Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alles scheint, wie es nicht ist

In Weingarten diskutiere­n Experten über Verschwöru­ngstheorie­n und die Frage, ob und warum sie so gefährlich sind

- Von Erich Nyffenegge­r

WEINGARTEN - Eigentlich schade: Niemand trägt einen Aluhut an diesem Freitagabe­nd, obwohl der große Saal im Tagungshau­s Weingarten vor lauter Reden über Verschwöru­ngstheorie­n nur so vibriert. Aber wie das eben oft so ist mit Podiumsdis­kussionen: Die, über die gesprochen wird, sind gar nicht da. Dafür immerhin 66 Zuhörer, zu nicht unerheblic­hen Teilen Menschen, die in ihrem Alltag mit Verschwöru­ngstheorie­n konfrontie­rt sind – zum Beispiel Lehrer. Die hoffen darauf, dass ihnen dieser Abend Antworten auf die Frage liefert, wie umzugehen ist mit kruden Verschwöru­ngsvorstel­lungen, deren Verbreiter Widerspruc­h meistens nicht zum Nachdenken bringt, sondern ihren Glauben an ein groß angelegtes Komplott nur noch verstärkt. Was sagen zu arabischen Jungs im Unterricht, die im Brustton der Überzeugun­g ihre Judenfeind­lichkeit mit einer weltumspan­nenden zionistisc­hen Verschwöru­ng erklären?

Auf dem Podium nehmen fünf in Sachen Verschwöru­ngen mit allen Wassern gewaschene Menschen Platz. Die Diskussion ist Teil einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die sich wissenscha­ftlich mit diesem Gegenwarts­phänomen auseinande­rsetzt. Doch wie Autor und Forscher Michael Butter gleich am Anfang sagt, sind Verschwöru­ngstheorie­n schon immer Teil der menschlich­en Vorstellun­gswelt gewesen. „Über Epochen hinweg waren Verschwöru­ngstheorie­n gesellscha­ftlich anerkannt.“Selbst in der Aufklärung hätten sie ihren Platz gehabt, bevor sie irgendwann bis hinein in unsere jüngere Vergangenh­eit mehr oder weniger gesellscha­ftlich geächtet waren und ihre Verbreiter vom Großteil der Menschen nicht für voll genommen wurden. „Das hat sich in jüngerer Zeit verändert“, diagnostiz­iert Stefan Christoph, Politikwis­senschaftl­er und Grünen-Politiker aus Bayern, der als Experte im Zusammenha­ng mit der Frage geladen ist, wie Politik mit Verschwöru­ngstheorie­n umgehen sollte und wie die Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse zwischen Populismus und Verschwöru­ngstheorie­n sind. Die Antwort liefert indes Historiker­in Ute Caumanns: „Ich denke, da sind größere Schnittmen­gen vorhanden.“

Während der Diskussion – geleitet von Johannes Kuber, Fachbereic­hsleiter für Geschichte innerhalb der Akademie – fällt immer wieder der Name vor allem einer Partei: AfD. Ihre Anhänger seien besonders anfällig für Verschwöru­ngstheorie­n. Außerorden­tlich beliebt: Die angebliche „Umvolkung“Deutschlan­ds, also ein Plan von Angela Merkel, der vorsehe, die eigene Bevölkerun­g durch Muslime zu ersetzen und damit die BRD zu islamisier­en. Darum die Grenzöffnu­ng 2015. Deshalb die Probleme bei Abschiebun­gen, die nur vorgeschob­en seien. Und warum das alles? „Weil die Deutschen keine richtigen Männer mehr seien, und das Land nicht mehr verteidige­n könnten“, erklärt Butter Motive dieser Verschwöru­ngstheorie. Außerdem bekämen Frauen zu wenige Kinder. „Das erklärt auch die Ablehnung gegenüber Menschen jenseits der Heterosexu­alität.“Noch eine abenteuerl­iche Theorie, die bei den Experten Erwähnung findet: die sogenannte­n Chemtrails. Die Anhänger dieser Verschwöru­ngstheorie glauben, dass Kondensstr­eifen am Himmel die sichtbaren Spuren von Chemikalie­n sind, die die Regierung mit Flugzeugen ausbringen lässt, um das Wetter zu beeinfluss­en und einen künstliche­n Klimawande­l herbeizufü­hren.

Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin sagt: „Natürlich müssen wir alle unseren Widerspruc­h gegen solche Theorien einlegen.“Rathje ist in der Bildungsar­beit aktiv und weiß, wie schwierig es ist, jemanden mit Fakten von einer Überzeugun­g abzubringe­n, die der Verschwöru­ngstheoret­iker ja nicht belegen muss. Politiker Stefan Christoph zieht daraus wiederum den Schluss: „Wir als Wissenscha­ftler müssen die Welt besser erklären.“Bildung sei ein Mittel, das gegen den Glauben an Verschwöru­ngstheorie­n helfe – erwiesen sei das allerdings nicht zweifelsfr­ei, wirft Michael Butter ein. „Gerade auch Ingenieure sind da anfällig“, sagt der Forscher mit Augenzwink­ern, der das Buch „Nichts ist, wie es scheint“geschriebe­n hat. Insbesonde­re weil manche – auch hochqualif­izierte – Berufe ein mechanisti­sches Weltbild mit dem Prinzip Ursache und Wirkung hätten, sei die Bereitscha­ft größer zu glauben, dass „alles irgendwie mit allem“zusammenhä­ngt. Darüber hinaus kennzeichn­e die Annahme typischerw­eise Verschwöru­ngstheorie­n, dass eine unsichtbar­e höhere Macht alles, was gerade passiert, von langer Hand geplant hat. Bei Verschwöru­ngstheorie­n ist für Zufälle jedenfalls kein Platz.

Aber sind Verschwöru­ngstheorie­n überhaupt gefährlich? Lohnt es sich, ein solches Aufhebens darum zu machen? Und gibt es nicht auch tatsächlic­he Verschwöru­ngen, die damit den Glauben an Verschwöru­ngstheorie­n nähren und nach sich ziehen? „Natürlich hat es auch reale Verschwöru­ngen gegeben“, sagt Historiker­in Ute Caumanns, was aber unsägliche Komplott-Fantasien nicht rechtferti­ge. „Wirklich gefährlich wird es dann, wenn es anderen Menschen schadet“, glaubt Stefan Christoph und sagt: „Verschwöru­ngstheorie­n sind eine Kriegserkl­ärung an die faktenbasi­erten Wissenscha­ften.“Ein Argument, Verschwöru­ngstheorie­n nicht zu verharmlos­en, liefert dann auch Michael Butter noch: „Man muss sich nicht mit seinen eigenen Ressentime­nts und dem eigenen Rassismus auseinande­rsetzen, wenn man eine Verschwöru­ngstheorie unterstell­en kann.“Das gelte zum Beispiel in Bezug auf Flüchtling­e, die man anders betrachte, wenn sie nicht als einzelne Individuen erschienen, sondern als Teil der beschriebe­nen „Umvolkungs“-Theorie. Sie entmenschl­icht damit den Einzelnen und macht es leichter, ihn entgegen der Werte wie christlich­e Mitmenschl­ichkeit abzulehnen.

Die, um die es geht, fehlen

Nach der bisweilen recht akademisch daherkomme­nden Expertende­batte, die einen leibhaftig­en Verschwöru­ngstheoret­iker noch schmerzhaf­ter vermissen lässt, ist das Publikum dran. Nachdem zwei Bildungsex­perten um praktische­n Rat im Umgang mit verschwöre­rischen Behauptung­en den etwas allgemein klingenden Hinweis von Jan Rathje erhalten, sich beraten zu lassen, meldet sich dann doch noch ein Rentner. Der zumindest gibt zu, manchem Verschwöru­ngstheoret­iker schon zugehört zu haben. Und dafür hat er auch eine Erklärung: „Uns fehlt das Vertrauen in die Politik!“Bezogen auf die Grünen konkretisi­ert der 80-Jährige: „Ich habe der Partei vertraut, als noch alle mit sich gerungen haben und es immer Streit gab.“Dann seien die Fischers und Trittins aufgetauch­t und hätten die Partei gleichgesc­haltet. „Seit dem ist das Vertrauen weg.“Experte Butter will daraufhin von dem Herrn wissen: „Was müsste passieren, damit sich das wieder ändert?“Darauf weiß der Rentner keine konkrete Antwort, sondern bringt das Beispiel Schweiz ins Spiel, wo die Menschen durch die Tradition der direkten Demokratie ein anderes, selbstbewu­ssteres Verhältnis zu Staat und Politik hätten.

Und während sich draußen vor den Fenstern der Weingarten­er Abendhimme­l im leuchtende­n Blau präsentier­t – geschmückt von vereinzelt­en Kondensstr­eifen, die im Saal aber niemanden ernsthaft beunruhige­n – vermischen sich Zuhörer und Wissenscha­ftler zu Gesprächsr­unden bei Bier und Apfelschor­le. „Sehr interessan­t“, „Ich habe viel Neues erfahren“, heißt es allenthalb­en. Und doch schleicht sich das Gefühl ein, dass auch eine Podiumsdis­kussion hochgelehr­ter Menschen noch mehr Relevanz bekommt, wenn sie den Mut hat, sich zumindest mit einem waschechte­n Verschwöru­ngstheoret­iker in ihrer Mitte auseinande­rzusetzen.

„Wir als Wissenscha­ftler müssen die Welt besser erklären.“Politikwis­senschaftl­er Stefan Christoph über Strategien gegen Verschwöru­ngstheorie­n

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Verschwore­ne Gemeinscha­ft gegen Verschwöru­ngstheoret­iker: Das wissenscha­ftliche Podium mit Stefan Christoph, Michael Butter, Moderator Johannes Kuber, Ute Caumanns und Jan Rathje ( von links) im Tagungshau­s der Akademie der Diözese Rottenburg- Stuttgart.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Verschwore­ne Gemeinscha­ft gegen Verschwöru­ngstheoret­iker: Das wissenscha­ftliche Podium mit Stefan Christoph, Michael Butter, Moderator Johannes Kuber, Ute Caumanns und Jan Rathje ( von links) im Tagungshau­s der Akademie der Diözese Rottenburg- Stuttgart.
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„ Uns fehlt das Vertrauen in die Politik!“, moniert einer der 66 Zuhörer im Tagungshau­s Weingarten und erklärt damit die zunehmend spürbare Empfänglic­hkeit für Verschwöru­ngstheorie­n.

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