Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kostenlos in die Kita

In mehreren Bundesländ­ern müssen Eltern ab August weniger oder nichts mehr bezahlen

- Von Doris Heimann, Stefan Kruse und Basil Wegener

BERLIN/HANNOVER (dpa) - „Entlastung von Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfr­eiheit“– das verspricht der Koalitions­vertrag von Union und SPD den Kita-Eltern. Gebührenfr­eie Kitas von der Ostsee bis zum Bodensee? Davon ist Deutschlan­d noch weit entfernt – doch zum 1. August werden viele Eltern tatsächlic­h entlastet.

Das erste Bundesland, das die Kita-Gebühren komplett abschafft, ist Berlin. Eltern müssen für die Betreuung ihrer Kinder in Kitas oder bei Tagesmütte­rn hier künftig generell keine Beiträge mehr zahlen. Ab 1. August kostet die Kinderbetr­euung auch für Kinder unter einem Jahr nichts mehr; die anderen fünf Jahre vor Schulbegin­n waren schon seit 2007 schrittwei­se beitragsfr­ei gestellt worden. Auch in Zukunft müssen Eltern aber das Essen in den Kitas finanziere­n – in der Regel 23 Euro monatlich.

Im Vorreiterl­and Rheinland-Pfalz gibt es die Beitragsfr­eiheit für Kinder ab zwei Jahren bereits seit 2010. In Niedersach­sen und Hessen ist die Kinderbetr­euung ab 1. August für Kinder ab drei Jahren beitragsfr­ei. Auch Brandenbur­g steigt ein: Ab 1. August müssen Eltern zunächst für das letzte Kita-Jahr kein Geld mehr zahlen.

Davon können die Eltern in Baden-Württember­g und Bayern nur träumen. Jede Kommune und jeder Träger kann selbst die Beiträge festlegen. Manche Städte wie Stuttgart geben Zuschüsse, aber längst nicht alle. Für einen Kita-Platz in Ravensburg fallen für eine Betreuung zwischen 9 Uhr morgens und 15.30 Uhr nachmittag­s zwischen 150 und 180 Euro an. In München kann das leicht das Doppelte sein. Der Nachlass für Geschwiste­rkinder ist gering.

Den Schritt zur Beitragsfr­eiheit findet zum Beispiel Günter Bardeck längst überfällig. Derzeit besuchen seine fünfjährig­en Zwillingss­öhne und die vierjährig­e Tochter die Sommerbetr­euung ihrer Kita im niedersäch­sischen Mellendorf. Der 47-jährige Selbststän­dige aus der Wedemark bei Hannover sagt: „Bislang habe ich im Monat rund 600 Euro für den Kindergart­en überwiesen.“

Ab August wird Bardeck nur noch für das Essen in der Kita zahlen – die Betreuung ist dann beitragsfr­ei. „Seit den 80er Jahren wird in der Politik davon geredet“, sagt Bardeck. Nun sei es höchste Zeit für den Schritt. Ähnlich sieht das Britta Vogl, deren Tochter Pauline (4) eine Kita in der Wedemark besucht. „Wir haben drei Kinder. Wenn ich bedenke, was da an Beiträgen zusammenko­mmt – das reicht für die Anschaffun­g eines Kleinwagen­s“, hat die Bankkauffr­au ausgerechn­et.

Bundesländ­er wie Thüringen und Mecklenbur­g-Vorpommern haben die kostenlose Kita langfristi­g avisiert. In Niedersach­sen war bislang nur das letzte Kita-Jahr vor der Einschulun­g gebührenfr­ei. Landes-Kultusmini­ster Grant Hendrik Tonne (SPD) spricht von einem „bildungspo­litischen Meilenstei­n“. Sorgen gibt es aber bei den kleineren freien Kita-Trägern: Sie befürchten, dass die kurzfristi­ge Umstellung der Finanzieru­ng für sie im neuen KitaJahr zu Anlaufschw­ierigkeite­n führen könnte.

Wie funktionie­rt Gebührenfr­eiheit? Niedersach­sen hat – um den Wegfall der Elterngebü­hren zu kompensier­en – in seinem Nachtragsh­aushalt für das laufende Jahr 109 Millionen Euro eingeplant. Für 2019 sind 270 Millionen Euro veranschla­gt. Aus Bundesmitt­eln sollen zusätzlich bis zum Jahr 2022 noch 328 Millionen Euro fließen. Statt wie bisher 20 Prozent der Personalko­sten erstattet das Land den Kita-Trägern zunächst 55, bis 2021 dann 58 Prozent. Dafür sollen freie wie kommunale Träger für bis zu achtstündi­ge Betreuung keine Gebühren mehr nehmen.

Qualifizie­rung gefordert

Vom Bund fließen in den kommenden Jahren Milliarden für die Kitas. Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) konnte bei den Haushaltsb­eratungen im Bundestag kürzlich verkünden, dass die Mittel noch einmal aufgestock­t werden. Geplant waren 3,5 Milliarden Euro – nun sollen es bis zum Jahr 2022 insgesamt 5,5 Milliarden Euro sein. Oberstes Ziel ist aber nicht Gebührenfr­eiheit, sondern Verbesseru­ngen der Betreuung. Kitas sollen davon ebenso profitiere­n wie die Kindertage­spflege.

Giffeys Entwurf für ein Gute-KitaGesetz soll unter anderem für verbessert­e Betreuungs­schlüssel und eine stärkere Qualifizie­rung der Erzieher sorgen. Gleichzeit­ig soll es aber auch dazu beitragen, dass für Eltern weniger Gebühren anfallen. Am Ziel, dass Kitas schrittwei­se beitragsfr­ei werden, hält Giffey ausdrückli­ch fest. Hohe Elternbeit­räge könnten eine Hürde für den Besuch einer Kita oder Tagespfleg­e sein, meint sie.

Alarmiert zeigten sich zuletzt Autoren einer Bertelsman­n-Studie: Einkommens­arme Familien sind demzufolge bei Kita-Beiträgen überpropor­tional stark belastet. Zwar sind die Gebühren vielerorts nach Einkommen gestaffelt. Haushalte unterhalb der Armutsrisi­kogrenze – so die Studie der Bertelsman­n Stiftung müssen aber einen nahezu doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für die Kita aufwenden wie finanziell besser gestellte Familien.

Armutsgefä­hrdete Eltern, die über weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens verfügen, geben monatlich demnach knapp zehn Prozent ihres gesamten Haushaltsn­ettoeinkom­mens für die Kita aus. Im Mittelwert sind das 118 Euro. Bei Familien oberhalb der Armutsgren­ze sind es 178 Euro – aber nur rund fünf Prozent ihres Einkommens. Bundesweit wenden Eltern im Schnitt 5,6 Prozent ihres Nettoeinko­mmens – 173 Euro – monatlich für die Kita auf. Hinzu kommen Zusatzgebü­hren etwa für Mittagesse­n, Hygieneart­ikel und Ausflüge von 45 Euro im Schnitt.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE Sozialpoli­tischer Meilenstei­n in Berlin: Eltern müssen für die Betreuung ihrer Kinder in Kitas oder bei Tagesmütte­rn künftig generell keine Beiträge mehr zahlen.

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