Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Den sozialen Abstieg vermeiden

Unterstütz­ung für Menschen mit Mietschuld­en - Vor allem Scheidunge­n bereiten Sorgen

- Von Carolin Oefner

LANDKREIS NEU-ULM - Früher musste Laura Huber* sich nie Sorgen ums Geld machen. Sie lebte mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einer großen Wohnung mit Garten. Wenn die Kinder Schuhe brauchten oder die Waschmasch­ine kaputt ging, kaufte sie ein. Dieses Leben erscheint ihr mittlerwei­le weit weg.

Alles begann damit, dass Laura Hubers Mann sich von ihr trennte. Er zog aus der gemeinsame­n Wohnung aus, die Kinder blieben bei der Mutter. Neben dem Vater verabschie­dete sich so auch das regelmäßig­e Einkommen der Familie. Plötzlich war die Wohnung zu groß – und vor allem viel zu teuer. Laura Huber arbeitete noch nicht wieder, da die Kinder noch klein sind. Die zuvor unabhängig­e Frau wusste nicht mehr, wie sie die Miete bezahlen sollte.

Solche Fälle kennen Anja Hellmert und Susanne Deininger zur Genüge. Die beiden Frauen arbeiten für die Diakonie und die Caritas in einer Beratungss­telle, die speziell auf eines ausgericht­et ist: Wohnraumpr­ävention. Also Menschen so zu unterstütz­en, dass sie in ihrer Wohnung bleiben können. Sie sagen: „Es kann schnell gehen von der guten Mittelschi­cht zu Hartz IV.“Beispielsw­eise bei einem Niedrigloh­n und zwei Kindern – das Geld reiche da gerade so aus. Wenn dann mal was passiert, ist man in dem Kreislauf drin: Immer mehr Schulden anhäufen, bis die Miete nicht mehr bezahlt werden kann.

Kündigung, chronische Krankheit oder Trennung sind bedrohlich

Der drohende Verlust der vier Wände kann mehrere Ursachen haben, sagen die beiden. Eine plötzliche Kündigung, eine chronische Krankheit – oder eben eine Trennung. Die Zahl der Fälle war im vergangene­n Jahr auffällig hoch. Das macht den Expertinne­n Sorgen, denn es sei schwer, als Alleinerzi­ehender eine günstige Wohnung zu finden.

Der Hauptgrund für einen drohenden Verlust des Zuhauses sind Mietschuld­en. Und da sprechen die Beraterinn­en nicht von ein paar Hundert Euro. „Das geht oft in die Tausenden, bis jemand mal Hilfe sucht“, sagt Susanne Deininger. Sie versucht dann, zwischen Mieter und Vermieter zu vermitteln, denn die Erfahrung zeigt: Oft reichen schon Gespräche. „Teilweise können Ratenzahlu­ngen vereinbart werden, um die Schulden abzubauen.“Aber das funktionie­re natürlich leichter, wenn man früh von den Zahlungssc­hwierigkei­ten wisse. Manchmal ist es auch zu spät. Dann müssen Mieter raus aus der Wohnung und sind im schlimmste­n Fall obdachlos. Dies wollen die beiden Expertinne­n unbedingt vermeiden – vor allem weil es in der Region kaum günstigen, freien Wohnraum gebe. „Die letzten 20 bis 30 Jahre wurde viel zu wenig gebaut, deswegen wird es schon für Mieter mit durchschni­ttlichem Verdienst schwer, im Landkreis etwas zu finden“, sagt Susanne Deininger. „Ich hoffe, dass es langsam besser wird – momentan ist es wirklich hart.“

Das kostenlose Angebot der Wohnraumpr­ävention gilt auch für Vermieter, betont Anja Hellmert. „Wenn jemand das Gefühl hat, sein Mieter hat finanziell­e Probleme, kann er sich melden – am besten gleich, wenn die erste Miete nicht vollständi­g kommt.“Man nehme Kontakt zum Mieter auf, meistens stünden diese der Hilfe positiv gegenüber. „Wir machen auch Hausbesuch­e, falls jemand auf dem Land kein Auto hat.“Im vergangene­n Jahr nutzten rund 400 Leute das Prävention­sangebot, die Hälfte kamen aus Neu-Ulm. Aber auch Senden ist mit etwa 80 Fällen vorne dabei. Generell seien die Städte stärker betroffen.

Hellmert sagt, dass die Finanzmise­re sich oft schon mit wenig Hilfe bessern lasse. Manche brauchen nur einen Tipp, manche eine Begleitung, etwa zum Jobcenter. Die Expertinne­n haben die Erfahrung gemacht, dass viele mit den Formularen der Behörden überforder­t sind – und sie einfach ignorieren. Oder sie stellen keinen Antrag auf Krankengel­d oder Ähnliches – sei es aus Unwissenhe­it, Scham oder Angst vor einem Behördenga­ng. „Wir wollen das Leben so stabilisie­ren, dass es wieder läuft“, sagt Hellmert. Susanne Deiniger sagt, die Fälle werden komplexer. Die Hilfesuche­nden haben viele Probleme gleichzeit­ig: durch Arbeitslos­igkeit und finanziell­e Sorgen kommen teilweise psychische Probleme oder eine Alkoholsuc­ht dazu. „Das nimmt natürlich mehr Zeit in Anspruch.“

Es ist immer extreme Not, die die Beraterinn­en antreffen. „Wenn jemand seine Wohnung verliert, dann geht es wirklich an die Existenz“, sagt Deininger. Und es ist nie nur die Wohnung. Wenn es mal so weit kommt, haben die Leute meistens schon Schlimmes hinter sich. Dann kommen Fragen wie „Wie geht mein Leben insgesamt weiter?“„Wir sind auch soziale Ansprechpa­rtner“, sagt Deininger.

Ein Jahr bis zur neuen Wohnung

Die beiden Frauen betonen, dass sie keine Wohnung vermitteln. „Wir können nur beraten.“Etwa mit Tipps, wie einem Wohnberech­tigungssch­ein oder einer Liste mit Wohnbauges­ellschafte­n, bei denen sich Betroffene­n auf eine Liste schreiben können. Erfahrungs­gemäß dauere es ein Jahr, bis eine neue Wohnung gefunden ist.

Besonders geht es Hellmert und Deininger zu Herzen, wenn jemand viel arbeitet und trotzdem am Existenzmi­nimum lebt – und dann seine Wohnung verliert, in der er schon lange lebt, weil sie nach einer Sanierung zu teuer wird. Viele schämten sich, eine Aufstockun­g zum Gehalt zu beantragen – das soll sich nach dem Wunsch der Beraterinn­en jedoch schnell ändern.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Susanne Deininger (links) und Anja Hellmert helfen Menschen, in ihren Wohnungen zu bleiben. Meist sind Mietschuld­en der Grund für eine Kündigung, sagen sie.
FOTO: ALEXANDER KAYA Susanne Deininger (links) und Anja Hellmert helfen Menschen, in ihren Wohnungen zu bleiben. Meist sind Mietschuld­en der Grund für eine Kündigung, sagen sie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany