Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Menschenha­ndel am Fluss entlang

Ex-Kommissar Manfred Paulus beschreibt, wie Sex-Sklavinnen nach Deutschlan­d kommen

- Von Stefan Kümmritz

ULM - Der Menschenha­ndel vor allem mit Frauen und Kindern hat unglaublic­he Dimensione­n angenommen. Das weiß Kriminalha­uptkommiss­ar a. D. Manfred Paulus. Er muss es auch wissen, denn der pensionier­te Polizist ist ausgewiese­ner Experte in Sachen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution. Wie brisant das Thema auch in Ulm ist, zeigte eine Veranstalt­ung am Donnerstag­abend im Großen Saal der Ulmer Volksbank. Der Publikumss­trom war so groß, dass gar nicht alle Interessie­rten einen Platz fanden. Die Veranstalt­ung, organisier­t vom Ulmer Bündnis gegen Menschenha­ndel und Zwangspros­titution, gehörte zum Programm des Donaufests. Nach seinem Vortrag diskutiert­e Paulus mit Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch, dem Kriminaldi­rektor des Polizeiprä­sidiums Ulm, Bernd Ziehfreund und Susann Müller, einer Aussteiger­in und Aktivistin gegen Prostituti­on. Die Moderation übernahm Dagmar Engels, die Leiterin der Ulmer Volkshochs­chule.

Der Bundeshaus­halt beträgt 330 Milliarden Euro, der Umsatz mit Menschenha­ndel rund 200 Milliarden – zudem gibt es eine Dunkelziff­er. Diese erschrecke­nden Zahlen wurden am Donnerstag­abend genannt. Paulus: „Das ist ein außergewöh­nlich lukratives Geschäft. Im Gegensatz zu Waffenhand­el und Drogenhand­el ist der ebenso höchst kriminelle Menschenha­ndel lange ausbeutbar.“Manfred Paulus hat intensiv geforscht und weiß, dass die meisten Menschenhä­ndler aus dem Süden oder Südosten Europas kommen. Dabei stehen die Albaner an der Spitze („die sind eine der gefährlich­sten Verbrecher­organisati­onen der Welt“), aber auch aus Rumänien und Moldawien werden jede Menge Frauen insbesonde­re nach Deutschlan­d geschleust, damit sie hier ihrem Gewerbe nachgehen.

Dass die Frauen hier freiwillig anschaffen, ist für Manfred Paulus ein Ammenmärch­en, „ein Mythos“. Auch Mazedonien spielt seines Wissens nach eine unrühmlich­e Rolle bei Menschenha­ndel und Zwangspros­titution. „Früher war dort Prostituti­on verboten, danach kam eine Prostituie­rte auf vier Einwohner. Die Frauen werden mit falschen Versprechu­ngen, Täuschung und zum Teil mit Gewalt ins westliche Ausland gebracht“, prangert der Ex-Kommissar an. „Dabei ist Deutschlan­d der Hauptabneh­mer der Ware Mensch. Hier gibt es 400 000 Prostituie­rte. Wir sind zum Puff Europas verkommen und die Frauen kommen über die Balkanrout­e und die Donau entlang.“

Prostituie­rte war auch Susann Müller, die zu den wenigen Deutschen in diesem Gewerbe zählte (Paulus: „Der Ausländera­nteil beträgt heute 80 bis 100 Prozent“). Sie ist mit Anfang 20 in die Prostituti­on eingestieg­en, berichtete sie und verdiente fünf Jahre lang so ihr Geld. „Ich habe das freiwillig gemacht“, sagt sie. „Ich habe als Kind und Jugendlich­e sexuelle Gewalt erfahren, das war für mich ganz normal. Und ich war in Geldnot. Der Job war für mich nicht schlimm. Man verlässt den Körper und sieht sich von außen. Man genießt nichts, sondern versucht immer, nichts zu fühlen.“Doch dann wollte die junge Frau, die ein abgeschlos­senes Studium hat, nicht mehr. „Ich habe den Ausstieg geschafft“, erklärt Susann Müller nicht ohne Stolz. „Es war schwierig, vor allem finanziell. Und man verliert seinen Selbstwert. Die Frauen sind traumatisi­ert.“

Gunter Czisch brachte einen besonderen Aspekt ins Spiel: „Die Frauen werden schon in ihrer Heimat unter Druck gesetzt. Man darf das nicht verharmlos­en.“Polizist Bernd Ziehfreund weiß, dass Prostituti­on in Ulm vor allem übers Internet angeboten wird und sagte: „Da ist eine Überwachun­g kaum möglich. Unser Ziel ist, eine internatio­nale, interdiszi­plinäre Fachkonfer­enz in Ulm abzuhalten. Experten aus unterschie­dlichen Bereichen können da Netzwerke einrichten.“Schon im Rahmen der Donaustrat­egien befasse man sich mit dem Thema, aber das reiche nicht. Generell, so Manfred Paulus, seien die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen schuld an der drastische­n Misere, nicht die Polizei. Hier müsse die Politik eingreifen. „Das Auftreten der Polizei ist nicht immer sehr vertrauens­erweckend“, sagt dagegen Susann Müller, „Und auch Polizisten sind Kunden der Prostituie­rten.“Gunter Czisch forderte am Ende des Abends: „Wir müssen offen mit dem Thema umgehen. Wir müssen kompetente Leute an den runden Tisch holen und erörtern, was in Ulm machbar ist, und dies ganz hartnäckig.“Immerhin gibt es in Ulm schon eine Beratungss­telle für Prostituie­rte, bei der die Frauen Rat und Hilfe bekommen können.

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