Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Den sozialen Abstieg vermeiden
Unterstützung für Menschen mit Mietschulden - Vor allem Scheidungen bereiten Sorgen
LANDKREIS NEU-ULM - Früher musste Laura Huber* sich nie Sorgen ums Geld machen. Sie lebte mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einer großen Wohnung mit Garten. Wenn die Kinder Schuhe brauchten oder die Waschmaschine kaputt ging, kaufte sie ein. Dieses Leben erscheint ihr mittlerweile weit weg.
Alles begann damit, dass Laura Hubers Mann sich von ihr trennte. Er zog aus der gemeinsamen Wohnung aus, die Kinder blieben bei der Mutter. Neben dem Vater verabschiedete sich so auch das regelmäßige Einkommen der Familie. Plötzlich war die Wohnung zu groß – und vor allem viel zu teuer. Laura Huber arbeitete noch nicht wieder, da die Kinder noch klein sind. Die zuvor unabhängige Frau wusste nicht mehr, wie sie die Miete bezahlen sollte.
Solche Fälle kennen Anja Hellmert und Susanne Deininger zur Genüge. Die beiden Frauen arbeiten für die Diakonie und die Caritas in einer Beratungsstelle, die speziell auf eines ausgerichtet ist: Wohnraumprävention. Also Menschen so zu unterstützen, dass sie in ihrer Wohnung bleiben können. Sie sagen: „Es kann schnell gehen von der guten Mittelschicht zu Hartz IV.“Beispielsweise bei einem Niedriglohn und zwei Kindern – das Geld reiche da gerade so aus. Wenn dann mal was passiert, ist man in dem Kreislauf drin: Immer mehr Schulden anhäufen, bis die Miete nicht mehr bezahlt werden kann.
Kündigung, chronische Krankheit oder Trennung sind bedrohlich
Der drohende Verlust der vier Wände kann mehrere Ursachen haben, sagen die beiden. Eine plötzliche Kündigung, eine chronische Krankheit – oder eben eine Trennung. Die Zahl der Fälle war im vergangenen Jahr auffällig hoch. Das macht den Expertinnen Sorgen, denn es sei schwer, als Alleinerziehender eine günstige Wohnung zu finden.
Der Hauptgrund für einen drohenden Verlust des Zuhauses sind Mietschulden. Und da sprechen die Beraterinnen nicht von ein paar Hundert Euro. „Das geht oft in die Tausenden, bis jemand mal Hilfe sucht“, sagt Susanne Deininger. Sie versucht dann, zwischen Mieter und Vermieter zu vermitteln, denn die Erfahrung zeigt: Oft reichen schon Gespräche. „Teilweise können Ratenzahlungen vereinbart werden, um die Schulden abzubauen.“Aber das funktioniere natürlich leichter, wenn man früh von den Zahlungsschwierigkeiten wisse. Manchmal ist es auch zu spät. Dann müssen Mieter raus aus der Wohnung und sind im schlimmsten Fall obdachlos. Dies wollen die beiden Expertinnen unbedingt vermeiden – vor allem weil es in der Region kaum günstigen, freien Wohnraum gebe. „Die letzten 20 bis 30 Jahre wurde viel zu wenig gebaut, deswegen wird es schon für Mieter mit durchschnittlichem Verdienst schwer, im Landkreis etwas zu finden“, sagt Susanne Deininger. „Ich hoffe, dass es langsam besser wird – momentan ist es wirklich hart.“
Das kostenlose Angebot der Wohnraumprävention gilt auch für Vermieter, betont Anja Hellmert. „Wenn jemand das Gefühl hat, sein Mieter hat finanzielle Probleme, kann er sich melden – am besten gleich, wenn die erste Miete nicht vollständig kommt.“Man nehme Kontakt zum Mieter auf, meistens stünden diese der Hilfe positiv gegenüber. „Wir machen auch Hausbesuche, falls jemand auf dem Land kein Auto hat.“Im vergangenen Jahr nutzten rund 400 Leute das Präventionsangebot, die Hälfte kamen aus Neu-Ulm. Aber auch Senden ist mit etwa 80 Fällen vorne dabei. Generell seien die Städte stärker betroffen.
Hellmert sagt, dass die Finanzmisere sich oft schon mit wenig Hilfe bessern lasse. Manche brauchen nur einen Tipp, manche eine Begleitung, etwa zum Jobcenter. Die Expertinnen haben die Erfahrung gemacht, dass viele mit den Formularen der Behörden überfordert sind – und sie einfach ignorieren. Oder sie stellen keinen Antrag auf Krankengeld oder Ähnliches – sei es aus Unwissenheit, Scham oder Angst vor einem Behördengang. „Wir wollen das Leben so stabilisieren, dass es wieder läuft“, sagt Hellmert. Susanne Deiniger sagt, die Fälle werden komplexer. Die Hilfesuchenden haben viele Probleme gleichzeitig: durch Arbeitslosigkeit und finanzielle Sorgen kommen teilweise psychische Probleme oder eine Alkoholsucht dazu. „Das nimmt natürlich mehr Zeit in Anspruch.“
Es ist immer extreme Not, die die Beraterinnen antreffen. „Wenn jemand seine Wohnung verliert, dann geht es wirklich an die Existenz“, sagt Deininger. Und es ist nie nur die Wohnung. Wenn es mal so weit kommt, haben die Leute meistens schon Schlimmes hinter sich. Dann kommen Fragen wie „Wie geht mein Leben insgesamt weiter?“„Wir sind auch soziale Ansprechpartner“, sagt Deininger.
Ein Jahr bis zur neuen Wohnung
Die beiden Frauen betonen, dass sie keine Wohnung vermitteln. „Wir können nur beraten.“Etwa mit Tipps, wie einem Wohnberechtigungsschein oder einer Liste mit Wohnbaugesellschaften, bei denen sich Betroffenen auf eine Liste schreiben können. Erfahrungsgemäß dauere es ein Jahr, bis eine neue Wohnung gefunden ist.
Besonders geht es Hellmert und Deininger zu Herzen, wenn jemand viel arbeitet und trotzdem am Existenzminimum lebt – und dann seine Wohnung verliert, in der er schon lange lebt, weil sie nach einer Sanierung zu teuer wird. Viele schämten sich, eine Aufstockung zum Gehalt zu beantragen – das soll sich nach dem Wunsch der Beraterinnen jedoch schnell ändern.