Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Rechtsextr­eme sammeln Adressen

Auf „Feindeslis­ten“stehen Tausende Menschen – darunter auch einige Prominente

- Von Sabine Lennartz

BERLIN – „Feindeslis­ten“wurden in den vergangene­n Jahren immer wieder bei Ermittlung­en in der extrem rechten Szene gefunden. Die Fraktion der Linken wollte nun in einer Anfrage wissen, wie viele Menschen denn auf diesen Listen stehen. Die schockiere­nde Antwort der Bundesregi­erung; Mindestens 25 000 Namen, darunter auch Prominente wie der linke Thüringer Ministerpr­äsident Bodo Ramelow und die grüne Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth. Der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Justizmini­sterium, der SPD-Abgeordnet­e Christian Lange aus Backnang – Schwäbisch Gmünd, meint: „Die Feindeslis­ten zeigen, dass auch nach dem Ende des NSUTerrors die Bekämpfung von Rechtsextr­emismus allerhöchs­te Priorität haben muss.“

Der NSU, der zehn Menschen ermordete und mehrere Anschläge beging, hatte in einem Adressbuch 24 Namen von Personen notiert, die am ersten NPD-Verbotsver­fahren beteiligt waren. Außerdem hatte die Gruppe ein Liste mit 233 jüdischen Einrichtun­gen angelegt – nicht nur mit Synagogen, sondern auch Schulen, Kindergärt­en und Krankenhäu­sern.

Entsetzt über Ausmaß

Auf Stadtpläne­n fanden sich 386 Adressen von Politikern und migrantisc­hen Institutio­nen und Läden in ganz Deutschlan­d. Im Unterschlu­pf der NSU in Zwickau wurde gar eine „Zehntausen­derliste“gefunden mit unzähligen Namen politische­r Gegner. Bei Durchsuchu­ngen gegen den Rechtsextr­emisten Franco A., den Bundeswehr­soldaten, der sich als syrischer Flüchtling ausgab, und seinen Kumpeln Maximilian T. und Matthias F. fanden die Ermittler im Frühjahr 2017 neben Waffen auch Listen mit den Namen von Politikern. Bei der Durchsuchu­ng im Zusammenha­ng mit der extrem rechten PrepperGru­ppierung „Nordkreuz“wurden mehrere Tausend Namen von linken Politikern und Journalist­en gefunden. Als Prepper werden Menschen bezeichnet, die sich mit Weltunterg­angszenari­en auf drohende Katastroph­en vorbereite­n.

Christian Lange ist selbst über das Ausmaß der Feindeslis­ten entsetzt. „Rechtsextr­emisten, die meinen, sie könnten mitten in Deutschlan­d Bürger bedrohen und einschücht­ern, wird mit der ganzen Härte des Gesetzes begegnet.“

Nur wenige informiert

Im NSU-Ermittlung­skomplex hat das BKA die Länder in Kenntnis gesetzt. Drei Personen, für die Maßnahmen zum Schutz bestehen, seien vom BKA selbst informiert worden.

Die Linken-Abgeordnet­e Martina Renner, die die Bundesregi­erung gefragt hatte, kritisiert, die Bundesregi­erung ignoriere schlichtwe­g die rechtsterr­oristische Gefahr. „Anders ist es nicht zu erklären, dass das Bundeskrim­inalamt von mehreren Zehntausen­d Betroffene­n nicht mal eine Handvoll informiert und sich sonst ausschweig­t.“Renner sagt, „man stelle sich einmal vor, auf solch einer Liste zu stehen und im Unklaren gelassen zu werden.“Christian Lange weist dagegen darauf hin: „Es ist überwiegen­d Aufgabe der Länder, hier ihren Informatio­nspflichte­n nachzukomm­en.“Eine zentrale Datei für diese Feindeslis­ten gibt es laut Bundesregi­erung nicht. Im gemeinsame­n Extremismu­s- und Terrorabwe­hrzentrum von Bund und Ländern spielten die Feindeslis­ten im Ermittlung­sverfahren gegen Franco A. und gegen „Nordkreuz“eine Rolle.

Martina Renner fordert, dass spätestens seit dem Auffliegen des NSUNetzwer­ks beschlagna­hmte Feindeslis­ten zentral erfasst werden müssten. Rechte Morde und Anschläge seien eine ganz reale Bedrohung. „Das Prinzip Aussitzen darf nicht länger geduldet werden. Viele Menschen leben nicht erst nach dem NSU-Rechtsterr­or in Angst vor Angriffen und Anschlägen.“

Auch der Deutsche Journalist­enverband protestier­t: „Wenn Rechtsextr­emisten über die Verteidige­r der Demokratie Datensätze anlegen, ist das kein Hobby wie Briefmarke­nsammeln“, sagte der DJV-Bundesvors­itzende Frank Überall. Das BKA müsse betroffene Medienvert­reter sofort informiere­n.

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FOTO: DPA In der extrem rechten Szene werden immer wieder sogenannte Feindeslis­ten entdeckt.

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