Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
100 Tage am Steuer
Till Oberwörder ist seit April Chef von mehr als 3700 Menschen bei der Daimler-Bussparte in Neu-Ulm – Warum er den Standort für zukunftsfähig hält
NEU-ULM - Ziemlich genau 100 Tage ist Till Oberwörder jetzt im Amt als Chef der Daimler Bussparte. 100 Tage, in denen der 47-Jährige auch auf viele bekannte Gesichter traf: Schließlich verantwortete er drei Jahre Vertrieb, Marketing und Service von „Daimler Buses“. Oberwörder wirkt aufgeräumt. Und das hat einen einfachen Grund: Die Geschäfte mit Reisebussen laufen. „Wir sind stabil.“
Wie berichtet, sorgte die Umstellung auf eine Montagelinie und die ausschließliche Konzentration auf Reisebusse allerdings für Ängste in der Belegschaft. Der Betriebsrat befürchtete, dass im sehr saisonal geprägten Geschäft mit Reisebussen es ohne die zusätzliche Produktion von Stadtbussen Auslastungsprobleme in Neu-Ulm geben werde. Davon könne jedoch keine Rede sein, so Oberwörder. Den Fokus nur auf Reisebusse zu legen, bedeute mehr Effizienz. Zumal es auch neue Produkte in diesem Segment gebe, die zusätzliche Stückzahlen auf die Waage brächten. Der Setra Doppelstockbus S 531 DT etwa, der im vergangenen Jahr Premiere feierte, sei ein großer Erfolg. Insbesondere im für Setra ohnehin wichtigen Fernbusmarkt. Drei Viertel der Fernbusse auf den Straßen seien aus dem Hause Daimler.
100 Tage nach Dienstantritt ist Oberwörder auch mehr denn je vom Standort Neu-Ulm überzeugt. Allein der kurzen Wege wegen: Keine 100 Meter muss der Bus-Boss zurücklegen, um von seinem Schreibtisch direkt an die Werkbank zu kommen. Das Nebeneinander von Leitung, Entwicklung, Produktion und Kundencenter sei fruchtbar. Spontan mache sich Oberwörder manchmal auf den Weg in die Werkhallen, um einen Eindruck der Basis mit zurück ins Büro zu nehmen. Und dieser Eindruck sei mehr als gut: „Ich bin begeistert, wie aufgeräumt, ruhig und konzentriert gearbeitet wird.“Was bei Vorgänger Hartmut Schick immer die Kässbohrer-Mentalität der Belegschaft war, ist bei Oberwörder ein unternehmerischer Geist, den viele Mitarbeiter vorleben würden. Die Eigenständigkeit am Band sei sehr groß und der Wille, ständig Prozesse zu verbessern, ausgeprägt.
Neu-Ulm sei als „Kompetenzzentrum für Reisebusse“sehr gut aufgestellt. Auch wenn die Entwicklung von Elektrobussen maßgeblich in Mannheim erfolge, sei Neu-Ulm bei Zukunftsthemen nicht abgehängt: Denn hier werden die Themen Autonomes Fahren und Sicherheitsassistenzsysteme koordiniert. 200 Millionen Euro steckt die Daimler-Bussparte bis 2020 in die drei Zukunftsthemen Weiterentwicklung des elektrischen Antriebs, automatisiertes Fahren und Sicherheitssysteme, von denen zwei in Neu-Ulm koordiniert werden.
Die reinen Buskarossen der Busse seien auf dem neusten Stand. Die Innovationen in nächster Zeit würden nicht durch neue Modellreihen, sondern durch zusätzliche Technik bestimmt. Schon jetzt alarmieren in Neu-Ulm entwickelte Notbrems-Assistenten den Fahrer, wenn der vorgegebene Abstand zu einem Hindernis gefährlich unterschritten wird und ein Unfall bei unveränderter Fahrweise unvermeidlich ist. Reagiert dieser nicht, lösen die Systeme selbstständig eine Vollbremsung aus. Eine weiterentwickelte Version erkennt neben vorausfahrenden Fahrzeugen und stehenden Hindernissen jetzt auch Fußgänger. Schritt für Schritt komme so Evobus dem Autonomen Fahren näher.
Immer wichtiger werden aus Sicht von Oberwörder Dienstleistungen als „Rundum-Sorglos-Pakete“. Ein Beispiel: Zusätzliche Sensoren im Bus, schicken online Daten an den Neu-Ulmer Servicestützpunkt. Auf Basis dieser Daten werden je nach Dringlichkeit Handlungsempfehlungen erzeugt. Etwa: „Achtung Kundenservice vorziehen, denn es droht ein Defekt am Keilriemen.“Diese Technik solle sich für die Busunternehmer durch optimale Planbarkeit und höchstmögliche Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge auszahlen.
Bis Reisebusse aus Neu-Ulm mit Elektroantrieb fahren, werden allerdings wohl noch ein paar Jahre vergehen, so Oberwörder. Die Batterietechnologie sei noch nicht für lange Überlandfahrten von 700 Kilometern geeignet. Zum Einstieg soll der neue Elektro-Citaro-Stadtbus auch unter ungünstigen Bedingungen gerade einmal 150 Kilometer schaffen, ohne dass er zwischendurch wieder aufgeladen werden muss. Als größtes Problem bei Elektrobussen gilt nicht das Fahren an sich, sondern der Stromverbrauch währenddessen: Heizung im Winter, Kühlung im Sommer, das ständige Auf und Zu der Türen, dazu die Stromversorgung einer immer aufwendiger werdenden Elektronik.