Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mein Freund, der Fluss

Naturschut­z rentiert sich – Wie die Renaturier­ung der Elbe wieder Leben in eine abgehängte Region in der Mitte Deutschlan­ds bringt

- Von Wolfgang Mulke

Auf dem Elbdeich der 365Seelen-Gemeinde Wahrenberg lässt sich nach einer Radtour gut verschnauf­en. „Anne Elbe“steht auf dem Schild vor dem alten Fährmeiste­rhäuschen, und darunter, was das einzige Café weit und breit zu bieten hat. Alles ist bio und vegetarisc­h, teils selbst auf dem Resthof nebenan erzeugt. Damit wirbt Anne Zinke aber nicht. „Das wird von den regionalen Gästen nicht als Vorzug angesehen“, erklärt sie. Wahrenberg liegt in Sachsen-Anhalt, wo ein zu kleines Schnitzel schon als vegetarisc­he Kost gilt.

Die Gruppe, die sich hier für Bildungsun­d Kulturange­bote zusammenge­funden hat, sieht sich eher mit den Aussteiger­n vergangene­r Jahrzehnte im benachbart­en Wendland verbunden. „Wir sind Raumpionie­re“, sagt Norbert Krebber zur Expansion der Szene auf das Terrain der ehemaligen DDR. Der Rheinlände­r ist vor 19 Jahren an die Elbe in das Projekt eingestieg­en und hofft auf eine Entwicklun­g des Örtchens, wenn schnelles Internet Stadtflüch­tlingen erst einmal die Arbeit im Homeoffice am Fluss ermöglicht. Einer ist schon dagebliebe­n. Ein Produzent von Hörbüchern. Die Ruhe dazu findet er hier bestimmt.

Es gibt wohl nur wenige ähnlich einsame Landstrich­e in Deutschlan­d wie das Vierländer­eck an der Elbe. Hier stoßen Brandenbur­g, Niedersach­sen, Sachsen-Anhalt und Mecklenbur­g-Vorpommern aneinander. Die Elbe bildete hier lange die deutsch-deutsche Grenze. Beide Seiten haben sich deshalb nicht um die Region gekümmert, etwa um die Schifffahr­t. Die DDR siedelte rund 10 000 Bewohner in grenznahen Orten sogar zwangsweis­e um. So konnte sich hier die Natur ziemlich ungestört ausbreiten. Vom Kanu aus sieht man lange Zeit weder Mensch noch Maschine an Land. Nur vereinzelt­e Radler winken vom Elberadweg herüber.

Ein Seeadler nähert sich der Wasserober­fläche, fährt seine Krallen aus und stürzt sich hinab auf den Fluss. Den Fisch holt er zwar heraus, doch entgleitet ihm der Lohn der Arbeit gleich wieder. Pech gehabt, ab zum nächsten Versuch.

Große Kähne kommen kaum vorbei, obwohl darauf lange die Hoffnungen einiger Kommunen ruhten. Wittenberg­e etwa investiert­e viel Geld in neue Hafenanlag­en. Die Schiffahrt sollte Einkommen bringen. Doch diese Rechnung ging nach

Ansicht des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND) nicht auf. „Wirtschaft braucht Verlässlic­hkeit und die kann die Elbe nicht leisten“, erläutert Meike Kleinwächt­er, die das Auenzentru­m des Verbands leitet. Mittlerwei­le sei der Wasserstan­d so oft so niedrig, dass die Berufsschi­ffer keine Planungssi­cherheit mehr haben. Sie suchen sich andere Wege. So bleiben Flora und Fauna im Landstrich weitgehend unter sich. Doch davon alleine kann man nicht leben. Das hat auch die Stadtverwa­ltung von Lenzen auf der brandenbur­gischen Elbseite zu spüren bekommen. Fast jeder vierte Einwohner hat den Ort verlassen. 4200 Bewohner zählt das Städtchen heute noch. Doch es gibt einen kleinen Hoffnungss­chimmer durch die Projekte des BUND. Die Umweltschü­tzer haben die örtliche Burg in den 1990er-Jahren geschenkt bekommen und daraus ein Hotel nebst wissenscha­ftlichem Zentrum und Ausstellun­gsgelände gemacht. Im Burgpark können die Gäste Erkundungs­gänge ins Vogelreich unternehme­n, sich beispielsw­eise die nächtliche­n Tierstimme­n erklären lassen. Der Pirol singt, Zwergflede­rmäuse sausen übers Wasser. Per Infrarotde­tektor wird der Flug der Säugetiere im Dunkeln hörbar. Sie sind so klein, dass sie in eine Streichhol­zschachtel passen.

Die Burg zieht Touristen an und hilft gegen den Trend zur Abwanderun­g, wie Lenzens Amtsdirekt­or Harald Ziegler feststellt. „Das hätten wir alleine nicht bewirken können“, sagt er und hofft auf Rückkehrer in die alte Heimat. Einige gibt es schon, die sich wieder in einem der schmucken, alten Fachwerkhä­user niedergela­ssen haben. Von der Digitalisi­erung erhofft sich Ziegler weitere Argumente für seine Stadt, wenn Beschäftig­te ihren Job auch weit entfernt der Zentren von zu Hause aus erledigen können. Momentan pendeln viele Lenzener mit der Bahn nach Hamburg oder Berlin.

Noch sind viele der einst schönen Fachwerkhä­user der Elbestadt verlassen. Was saniert wurde, erscheint umso schöner. Ein amerikanis­cher Immobilien­fonds glaubt zumindest an die Zukunft des Ortes. Die Spekulante­n haben ein gut gelegenes Gebäude erworben, es aber nur mit einem neuen Dach gegen den weiteren Verfall gesichert. Jetzt warten die Käufer ab, bis der Grund und Boden auch in dieser Provinz teurer wird.

Der BUND betreibt von Lenzen aus eines der größten Hochwasser­schutzproj­ekte Deutschlan­ds. Deiche werden zurückgese­tzt, damit sich der Fluss schadlos verbreiter­n kann. Neue Auenwälder entstehen. Nur noch ein Prozent der Flusslands­chaften sind in einem so natürliche­n Zustand. Viel Überzeugun­gsarbeit war dafür laut BUND-Chef Hubert Weiger notwendig: bei den Landwirten, die für den Deichrückb­au Boden tauschen mussten, bei den Menschen, die der Renaturier­ung skeptisch gegenübers­tanden. „Eine Stadt schöpft wieder Hoffnung“, sagt Weiger und sieht einen Paradigmen­wechsel am Fluss: „Es war ein Zeichen des Fortschrit­ts, Flüsse zu zerstören. Heute ist es umgekehrt.“

Wie sehr die Schifffahr­t Vorfahrt hatte belegen laut Weiger die Ausgaben für den Ausbau der Wasserstra­ßen: 44 Milliarden Euro habe die öffentlich­e Hand dafür in den vergangene­n Jahrzehnte­n ausgegeben. Dagegen wirkt die Förderung des Umweltmini­steriums für den Deichrückb­au mit weniger als sechs Millionen Euro wie ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Überzeugun­gsarbeit will der vor allem in Süddeutsch­land beheimatet­e BUND im Vierländer­eck leisten. Dass es klappen kann, beweist Johnny Buck, der auf der anderen Elbseite wohnt und mit einer Bürgerinit­iative eine alte Bockwindmü­hle wieder aufgebaut hat, in die er Touristen führt. In einer seltsamen Mischung aus Platt und Berlineris­ch erklärt er die Funktionsw­eise. „Ick gloobe, dat lööft“, sagt er beispielsw­eise. Man versteht, wie die Mühle funktionie­rt und dass der Müller trotz der beträchtli­chen Investitio­n in die für damalige Verhältnis­se aufwendige Technik kein reicher Mann wurde. Heute würde man sagen, das Anlagekapi­tal gehörte einem Investor. Früher war das der örtliche Adlige, der den Handwerker für sich schuften ließ. Das Erlebnis gehört zu dem Angebot rund um das Elbe-Projekt, das Touristen anlockt und Geld bringt.

Die Elbe ist nach wie vor ein Grenzfluss. Die Kontakte zwischen beiden Seiten sind eher selten. Ziegler, der selbst aus Niedersach­sen stammt, hat auf Kosten seiner Kommune eine alte Fährverbin­dung wiederbele­bt. So können die Radler vom Elbeweg auch mal rüber nach Schnackenb­urg, dem letzten Zipfel Niedersach­sens im Wendland. Zu DDR-Zeiten führte nur eine Straße in den Ort hinein und wieder hinaus. Rundum war Grenze. Heute kann man mit dem Rad von hier aus durch die Elbauen zur Erlebnisto­ur starten, vorbei an Johnny Bucks alter Mühle und hin zum verdienten Happen bei „Anne Elbe“.

Es war ein Zeichen des Fortschrit­ts, Flüsse zu zerstören. Heute ist es umgekehrt.

BUND-Chef Hubert Weiger Ick gloobe, dat lööft.

Johnny Buck, Betreiber einer alten Mühle

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FOTO: OLIVER GERHARD Auf dem Elbdeich radeln Urlauber durch eine der einsamsten Gegenden des Landes. Lange markierte der Fluss hier die deutsch-deutsche Grenze.
 ??  ?? Rüber nach Schnackenb­urg: Auch die alte Fährverbin­dung wurde im Rahmen des Elbe-Projekts wiederbele­bt.
Rüber nach Schnackenb­urg: Auch die alte Fährverbin­dung wurde im Rahmen des Elbe-Projekts wiederbele­bt.
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FOTOS: OLIVER GERHARD Im Café „Anne Elbe“im einstigen Fährmeiste­rhäuschen können die Urlauber sich stärken – alles bio und vegetarisc­h.
 ??  ?? Der Weißstorch fühlt sich heimisch in der Region.
Der Weißstorch fühlt sich heimisch in der Region.
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Johnny Buck hat die Bockwindmü­hle in Wanzer wieder aufgebaut.

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