Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Aufwendige Buchrecherche
In Nürnberg wird weltweit nach Erben von NS-Raubgut gesucht – Bücher sind oft die einzigen Erinnerungsstücke an jüdische NS-Opfer
NÜRNBERG (KNA) - „Ich erfülle ein Gebot Gottes, denn ich helfe den Menschen zu gedenken.“Leibl Rosenberg sitzt in seinem Büro im Pellerhaus in Nürnberg. Der 70-Jährige trägt Kippa. Auf den beiden Schreibtischen stehen zwei Rechner, im Regal an der Wand Bücher. „Die könnte ich schon längst zurückgegeben haben, aber die Leute antworten einfach nicht“, sagt Rosenberg. Die Bücher sind Raubgut, gestohlen von Julius Streicher, Herausgeber des NSPropaganda-Organs „Der Stürmer“. Rosenberg will sie im Auftrag der Stadt Nürnberg den Erben ihrer ursprünglichen Besitzer zurückgeben.
Rosenberg spricht von „Besessenheit“. Streicher habe die Bücher zugeschickt bekommen, nachdem wöchentlich in Annoncen im „Stürmer“dazu aufgerufen worden sei. „Sehr oft kamen sie mit der Feldpost deutscher Soldaten.“1945 beschlagnahmten die Amerikaner die Bibliotheken in den Redaktionsräumen des Hetzblattes und dem Privatanwesen Streichers, Gut Pleikershof, und übergaben sie der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg. Die wiederum überließ sie der Stadt als Dauerleihgabe. Darunter sind nicht nur Werke aus dem Besitz von Juden, sondern auch von anderen NS-Verfolgten wie Priestern, Freimaurern und Kommunisten.
Seit 1997 hat Rosenberg die Aufgabe, diese Sammlung zu verkleinern, nicht zu vergrößern, wie er betont. Nürnberg als Ort der Reichsparteitage sei damals die erste Stadt in Deutschland gewesen, die systematisch eine Provenienzforschung betrieben habe. Er wisse noch genau, wie Arno Hamburger, der langjährige Vorsitzende der Kultusgemeinde, ihn angesprochen habe, dass man nicht Nein habe sagen können: „Ich mach' es nur für ein Jahr, Arno.“Daraus sind mehr als 20 Jahre geworden.
Es sei Detektivarbeit, sagt Rosenberg. Institutionen wie das New Yorker Leo-Baeck-Institut, das die Geschichte des deutschen Judentums erforscht, helfen ihm. Er selbst hat Judaistik, Bibelwissenschaften, Sprachwissenschaften, Germanistik und Amerikanistik studiert. Später wurde er Journalist, arbeitete für das Fernsehen, unter anderem als Texter für „Dingsda“und „Sketchup“. Auch für die „Nürnberger Nachrichten“schrieb Rosenberg, der Hebräisch und Jiddisch beherrscht.
All das hilft, um Hinweise auf Vorbesitzer zu entziffern. In den meisten Fällen gibt es die nicht; Exlibris, also kunstvoll gestaltete eingeklebte Eigentumsbekundungen, erst recht nicht. Deshalb konnte Rosenberg bisher gerade einmal knapp 800 Bücher zurückgeben. Ein Vertrag sorgt für Rechtssicherheit. Die Erben müssten ihre Ansprüche auf meist ziemlich wertlose Werke belegen. „Oft ist das Porto höher als der Wert des Buches.“
Immateriell dagegen sei das ganz anders, sagt Rosenberg und verweist auf „Sachor“, das Gebot Gottes. Denn wo Gräber fehlen, sind Bücher meist die letzten Erinnerungsstücke. Ein Rabbiner aus Jerusalem berichtete ihm, dass am Lichterfest Chanukka neben dem erhaltenen Leuchter des Großvaters nun auch die Bücher ihren besonderen Platz fänden. Andere schickten eine Tafel Schokolade aus der Schweiz. Eine Frau aus Jerusalem, die vier Bücher zurückbekam, stecke jeden Freitag in die Klagemauer einen Zettel mit Segenswünschen für ihn. „Das ist wie ein Orden für mich.“
Rosenberg kam 1948 in einem Lager für „Displaced Persons“in Landsberg am Lech zur Welt. Seine Eltern waren polnische Juden, die vor der Vernichtung in die Sowjetunion geflüchtet waren. Eigene Bücher besaßen sie nicht. Die Großeltern wurden umgebracht. „Umso bewegender ist es dann, wenn mir jemand weinend am Telefon sagt: Sie haben mir meinen Großvater zurückgebracht.“
Dank seiner Arbeit bekam auch Rosenberg wieder eine Familie. Als er auf Internetseiten zur jüdischen Ahnenforschung recherchierte, entdeckte er eigene Verwandte. Selbst echte Schätze gab es schon in Nürnberg: Dazu zählt ein Deutsch-Französisch-Wörterbuch eines gewissen Sigmund Freud. Dessen Enkeltochter Sophie bekam es jetzt zugeschickt.