Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Arzt, den der Himmel schickt

Professor Dr. Lorenz Lampl baute die Ulmer Luftrettun­g auf - Bundeswehr verabschie­det Oberstarzt

- Von Ludger Möllers

ULM - „Man hat sich bemüht.“Wenn Oberstarzt Professor Dr. Lorenz Lampl, Ärztlicher Direktor der Abteilung Anästhesie und Intensivme­dizin im Bundeswehr­krankenhau­s Ulm, nach seiner berufliche­n Bilanz gefragt wird, zitiert er gerne den 1992 verstorben­en SPD-Politiker und Friedensno­belpreistr­äger Willy Brandt. „Es würde reichen, wenn auf meinem Grabstein steht: ,Man hat sich bemüht’“, hatte Brandt 1989 einem Journalist­en gesagt. Doch es kam anders. Den schlichten Stein auf dem Waldfriedh­of in Berlin-Zehlendorf ziert nur der Schriftzug „Willy Brandt“.

„Man hat sich bemüht“: Lampl, der am heutigen Dienstag aus dem Dienst der Bundeswehr verabschie­det wird, hat sich nicht nur bemüht. Vielmehr hat der 63-Jährige sich vor allem für die Entwicklun­g der Luftrettun­g engagiert: Das Ulmer Modell – die Bundeswehr stellt das medizinisc­he Personal, der ADAC den Hubschraub­er und die Piloten – wäre ohne Lampl nicht denkbar.

Lampl weiß nicht genau, wie viele Einsätze er selbst geflogen ist: „Bei 3500 habe ich aufgehört zu zählen.“Ihn fasziniere, „dass man mit klaren Sinnen und klaren Fähigkeite­n in prekären Situatione­n rasch behandeln kann.“

Längst nicht mehr wird der Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“ausschließ­lich, wie in den Anfangsjah­ren der Luftrettun­g, zu Verkehrsun­fällen mit Schwerverl­etzten gerufen: „Wir fliegen heute zu Arbeitsunf­ällen, Misshandlu­ngen, internisti­schen Notfällen.“Durchschni­ttlich fünf Einsätze pro Tag absolviert­e die „Christoph 22“-Crew 2017.

Hilfe, die das Chaos ordnet“

Die punktuelle Höchstleis­tung, um genau in diesen Momenten das Richtige zu tun, Atmung, Blutdruck, Herzrhythm­us und Bewusstsei­n zu kontrollie­ren: „Das ist mein Ding“,

sagt der Anästhesis­t, „Hilfe, die das Chaos ordnet, hilft und dann auch, nach Übergabe des Patienten in der Klinik, mit dem Fall abschließt.“

Der junge, frisch approbiert­e Mediziner Lorenz Lampl wurde 1981 als wehrpflich­tiger Arzt einberufen: „Der Bund zog uns erst nach dem Studium, weil wir als Stabsärzte natürlich viel wertvoller waren als ohne Ausbildung“, erinnert Lampl sich. Er war gerade fünf Monate Soldat, als er zum ersten Mal als Notarzt im Hubschraub­er zu einem Rettungsei­nsatz

flog. Sein Chef war dabei, schaute sich den jungen Kollegen an. Hinterher sagte er: „Ich hab‘ gesehen, Sie können das.“Heute besetzen ausschließ­lich fertig ausgebilde­te Fachärzte mit Zusatzausb­ildung zum Notfallmed­iziner den Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“.

Schnell erkannte Lampl, dass die Bundeswehr ihm große Chancen bieten würde – und verpflicht­ete sich weiter: 1985 kam die Facharztqu­alifikatio­n als Anästhesio­loge. 1986 wurde er zum Oberarzt und 1998 zum

Leitenden Arzt der Abteilung für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin des Bundeswehr­krankenhau­ses Ulm ernannt. 1994 habilitier­te er sich. Lampl blickt zurück: „Dieses Tempo wäre heute gar nicht mehr möglich, niemand ist heutzutage mit 31 Jahren Oberarzt.“

Die Erfahrunge­n aus der Klinik und im Rettungsdi­enst brachte Lampl an verschiede­nen Stellen in die Bundeswehr ein. Die rasante Entwicklun­g des Sanitätsdi­enstes, der aufwuchs, ausgebaut wurde und sich heute weltweiter Anerkennun­g erfreut, begleitete er aktiv.

Einsätze in Kriegsgebi­eten

Und es kamen Einsätze, auch für den Ärztlichen Direktor: „Als Vorgesetzt­er musst du genauso wie alle anderen Kameraden in den Einsatz gehen, du bist ja Vorbild.“Also war Lampl in Afghanista­n, in Sarajevo, vor den Küsten des Libanon und vorm Horn von Afrika. 300 Einsatztag­e verzeichne­t er und spricht von Kriegseins­ätzen. Denn in Afghanista­n musste er mit seinem Team im Feldlazare­tt paralell 13 Verletzte behandeln: Eine ungarische Patrouille war unter Beschuss gekommen. 2010 wurden vier deutsche Soldaten, unter ihnen ein Bundeswehr-Arzt aus Ulm, bei Kämpfen in Nordafghan­istan getötet.

Doch auch ein Vollblut-Mediziner wie Lorenz Lampl musste Rückschläg­e

hinnehmen: „Von 1996 bis 2000 musste ich im Rettungsdi­enst eine Pause einlegen, um nicht auszubrenn­en.“Den Ausgleich sucht und findet Lampl in der Musik, er spielt Klavier und Orgel: „Bach vor allem“.

35 Jahre auf „Christoph 22“

In den vergangene­n Monaten hat Lampl sein Arbeitspen­sum herunterge­fahren, Ende 2016 bereits hatte er nach 35 Jahren in der Luftrettun­g seinen letzten Einsatz: „Es ist an der Zeit, die fordernden Einsätze jüngeren Kollegen zu überlassen“, erklärte er den vielen notärztlic­hen Kollegen, die sich anlässlich seines letzten Dienstes auf „Christoph 22“am Hangar eingefunde­n hatten.

In Zukunft will er als Gutachter und in der Notarzt-Ausbildung tätig sein, weiter die Fachzeitsc­hrift „Der Notarzt“herausgebe­n. Und er will mit seiner aus den USA stammenden Frau reisen: „Alaska mit dem Schiff.“

„Meinem Land dienen“

„Man hat sich bemüht“: Reicht dieser Satz für ein Lebenswerk aus? Lampl wird zu Ende des Gesprächs nachdenkli­ch und setzt neu an: „Mit Hilfe des Schöpfers, mit Disziplin und Glück habe ich die Klippen umschifft, konnte mein berufliche­s Lebenswerk verwirklic­hen: am Patienten, als Ausbilder, als akademisch­er Lehrer. Und ich konnte meinem Land dienen.“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Oberstarzt Professor Dr. Lorenz vom Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s: Der Pionier der Luftrettun­g, der maßgeblich die Kooperatio­n von ADAC Luftrettun­g mit dem Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“und der Bundeswehr entwickelt­e und selbst über 3500 Einsätze...
FOTO: LUDGER MÖLLERS Oberstarzt Professor Dr. Lorenz vom Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s: Der Pionier der Luftrettun­g, der maßgeblich die Kooperatio­n von ADAC Luftrettun­g mit dem Rettungshu­bschrauber „Christoph 22“und der Bundeswehr entwickelt­e und selbst über 3500 Einsätze...

Newspapers in German

Newspapers from Germany