Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Vom Pleitegeier zum Überflieger
Wie Ferdinand Graf von Zeppelin aus einer Vision mehrere Weltunternehmen mit mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz machte
Die Leute nannten ihn den „närrischen Grafen“und Kaiser Wilhelm II soll ihn als „Dümmsten der Süddeutschen“bezeichnet haben: In Bronze verewigt blickt Ferdinand Graf von Zeppelin Richtung Südosten auf den Bodensee. In der rechten Hand hält er ein Fernglas, mit der linken stützt er sich auf einen Stock, während sich im Hintergrund die Berge erheben. Die lebensgroße Statue – geschaffen von Bildhauer Frijo Müller-Belecke – steht in jener Stadt, die dem Luftfahrtpionier so viel zu verdanken hat – in Friedrichshafen im Bodenseekreis. Die Vision Zeppelins, dort Starrluftschiffe zu bauen, hat die Stadt zur Wiege des Luftschiffs, zu einem der wichtigsten Rüstungszentren und letztlich zu einem internationalen Industriestandort mit Hochtechnologie gemacht. Ob Anlagenbauer, Satellitenhersteller, Motorenbauer oder Automobilzulieferer – sie alle haben einen gemeinsamen Ursprung in der Keimzelle Zeppelin.
Dabei sah es bis 1908 überhaupt nicht danach aus, als ob die Unternehmungen von Ferdinand Adolf August Heinrich Graf von Zeppelin erfolgreich sein würden – trotz bester Voraussetzungen. Er hatte eine wohlhabende Frau: Isabella Freiin von Wolff; er hatte einflussreiche Freunde: den König von Württemberg; und er hatte eine Zukunftsvision: den Bau eines Luftschiffes.
Dafür gründete der gebürtige Konstanzer 1898 die Aktiengesellschaft zur Förderung der Luftschifffahrt mit einem Stammkapital von 800 000 Goldmark, 420 000 Mark davon Privatvermögen. Ein Seegrundstück erhielt er vom König von Württemberg, da dessen Familie in Friedrichshafen ihre Sommerresidenz hatte und so über entsprechenden Grundbesitz verfügte.
Nur zwei Jahre später startete das erste lenkbare Luftschiff „LZ1“in Manzell am Bodensee. Doch das Interesse an einer Weiterfinanzierung war zu gering. Die Aktiengesellschaft wurde liquidiert, da das Kapital aufgebraucht war.
Vermögen durchgebracht
„Er hat bis 1908 das ganze Familienvermögen auf den Kopf gehauen“, erzählt Barbara Waibel, Leiterin des Archivs der Luftschiffbau Zeppelin GmbH. Das Ansehen des Grafen war zeitweise im Keller. 1908 war das Schicksalsjahr für Zeppelin. Die deutsche Militärverwaltung kaufte zwar sein drittes Luftschiff, die Z1, aber das vierte, die LZ4, verbrannte am 5. August in Echterdingen südlich von Stuttgart nach einer Notlandung.
Als Zeppelin vor den Trümmern seines Traumes stand, „entlädt sich die ganze Sympathie und Teilhabe an dem Kampf, den Zeppelin führt. Allen Gewalten zum Trotz“, erklärt Waibel die sogenannte Volksspende. Denn nach dem Absturz erhielt Zeppelin unverhofft Hilfe, die Deutschen spendeten in kürzester Zeit mehr als sechs Millionen Mark. „Zeppelin wird zum Volkshelden, ja zum Volksheiligen“, sagt Waibel.
Noch im gleichen Jahr gründete Zeppelin die Zeppelin Stiftung und die Luftschiffbau Zeppelin GmbH, Vorläufer des heutigen Zeppelinkonzerns – und legte somit den Grundstein für den Wirtschaftsstandort Friedrichshafen.
Dass Graf Zeppelin nur auf das Luftschiff kapriziert war, „das stimmt gar nicht, da kommt noch das Flugzeug dazu“, sagt Jürgen Bleibler, Leiter der Abteilung Zeppelin vom Zeppelin Museum in Friedrichshafen. „Als der Konzern gegründet wurde und sich entwickelt hat – so bis 1914/ 1915 – war es ein Technologiekonzern, der sich alles geschaffen hat, was er gebraucht hat.“
Viele Probleme zu lösen
Denn die Luftfahrt beziehungsweise der Luftschiffbau, die treibenden Zukunftstechnologien jener Zeit, hatten zahlreiche Probleme. Zunächst ging es darum, für das Luftschiff und später für das Flugzeug Komponenten zu haben, die es bis dahin nicht gab. Deshalb wurden Entwicklungsbetriebe gegründet, die später zu Zulieferern wurden. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 war alles
auf ein Produkt,
das Luftschiff ausgerichtet, danach waren die Unternehmen gezwungen sich neu auszurichten. Und: „Das Bindeglied der Luftfahrt wird immer mehr zurückgedrängt“, fügt Waibel an. Sogar der Name Zeppelin verschwindet im Lauf der Geschichte.
Der Vorläufer der MTU (Motoren- und Turbinenbau Union Friedrichshafen), die 1909 in Bissingen (Landkreis Ludwigsburg) gegründete Luftfahrzeugmotorenbau Gmbh, die 1912 nach Friedrichshafen umsiedelte, hatte die Aufgabe, Motoren zu entwickeln und zu bauen, die den extremen Anforderungen der Luftfahrt in Sachen Gewicht, Belastbarkeit und Leistung gerecht wurden, erklärt Bleibler. Nach dem Ersten Weltkrieg, umfirmiert zur Maybach Motorenbau GmbH, baute das Unternehmen einen Benzinmotor für die Straße und einen leichten Dieselmotor für die Schiene.
Geldmangel bei Maybach
Maybach hätte diese teure Entwicklung als eigenständiges Unternehmen wahrscheinlich gar nicht schultern können, sagt Jürgen Bleibler, weil sie so langwierig gewesen sei und Maybach viel Lehrgeld in den 1920er-Jahren zahlen musste. 1928 beispielsweise war die Lage des Unternehmens äußert prekär, der Absatz lief schleppend und Geldmangel verzögerte Neuentwicklungen.
Erst der schützende Schirm der Zeppelinstiftung machte es möglich, eine so große technologische Kompetenz im Motorenbau zu erreichen, dass das Unternehmen langfristig überlebensfähig war. Das erste Nachkriegsprodukt für die Schiene war ein Sechs-Zylinder-Dieselmotor für kürzere Distanzen. Dann fing Maybach langsam an, so Bleibler, Anfang der 1930er-Jahre mit Zwölf-Zylinder-Dieselmotoren und Schnelltriebwagen den Schienenfernverkehr aufzumischen.
Diese Dieselmotorenentwicklung war bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges der größte zivile – und auch zunehmend internationale – Markt von Maybach, so Bleibler. Das zweite Nachkriegsprodukt, der Benzinmotor fürs Auto, wurde ebenfalls kontinuierlich weiterentwickelt und wurde dann zum Benzinmotor für Militärfahrzeuge. Weil die Wehrmacht auf den Benzinmotor gesetzt hatte, wurde das MTU-Vorgängerunternehmen ab 1933/1935 ein Rüstungsanbieter – „und zwar ein sehr großer“, erklärt Bleibler. Der Dieselmotor dagegen, weil es kein Rüstungsprodukt war, wurde komplett eingestellt.
Dabei war es gerade der Dieselmotor für die Schiene, der Maybach das Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg sicherte, so Bleibler. Nach 1945 baute das Unternehmen dann keinen einzigen Benzinmotor mehr. Der Eisenbahnverkehr lag komplett darnieder. Durch den Investitionsrückstau herrschte enormer Erneuerungsbedarf, weshalb „Diesellokomotiven einfach der Renner waren für die junge Bundesbahn und für den Export“, erzählt Bleibler. Deshalb konnte das Unternehmen auch den Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich überleben – „und eigentlich nur deshalb“, ist sich Bleibler sicher. Dieselmotoren sind auch heute noch die Kernkompetenz der Marke MTU des Triebwerksherstellers RollsRoyce Power Systems (RRPS), und kommen neben der Eisenbahn in Schiffen und in zur Stromproduktion eingesetzten Aggregaten zum Einsatz. 2017 machte RRPS einen Umsatz von 16,9 Milliarden Euro mit weltweit rund 10 100 Mitarbeitern – 7200 davon in Deutschland.
Rote Zahlen bei ZF
Im Gegensatz zu Maybach hatte man beim Zahnrad- und Getriebehersteller ZF von Anfang an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Blick, wohl wegen der vergleichsweise späten Gründung – 1915 als Zahnradfabrik Friedrichshafen –, sagt Bleibler. Schon in der Gründungsurkunde wurden neben der Luftfahrt als mögliche Geschäftsbereiche Boote, Automobile und Schienenfahrzeuge genannt. Automobilzulieferer wurde ZF ab 1919 mit einem einfachen 3Gang-Getriebe für Autos. Während das Unternehmen kleinere Automobilbauer als Kunden gewann, fertigten große Hersteller ihre Getriebe weiterhin selbst.
Die Schulden summierten sich 1920 bereits auf vier Millionen Mark. Der Hauptgesellschafter, Luftschiffbau Zeppelin, musste Kapital zuschießen. Den ersehnten wirtschaftliche Erfolg brachte zum einen erst das 1925 vorgestellte Einheitsgetriebe, das nach dem Baukastenprinzip für unterschiedliche Anwendungen und Kunden angepasst werden konnte. Zum anderen brachten Rationalisierungsmaßnahmen in den Jahren darauf weitere Umsatzsteigerungen.
Eine aus heutiger Sicht amüsante Episode ist der Einstieg in den Lenkungsbau bei ZF 1932 in Lizenz der Ross Gear & Tool Company mit Sitz in Lafayette im US-Bundesstaat Indiana. In den 1950er-Jahren übernahm der amerikanische Automobilzulieferer TRW (Thompson Ramo Wooldridge) die Ross Gear & Tool Company und wurde dann 2015 selbst übernommen – und zwar von ZF, inzwischen Technologiekonzern und einer der drei größten Automobilzulieferer der Welt mit einem Rekordumsatz in 2017 von 36,4 Milliar- den Euro und weltweit 146 000 Mitarbeitern, mehr als 50 000 davon in Deutschland.
Konkurrent Dornier
Der von Claude Dornier geleitete Unternehmenszweig, ab 1917 als Zeppelinwerk Lindau GmbH eigenständig, war von Anfang an die Ausnahme, erklärt Bleibler. Denn Dornier etablierte mit dem Metallflugzeug bereits im Ersten Weltkrieg innerhalb des Zeppelinkonzerns ein Konkurrenzprodukt zum Luftschiff. Das Vereinigende, die Luftfahrt, splittete sich, so Bleibler, auf – in das Luftschiff und das Flugzeug.
Das Wissen Dorniers im Bereich des Leichtbaus insbesondere mit Aluminium fließt demnach in das Metallflugzeug ein. Graf Zeppelin, der 1917 starb, hatte sehr früh erkannt, wo die Grenzen des Systems Luftschiff liegen, sagt Bleibler. Weshalb sich Dornier letztlich dem zukunftsfähigeren Produkt, dem Flugzeug, zuwenden durfte und konnte. Allerdings spielte das anfangs keine entscheidende Rolle, so Bleibler. Das Metallflugzeug war zu aufwendig, zu komplex und teuer, um es in Serie zu bauen. Doch entwickelte sich dieser Zeppelinableger durch Forschung und Entwicklung technisch derart weiter, dass das Unternehmen optimal für die Luftfahrt aufgestellt war, als die dann wieder möglich war.
„Das war wieder etwas, was durch das Dach des Zeppelinkonzerns möglich war“, fügt Waibel an. Das sei der Konzernstruktur von Zeppelin zu verdanken. So habe es immer eine Möglichkeit gegeben, quer zu finanzieren, um vielversprechende Möglichkeiten, die viel Geld kosten und langwierig in der Entwicklung sind, am
Leben zu erhalten.
Der Flugzeugbau Dornier musste wegen des Bauverbotes nach dem Versailler Vertrag nach Ende des Ersten Weltkrieg ins
Ausland gehen, kam aber auch wieder zurück, so Bleibler. Der
Konflikt zwischen den beiden Systemen – Luftschiff und Flugzeug – brach nach dem Krieg dann offen aus, bis 1932 die Dornier Metallbauten GmbH den Konzern verließ. Eine strategische Entscheidung, um die konzerninterne Konkurrenz loszuwerden, so Waibels These.
„Das war auch so“, bekräftigt Bleibler. Beide Unternehmungen setzten auf den Langstreckenverkehr und kamen sich bei staatlichen Fördergeldern in die Quere.
Das Nachfolgeunternehmen ist heute Teil der Airbus Group. Bei Airbus Defence and Space in Immenstaad bei Friedrichshafen entwickeln und fertigen mehr als 2500 Mitarbeiter High-Tech-Produkte der Verteidigungstechnik und der Raumfahrt. 2016 erwirtschaftete Airbus Defence and Space etwa 800 Millionen Euro Umsatz. Insgesamt machte die Verteidigungs- und Raumfahrtsparte von Airbus 2016 einen Umsatz von zwölf Milliarden Euro.
Etwas Ironie liegt darin, dass 1932 das einzige echte Luftfahrtunternehmen den Zeppelinkonzern verlassen hatte. Zwar machte man bei Zeppelin weiter Schlagzeilen mit immer größeren Luftschiffen, was aber für die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens eine immer kleinere Rolle spielte – „und eigentlich keine Zukunftsperspektive mehr hatte“, sagt Waibel. Deshalb fing der Konzern an, sein Wissen aus dem Luftschiffbau in anderen Bereichen einzusetzen – im Karosseriebau, im Behälterbau, Ende der 1930er-Jahre für Radarspiegel, die aussehen wie die Bugspitze von einem Luftschiff – mit den gleichen Streben wie bei der Hindenburg – und im Zweiten Weltkrieg auch für Teile von Hitlers Rakete, der Vergeltungswaffe 2.
Zurück zu den Wurzeln
„Am schillerndsten war die Entwicklung des Zeppelinkonzerns selbst, also ehemals Luftschiffbau Zeppelin“, sagt Waibel, „mit den Nachfolgebetrieben 1945, die aus den einzelnen Betriebsabteilungen entstehen und dann wieder fusionieren zu den Zeppelin Metallwerken und zu dem, was heute Zeppelin ist.“Denn erst 1961 tauchte Zeppelin wieder im Firmennamen auf. Davor war es die Fahrzeuginstandsetzung Friedrichshafen, gegründet 1950, wie auch das Metallwerk Friedrichshafen. Die setzten die Produktlinie außerhalb des Luftschiffes von 1929 fort – mit Großsiloanlagen, Schüttgutbehältern mit kompletten Anlagen wie beispielsweise für BASF, erzählt Waibel. Der Bereich der Behälter wurde erweitert durch Mischtech- nik und Fördertechnik. Im Rahmen eines Projekts kam man auf die Seilbahn als eine Lösung, damit die Produkte aus den Silos rechtzeitig am Ziel ankommen und nicht im Verkehr der vielen LKW stecken blieben – das wurde aber nie umgesetzt. Kabinen und Gondeln für Seilbahnen waren auch ein Zeppelin-Produkt in den 1930er- und 1950er-Jahren, wie zum Beispiel die Gondeln für die Pfänderbahn in Bregenz im benachbarten österreichischen Vorarlberg.
Schließlich kam 1954 das Geschäft mit schweren Baumaschinen dazu als Generalvertreter für Caterpillar. „Vom Leichtmetallbauer zum Händler von schweren Baumaschinen, das nenne ich mal einen Schritt“, sagt Waibel und fährt fort, „Zeppelin baute zeitweise selbst kleinere Baumaschinen, wie einen kleinen Radlader, weil auf dem europäischen Markt solche Maschinen fehlten.“
Die 1908 gegründete Luftschiffbau Zeppelin GmbH, heute eine reine Vermögensverwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft innerhalb der Zeppelinstiftung, hat eine sogenannte entherrschte Beteiligung am Zeppelinkonzern, der wiederum zur Zeppelin-Stiftung und damit seit 1947 der Stadt Friedrichshafen gehört, und sechs Geschäftsbereiche umfasst: Der Vertrieb samt Service von Baumaschinen – aufgeteilt in Europa und Osteuropa –, Miet- und Projektlösungen für die Bauwirtschaft und die Industrie, Antriebs- und Energiesysteme, Anlagenbau und mit dem Z Lab auch neue digitale Geschäftsmodelle. Mit 7850 Mitarbeitern erwirtschaftete Zeppelin 2017 einen Rekordumsatz von 2,75 Milliarden Euro.
Wer heute den Bereich Luftfahrt bei Zeppelin sucht, wird auch fündig. Einmal in der Sparte Anlagenbau, wie der Konzern kürzlich mitteilte. Unter dem neuen Namen Zeppelin Aviation & Industrial Service (ehemals Quality Service) werden neuerdings Dienstleistungen für die Luftfahrtindustrie erbracht, wie die Serienfertigung von Luftfahrtbauteilen, die Werkstoffprüfung direkt am Luftfahrtgerät (On-Wing-Prüfung) und Beratung durch Experten.
„Und nicht zu vergessen, der Zeppelin NT, mit dem ist wieder ein Zeppelin im Konzern“, sagt Waibel. Die verbliebenen Konzernunternehmen, Luftschiffbau Zeppelin und ZF, sind die Gesellschafter der 1993 gegründeten Zeppelin Luftschifftechnik, die mit dem Zeppelin NT (Neue Technologie) wieder Starrluftschiffe baut – für rund 15 Millionen Euro pro Stück.
Bislang sind acht davon gebaut worden. Zwei drehen über dem Bodensee ihre Runden. Dort, wo alles begann, wo der in Bronze verewigte Graf sie sehen kann, den längst niemand mehr „närrisch“nennt.