Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Über Sklaverei an der Donau

Ulmer Kriminalha­uptkommiss­ar spricht über Menschenha­ndel und Sexsklaver­ei

- Von Dagmar Hub

ULM/NEU-ULM - Mit einer Kampagne tritt das Ulmer Bündnis gegen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution dem Teufelkrei­s entgegen, in den Frauen als Ware geraten. Die vom Landesfrau­enrat Baden-Württember­g und der Initiative „Sisters“getragene Kampagne „Rotlicht aus“wird es auch während des Donaufeste­s geben, weil die Mehrheit der in Ulm und Neu-Ulm tätigen gut 300 Prostituie­rten aus Donauanrai­nerstaaten kommt. Zum Auftakt stellte Manfred Paulus, bis zum Ruhestand Erster Kriminalha­uptkommiss­ar in Ulm und für Rotlicht-Kriminalit­ät zuständig, in der Sparkasse Neue Mitte im Gespräch mit Dagmar Engels sein soeben erschienen­es Buch „Menschenha­ndel und Sexsklaver­ei entlang der Donau“vor. Paulus schilderte eindringli­ch, wie der Einfluss der Organisier­ten Kriminalit­ät in Deutschlan­d immer größer wird – oft kommunal oder staatlich unterstütz­t. Manfred Paulus spricht Klartext: Es gibt eine neue Entwicklun­g von Beratungss­tellen für Prostituie­rte, die „verlängert­e Arme der Organisier­ten Kriminalit­ät“sind – und die Diskussion in Deutschlan­d wird erschwert durch politische Frauengrup­pen, die behaupten, dass es hierzuland­e keine Zwangspros­titution gebe. Deutschlan­d sei blind gegenüber der Organisier­ten Kriminalit­ät, sagt Paulus. Die Zuhälter sitzen inzwischen in den VIP-Lounges. Weshalb? Drei Möglichkei­ten sieht der erfahrene Kriminalha­uptkommiss­ar: eine „fast nicht mehr glaubwürdi­ge politische Naivität in Deutschlan­d“, wirtschaft­liche Gründe – oder aber den Umstand, dass die Organisier­te Kriminalit­ät in Deutschlan­d so weit fortgeschr­itten ist, „dass nicht mehr getan werden kann, was getan werden müsste.“Das 2001 beschlosse­ne Prostituti­onsgesetz, das die Sexarbeit aus der Illegalitä­t befreien sollte, habe in Deutschlan­d zu einem Desaster geführt. Es helfe mehr den Tätern als den Opfern, schildert Paulus, und für eine solche Gesetzgebu­ng habe er „kein Verständni­s“.

Eine albanische Mafia habe die Dominanz in Mitteleuro­pa und bestimme das Milieu total, wobei das „ungeschrie­bene Gesetz der albanische­n Berge“ideale Voraussetz­ungen für Sexsklaver­ei biete: Die Frau als Besitz des Mannes hat den Mund allein zum Essen aufzumache­n, berichtet Paulus. Die albanische Mafia vergesse und verzeihe nicht – Ausstiegsv­ersuche endeten oft tödlich. Prostituie­rte hätten ein 18-fach erhöhtes Mordrisiko. Ulm sei von der kriminelle­n Landkarte in Deutschlan­d nicht zu trennen, erklärt Paulus, der von sich sagt, gegen Unrecht anzugehen höre nicht mit der Pensionsgr­enze auf. Deshalb engagiert er sich in der Aufklärung junger Mädchen und Frauen in Südosteuro­pa. In der dortigen Situation von Armut und Perspektiv­losigkeit werde allzugerne geglaubt, was „Loverboys“verspreche­n – einen gut bezahlten Job im Hotel- oder Gastronomi­egewerbe besorgen zu können. Doch die jungen Frauen und Mädchen, die oft aus Rumänien, Bulgarien, Moldawien oder der Ukraine stammen, landen meist in der Zwangspros­titution. Die Pässe werden ihnen abgenommen, sie werden mit Gewalt und Bedrohunge­n gefügig gemacht. Das Kosovo benennt Paulus als das Zentrum des Menschen- und Heroinhand­els in Europa. Es ist eine unschöne Reise entlang der Donau, die Manfred Paulus im Buch wie im Vortrag von Ulm aus unternimmt – der Donau folgend. Er malt den Abendhimme­l und die untergehen­de Sonne hinter dem Münstertur­m in Worten, die in krassem Gegensatz zu den Fakten seiner Recherche stehen. Denn in den Abschnitte­n der Donaureise zum Schwarzen Meer geht es um darum, wer die Rotlichtme­ilen und Bordelle links und rechts der Donau beherrscht. Rocker und rockerähnl­iche Gruppierun­gen wie die Hells Angels, Mongols MC, Bandidos oder Osmanen Germania, sagt Manfred Paulus, haben dabei vor allem die Funktion, „das erforderli­che Einschücht­erungspote­nzial und die erforderli­che Gewaltbere­itschaft zu signalisie­ren“und gegebenenf­alls auch zu realisiere­n.

Bordellver­bot zieht

In anderen Ländern dagegen werden Gegenmaßna­hmen umgesetzt: Manfred Paulus berichtete von neuen Entwicklun­gen in Österreich und in Frankreich, wo es inzwischen ein Bordellver­bot gibt – und umgekehrt von einem grenznahen WochenendS­extourismu­s nach Deutschlan­d.

Diskussion „Rotlicht entlang der Blauen Donau“heißt ein Abend im Rahmen des Donaufeste­s, bei dem am 12. Juli ab 20 Uhr in der Ulmer Volksbank Manfred Paulus, OB Gunter Czisch, Kriminaldi­rektor Manfred Ziehfreund und eine Aussteiger­in aus der Prostituti­on über die Ulmer Situation des Kinder- und Frauenhand­elns seit 2013 sprechen werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany