Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mehr als nur Arbeitsbie­nen

Oft im Schatten, dennoch immens wichtig: Domagoj Vida ist Kroatiens gute Seele, N'Golo Kante das Herz Frankreich­s

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MOSKAU (SID) - Die Fußballwel­t schwärmt von den Franzosen Kylian Mbappé und Antoine Griezmann und von den Kroaten Luka Modric und Ivan Rakitic. Die Arbeiter hinter ihnen kennt kaum einer: N'Golo Kante ist das Herz Frankreich­s, Domagoj Vida Kroatiens gute Seele.

Die Szenen lange nach dem Schlusspfi­ff hatten etwas Rührendes. Die Kinder der kroatische­n Spieler tobten mit einem Ball über den verlassene­n Rasen, schossen ihn zweimal ins Tor vor der Tribüne der kroatische­n Anhänger – dort hatte zuvor Mario Mandzukic das Siegtor zum 2:1 nach Verlängeru­ng im WM-Halbfinale gegen England erzielt. Da eilte Domagoj Vida hinzu, nahm die Kinder an die Hand und hob ihre Arme zum Jubel in die Höhe. Auf der Tribüne brüllten sie vor Begeisteru­ng.

Vida (29) sieht nicht unbedingt aus wie ein feinfühlig­er Mensch, eher einer, der bei „Game of Thrones“mitspielt. Sein blonder Haarzopf, verbunden mit seinem linkisch wirkenden Lächeln, verleiht ihm bisweilen das Aussehen eines Türstehers, der wenig Spaß versteht. Auf dem Platz geht er humorlos bis rustikal zu Werke, schont weder sich noch Gegenspiel­er. Bei den Russen hat er es sich verscherzt, weil er zweimal seine Sympathien für die Ukraine kundtat. Gegen England wurde er dafür vom russischen Publikum permanent ausgepfiff­en.

Nach dem Spiel äußerte er sich eher einsilbig zu den Vorfällen. „Dieser Sieg ist für Kroatien. Keine Politik“, sagte er. Nach dem Viertelfin­ale gegen Russland, bei dem er das Tor zum 2:2 und eines im Elfmetersc­hießen beigesteue­rt hatte, war ein Video von Vida aufgetauch­t, in dem er „Ruhm der Ukraine“gerufen hatte, den Slogan der revolution­ären Bewegung, die 2014 den von Russland unterstütz­ten Präsidente­n Wiktor Janukowits­ch gestürzt hatte.

Nach einer Verwarnung durch die FIFA tauchte ein weiteres Video auf, in dem Vida erneut „Ehre für die Ukraine“rief, außerdem „Belgrad brennt“. Zur Erklärung fügte er an: „Ich grüße die Kneipe Beograd (Belgrad) in Kiew, da waren wir häufig.“Anschließe­nd sang er das Lied „Die Kneipe ist mein Schicksal“. Der ebenfalls im Video zu sehende kroatische Scout Ognjen Vuckojevic wurde daraufhin vorsichtsh­alber nach Hause geschickt.

Vida, zur Erklärung, hat früher bei Dynamo Kiew gespielt. Er war auch mal bei Bayer Leverkusen, 2010/11, kam aber nur einmal in der Bundesliga und achtmal in der Europa League zum Einsatz. Seit 2017 rackert er für Besiktas Istanbul. Im Nationalte­am ist er wohl der technisch minderbega­bteste, und trotzdem unverzicht­bar: Vida ist die gute Seele der Mannschaft. Ein skurriler Kerl mit großem Herzen, auf den man sich stets verlassen kann. Unabhängig davon: Das Lied mit der Kneipe und dem Schicksal trifft auf Vida durchaus zu. Seine enge Beziehung zu Bier ist gut dokumentie­rt, seine Prioritäte­n sind eindeutig. „Auf eine einsame Insel würde ich meine Freundin, einen Ball und Bier mitnehmen“, hat er mal scherzhaft gesagt. Geändert hat sich daran nur eines: Die Freundin, eine ehemalige „Miss Kroatien“namens Ivana, ist mittlerwei­le seine Frau. Beide haben einen Sohn, David, der wohl auch nach dem Finale gerne über den Rasen hüpfen würde.

Der die Erde abdeckt

Was für Vida gilt, gilt auch für den Franzosen N'Golo Kante – ohne ihn wäre seine Mannschaft wohl kaum ins Finale eingezogen.

Wenn es gilt, die Stärken Kantes, dieses kleinen, unscheinba­ren Abräumers im Mittelfeld, zu beschreibe­n, werden die Menschen kreativ. Paul Pogba etwa sagt über den Nebenmann, er habe 15 Lungen. Andere Kollegen scherzen: Kante habe nach dem Viertelfin­ale gegen Uruguay den Flug zurück nach Moskau sausen lassen und sei stattdesse­n lieber zurückgera­nnt. Den kompakten Kante (27) auf seine Laufstärke zu reduzieren, wird der zentralen Figur Frankreich­s nicht im Ansatz gerecht. Arsene Wenger, der mit Arsenal ein ums andere Mal an Kantes FC Chelsea scheiterte, nennt seinen Landsmann „einen der einflussre­ichsten Mittelfeld­spieler, die ich je habe spielen sehen“. Für Belgiens Eden Hazard, Kantes Clubkolleg­en, ist er „auf seiner Position der Beste der Welt“.

Das hat Hazard im Halbfinale selbst schmerzhaf­t erfahren. Dass die beste WM-Offensive Belgiens beim 0:1 blass blieb, war auch dem 1,68 Meter kleinen Kante zuzuschrei­ben. Anders als im EM-Finale 2016 gegen Portugal (0:1 n.V.) wird Trainer Didier Deschamps nicht mehr auf seinen Abfangjäge­r verzichten.

Kante wuchs in einem der berüchtigt­en Banlieues vor Paris auf – mit acht Geschwiste­rn. Sein Vater aus Mali schlug sich als Müllmann durch und starb früh. Kante verfolgte unbeirrt seinen Weg, auch wenn der ihn durch die Niederunge­n des französisc­hen Fußballs führte. Erst mit 23 Jahren debütierte er beim SM Caen in der ersten Liga, 2016 wurde er dann englischer Meister mit Leicester City, 2017 mit Chelsea und war so spielbesti­mmend, dass er in Frankreich und England zum Fußballer des Jahres gewählt wurde.

In seiner einen Saison bei Leicester hatten sich die Fans hoffnungsl­os in Kante verliebt – und ihm zu Ehren einen Witz kreiert, aus dem alle Anerkennun­g für seine Leistungen spricht: „Zwei Drittel der Erde werden von Wasser abgedeckt“, erzählten sie sich: „Das übrige Drittel von N'Golo Kante.“

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FOTOS: DPA/AFP Zwei Teamplayer: Kroatiens Domagoj Vida feiert nach dem Halbfinale mit seinem Sohn und den Kindern der Mitspieler, auf dem Feld kennt er wie Frankreich­s N'Golo Kante (rechts) dagegen keinen Spaß.
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