Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

So lebt es sich in Widderstal­l

Der Weiler gehört zu Merklingen und ist Heimat von 22 Einwohnern.

- Von Maike Scholz

WIDDERSTAL­L - Die Vögel zwitschern, ein Schmetterl­ing macht auf einer Blume Halt: Widderstal­l wirkt friedlich und idyllisch. Auf den zweiten Blick lassen sich aber auch Probleme erkennen. Manche der 22 Einwohner akzeptiere­n sie und leben damit. Andere wiederum ziehen ihre Konsequenz­en daraus – und kehren dem Weiler den Rücken.

Eine, die dem Merklinger Ortsteil ade sagt, ist Ute Spengler. Die 49-Jährige wurde in Wiesenstei­g geboren und wuchs dann in Widderstal­l auf. „Meine Eltern hatten Landwirtsc­haft. Ich habe geholfen“, erzählt sie. Doch mittlerwei­le sind die Eltern verstorben, Spenglers Schwestern zogen auch aus. „Für mich ist der Hof einfach zu groß“, sagt sie und fügt an: „Es ist einsam“.

Immer auf das Auto angewiesen

Immer sei sie auf das Auto angewiesen. „Wir haben hier keinen Anschluss. Es gibt keine Busse beispielsw­eise“, sagt die 49-Jährige und erinnert sich an ihre Schulzeit zurück. Die Grundschul­e besuchte sie in Merklingen, die Realschule dann in Laichingen. „Nach Merklingen sind wir immer mit einem Taxi gefahren. Nach Laichingen ging es dann mit der Bahn. Merklingen hatte ja zwei Bahnhöfe und in Laichingen galt es dann, noch gut zwei Kilometer zu laufen, weil der Bahnhof dort so weit weg von der Schule lag.“

Die 49-Jährige lacht plötzlich auf: „Manchmal sind wir auch mit dem Schlepper zum Zahnarzt nach Laichingen gefahren.“Unbefriedi­gend sei für sie auch, dass es keine Einkaufsmö­glichkeit in Widderstal­l gibt. Die Versorgung sei nicht gesichert. „Mit Blick auf den Bau von Bahn und Autobahn hat es mir schon auch weh getan, dass die Felder dann einfach so weg sind“, meint Ute Spengler weiter.

Es geht um Kontakte

Die Gemeinscha­ft wisse Ute Spengler aber zu schätzen. „Früher wusste man einfach zu viel übereinand­er. Die ältere Generation war einfach anders. Aber jetzt ist es schon lockerer geworden“, sagt die 49-Jährige. Alles in allem sei für sie klar: Ihre Zukunft liegt nicht im Weiler. Voraussich­tlich zum September wird Ute Spengler nach Merklingen ziehen. „Ich bleibe also schon in der Gemeinde“, merkt sie an. Das sei ihr wichtig, denn letztlich gehe es ja um den Kontakt zu Bekannten und Freunden.

Sie lebt, wo sie sterben will

Karla Kupsky sieht es ganz anders. Die 72-Jährige lebt seit 23 Jahren in Widderstal­l. „Ich komme gebürtig aus der Tschechei. Als ich geheiratet habe und wir dann zwei Kinder hatten, haben wir genug Geld gespart, um uns das Häuschen in Widderstal­l zu kaufen. Vorher haben wir noch in Eislingen gewohnt“, berichtet Kupsky. Zum Merklinger Weiler sagt sie: „Es ist einfach schön hier. Das Dorf ist wie eine ganze Familie. Klar schaut man sich auch mal in die Töpfe, aber man hilft sich auch gegenseiti­g“. Der Zusammenha­lt sei „einfach prima“, gerade auch nachdem ihr Mann Helmut Kupsky verstarb. Als Witwe wisse sie sich in Widderstal­l aufgehoben. Unterstütz­ung bekommt sie von ihrem Sohn, der ebenfalls mit im Haus wohnt.

„Wir haben keine Sekunde bereut, nach Widderstal­l gezogen zu sein“, stellt die 72-Jährige klar. Bekannte und Verwandte hätten damals schon gezweifelt und sich gewundert. „Aber hier kann ich meine Freiheit förmlich spüren“, meint Kupsky. Soll heißen: In Widderstal­l darf man auch mal Lärm machen, ohne gleich mit einer Klage rechnen zu müssen. „Da würde auch nicht stören, wenn der Hahn kräht. Aber wir haben hier keinen“, sagt sie. Karla Kupsky ist vollen Lobes. „Mir gefällt es hier einfach so gut. Ich möchte auch hier sterben – wenn es geht. Manchmal weiß man das ja nicht.“

Neben Karla Kupsky wohnt die Familie Frank. „Ich wohne hier in Widderstal­l, weil ich hier geboren bin“, sagt Bärbel Frank. Die 57-Jährige sei quasi „in das Landleben hineingebo­ren“worden. Ihrer Nachbarin stimmt sie zu: „Die Gemeinscha­ft ist schon toll. Wir sind nicht viele, aber aufeinande­r angewiesen.“Doch da sei sie schon beim Punkt, der ihr – gerade auch als Mutter – Sorgen bereite. „Wir sind hier nicht viele. Widderstal­l wird aussterben.“Das liege ihrer Meinung nach an mehreren Faktoren. „Es war schon mal schön ruhig hier. Das war vor dem Baustellen-Lärm.“Gerade wenn die Lastwagen unterwegs sind, sei es unerträgli­ch laut. Die Autobahn hingegen nehme sie kaum noch wahr. Die gehöre schon dazu. Ein weiterer Punkt: „Es gibt hier kein Baugebiet und auch kein Bauerwartu­ngsland.“Deswegen könne Widderstal­l gar nicht wachsen.

Kein Baugebiet, kein Zuzug

Bärbel Frank müsse dahingehen­d gar nicht weit blicken. Ihr Sohn Benjamin ist Zuhause und zwar zu Besuch. Der 29-Jährige lebt seit vier Jahren in Merklingen. Zurück nach Widderstal­l zu kommen, sei für ihn keine Alternativ­e – zumal es keine Baumöglich­keiten gebe. „Ich habe es ja selbst als Kind und Jugendlich­er erlebt. Immer musste meine Mutter fahren, wenn wir irgendwo hin wollten“, sagt Benjamin Frank. Für Kinder sei die Abgeschied­enheit ein großes Problem. „Irgendwann fragt man sich, ob man das dann für seine eigenen Kinder auch möchte“, merkt der 29-Jährige an. Er hat sich dagegen entschiede­n, bleibt aber in der Gemeinde und wohnt mit seiner Partnerin in Merklingen. „Das ist auch so eine Sache. Der jeweilige Partner oder die Partnerin muss ja auch mitspielen“, ergänzt er. Bei seinen Eltern sei das der Fall gewesen, längst aber keine Selbstvers­tändlichke­it.

Wenn der Partner passt

Bärbel Frank nickt. „Ich habe mich entschiede­n, hier zu bleiben. Meinem Mann Siegfried hat das gefallen. Das ist schon ein wesentlich­er Aspekt. Sonst geht so etwas nicht.“Für den 59-jährigen Ehemann stand das außer Frage. „Ich komme selbst vom Dorf – aus Jungingen. Hier ist einfach viel Natur. Das gefällt mir“, sagt er. In Widderstal­l sei es gemütlich. „Ich wollte nie in der Stadt wohnen. Das geht doch gar nicht; der Lärm dort und die Abgase“, so Siegfried Frank. Er schätze das Landleben. „Die Leute hier sind freundlich. Wenn etwas ist, dann hilft man sich. So soll es sein.“

Ja, die Familie habe sich entschloss­en, in Widderstal­l zu leben. „Aber eigentlich sind wir gar kein Ort, sondern liegen einfach an der Kreisstraß­e“, merkt Bärbel Frank an. Sie bemängelt: „Es gibt nicht einmal einen Gehweg.“Es gebe also Einiges, das problemati­sch zu sehen sei. Für Familie Frank stehe aber auch fest: Widderstal­l ist Heimat.

„Es ist einfach schön hier. Das Dorf ist wie eine ganze Familie. Klar schaut man sich auch mal in die Töpfe, aber man hilft sich auch gegenseiti­g.“Karla Kupsky

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FOTO: SCHOLZ
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Karla Kupsky liebt es, im Garten zu werkeln. In Widderstal­l schätzt sie die Gemeinscha­ft. Die Entscheidu­ng, in den Weiler gezogen zu sein, hat sie nicht bereut.
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FOTOS: SCHOLZ Blick auf das untere Widderstal­l: Der Weiler besteht insgesamt aus zehn Häusern. Es gibt dann noch das obere Widderstal­l entlang der Merklinger- und Lindenstra­ße.
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Die Baustelle ist für manch einen Einwohner eine Belastung.
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Merklingen ist in Sichtweite und so nicht weit entfernt.

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