasiliani­schen Tänzers Douglas de Almeida zur legendären Arie „Lascia ch’io pianga“aus der HändelOper „Rinaldo“. Freilich ist die fasziniere­nde, nahezu magische Stimme, zu der de Almeida tanzt, nicht die des berühmtest­en aller Kastraten des 18. Jahrhunder­ts, Carlo Broschi, genannt Farinelli, von der natürlich keine Aufnahme existiert. Die wunderbar emotionale Stimme zum Tanz-Solo entstammt dem vor 24 Jahren gedrehten Film „Farinelli, der Kastrat“und wurde aus den Stimmen eines Counterten­ors und einer KoloraturS­opranistin eigens synthetisc­h erzeugt, um einen Eindruck von der Faszinatio­n und dem Stimmumfan­g der Legende zu vermitteln. Dennoch: Gefühl pur entsteht beim Solo, während dessen es Douglas de Almeida gelingt, das Klagelied um die verlorene Freiheit in anrührende Bewegung umzusetzen.

„Shortcuts“zeigte große Vielfalt: Mit „Club 27“geht Ricardo Fernando zu Musik von Janis Joplin, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Amy Winehouse und Jim Morrison in die Hall of Fame 27-jährig verstorben­er Rock- und Soul-Musiker. Die Szenen rocken zu starken Bildern, erzählen aber keine Geschichte­n wie beispielsw­eise „Six Breaths“es tut. Die stille und sphärisch-fließende Choreograf­ie bringt in Pas de deux eine homosexuel­le und eine heterosexu­elle Liebesbezi­ehung auf die Bühne.

„Ulm moves!“geht am Wochenende mit einem „Grand Finale“der Londoner Hofesh Shechter Company im Theater Ulm (19 Uhr) am Samstag und der Madrider Sharon Fridman Company am Sonntag im Roxy (20 Uhr) zu Ende.

 ?? FOTO: HORST HÖRGER ?? Zart, aber kraftvoll agierten die Tänzer von Ricardo Fernandos Augsburger Ballett-Compagnie im Zelt.
FOTO: HORST HÖRGER Zart, aber kraftvoll agierten die Tänzer von Ricardo Fernandos Augsburger Ballett-Compagnie im Zelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany