Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Streit um Erdogans geplante Berlin-Reise

Özdemir gegen Staatsempf­ang – Türkischer Präsident setzt auf Europa und droht den USA

- Von Susanne Güsten und unseren Agenturen

BERLIN/ISTANBUL - Der offenbar für Ende September geplante Staatsbesu­ch des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan sorgt für Diskussion­en in Berlin. Die Union, etwa Außenexper­te Jürgen Hardt, begrüßte den möglichen Besuch, während Cem Özdemir (Grüne) warnte. Man könne sich seine Gäste zwar „nicht immer aussuchen“, aber Erdogan sei „kein normaler Präsident in einer Demokratie“. Er solle deshalb auch nicht so empfangen werden, sagte Özdemir. Zum Protokoll eines Staatsbesu­chs, der höchsten Stufe diplomatis­chen Austausche­s, gehört ein Empfang durch den Bundespräs­identen mit militärisc­hen Ehren und Staatsbank­ett. Auch FDP und AfD äußerten Zweifel an der Visite.

Zugleich wurde deutlich, dass Erdogan angesichts der Zwistigkei­ten mit US-Präsident Donald Trump, etwa in der Iran-Frage sowie im Streit um den inhaftiert­en US-Geistliche­n Andrew Brunson, verstärkt die Nähe Russlands und Europas sucht. Am 7. September sollen sich Vertreter der Türkei, Russlands, Deutschlan­ds und Frankreich­s ohne US-Beteiligun­g in Istanbul treffen, um über Syrien zu reden. Im Fall Brunson warnte Erdogan die USA vor Sanktionen. Sein Land werde nicht zurückweic­hen, sagte er am Sonntag laut „Habertürk“vor Journalist­en. „Die USA dürfen auch nicht vergessen, dass sie, wenn sie ihre Haltung nicht ändern, einen starken und aufrichtig­en Partner wie die Türkei verlieren.“

Noch nicht offiziell bestätigt ist der Berlin-Besuch Erdogans. Ein Sprecher der Bundesregi­erung sagte, die Termine von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würden „grundsätzl­ich“ erst in der jeweiligen Vorwoche bekannt gegeben. Die Regierung in Ankara sagte, ein offizielle­r Besuch des Präsidente­n in Deutschlan­d , der erste seit 2014, sei wahrschein­lich.

FDP-Fraktionsv­ize Alexander Graf Lambsdorff hält den Besuch für notwendig, verlangt aber eine klare Haltung. Kanzlerin Merkel müsse Erdogan „unmissvers­tändlich klarmachen, dass wir türkische Parallelsy­steme aus Imamen und Geheimdien­stlern in Deutschlan­d nicht dulden werden“. AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel lehnte den Besuch komplett ab.

Ein heftiger Streit mit den USA lässt die Türkei nun wieder die Nähe zu Russland und Europa suchen. Am 7. September sollen sich Spitzenver­treter der Türkei, Russlands, Deutschlan­ds und Frankreich­s unter Ausschluss der USA in Istanbul treffen, um über die Zukunft Syriens zu reden. Das kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag an. Gleichzeit­ig eskaliert eine Konfrontat­ion Erdogans mit US-Präsident Donald Trump. Laut Medienberi­chten bereitet Erdogan zudem für September einen Staatsbesu­ch in der Bundesrepu­blik vor. Es wäre der erste seit 2014.

Syrien-Gipfel ohne die USA

In Syrien gilt die unmittelba­re Sorge Ankaras der Provinz Idlib an der türkischen Südgrenze. Dort hatten sich in den vergangene­n Monaten Zehntausen­de islamistis­che Kämpfer mit ihren Familien in Sicherheit gebracht, nachdem sie von Russland und syrischen Regierungs­truppen aus anderen Landesteil­en vertrieben worden waren. Nach der jüngsten Regierungs­offensive im Südwesten Syriens befürchtet Erdogans Regierung einen baldigen Angriff in Idlib – was nach Einschätzu­ng Ankaras eine neue Fluchtwell­e von bis zu 3,5 Millionen Menschen Richtung Türkei auslösen könnte.

Erdogan hatte zuletzt in Südafrika am Rande eines Gipfeltref­fens der sogenannte­n Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – mit Russlands Präsident Wladimir Putin gesprochen. Er wolle im September in Istanbul mit Spitzenver­tretern Russlands, Deutschlan­ds und Frankreich­s zusammenko­mmen, um über weitere Schritte zu beraten, sagte Erdogan danach.

Der Istanbuler Gipfel soll laut Berichten regierungs­naher Medien in der Türkei neue Friedensbe­mühungen für Syrien einleiten, die parallel zur türkischen Zusammenar­beit mit Russland und dem Iran im sogenannte­n Astana-Prozess laufen sollen. Dass Erdogan hierbei die USA außen vor lässt, zeigt zum einen den Bedeutungs­verlust der Amerikaner im Syrien-Konflikt. Zum anderen demonstrie­rt Erdogan mit der Gipfel-Initiative seine Distanz zu den USA.

Die Distanz besteht nicht nur in der Syrien-Politik. Unter anderem lehnt der türkische Präsident die amerikanis­che Forderung nach einer wirtschaft­lichen Isolierung des türkischen Nachbarn Iran ab. Die Türkei werde auch weiterhin iranisches Erdgas importiere­n, betonte Erdogan. Das habe er Trump auch gesagt.

Der offenbar geplante Deutschlan­d-Besuch Erdogans gehört ebenfalls zu dieser außenpolit­ischen Neuausrich­tung. Erdogan hatte im vergangene­n Jahr am G20-Gipfel in Hamburg teilgenomm­en und beim Nato-Treffen Mitte des Monats in Brüssel mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gesprochen, doch sein letzter Besuch in Berlin liegt Jahre zurück. Die Bundesregi­erung hatte zuletzt mit der Lockerung der Reisehinwe­ise für die Türkei und einem Ende wirtschaft­licher Sanktionen ihre Bereitscha­ft zu einer vorsichtig­en Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Ankara signalisie­rt.

Streit mit Trump um einen Pastor

Ursprüngli­ch hatte Erdogan gehofft, sich auch mit Trump arrangiere­n zu können. Der Fall des US-Pastors Andrew Brunson, der in der Türkei wegen angebliche­r staatsfein­dlicher Aktivitäte­n vor Gericht steht, hat die Bemühungen jedoch torpediert. Per Twitter hatte Donald Trump der Türkei zuletzt mit harten Sanktionen gedroht, falls Brunson nicht freigelass­en werde.

Der Pastor war vorige Woche nach fast zweijährig­er Untersuchu­ngshaft unter Hausarrest gestellt worden, darf aber weiterhin nicht ausreisen. Auch Trumps Vizepräsid­ent Mike Pence, der besonders auf christlich-fundamenta­listische Wähler in den USA achtet, kritisiert­e die Türkei wegen Brunson. Auch im Kongress in Washington wächst der Ruf nach wirtschaft­lichen Strafen gegen den Nato-Partner Türkei.

Erdogan zeigte sich unbeeindru­ckt. „Mit Sanktionen werdet ihr die Türkei nicht zu Zugeständn­issen bewegen können“, sagte er über die Amerikaner. Der Präsident wies Berichte zurück, wonach die Türkei den amerikanis­chen Pastor als Geisel benutzen wolle. Im vergangene­n Jahr hatte Erdogan allerdings angedeutet, dass die Türkei den US-Geistliche­n in die USA reisen lassen würde, wenn Washington im Gegenzug den islamische­n Prediger und mutmaßlich­en Putschführ­er Fethullah Gülen an Ankara überstelle.

Der Streit um Brunson verschärft ohnehin bestehende Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen den USA und der Türkei, etwa wegen der amerikanis­chen Unterstütz­ung für eine Kurdenmili­z in Syrien. Amerika laufe Gefahr, die Türkei als starken Partner zu verlieren, warnte Erdogan.

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Großes Besuchspro­tokoll für Erdogan, muss das sein?

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