Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wo Radeln verbindet
Albstadt gilt als Zweckgemeinschaft, doch Mountainbiken fördert das Miteinander
Albstadt ist ein Kunstname, und von hier oben aus betrachtet darf man sogar von einem Künstlernamen sprechen. Denn die Aussicht von den Mini-Gipfeln auf die vielen kleinen Ortsteile, die sich in die grünen Täler kuscheln, ist meist so schön, dass man als Erschaffer dahinter nicht die Natur, sondern einen Maler vermutet, der in seinem Kopf die besten Landschaftsbilder der Schwäbischen Alb gesammelt hat, um sie dann hier alle auf einer großen Leinwand zu vereinen. Geheimnisvolle Felsen ragen aus den Heideflächen, hinter dem nächsten Hügel liegen buntgetupfte Wiesen – vor allem aber die besten Abfahrten.
Unsere Gruppe jagt mit Mountainbikes über die Trails und Pisten rund um Albstadt. Wir durchleben Höhen und Tiefen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn auf jede Abfahrt folgt sofort ein Anstieg, besonders schmerzhaft ist das hier auf dem „Wadenbeißer“, der seinen Namen den unerbittlichen Steigungen verdankt. Albstadt ist der Hotspot für Mountainbiker im Südwesten Deutschlands, die einzige Stadt der Republik in der sich alljährlich die
Besten der Besten treffen und Weltcup-Rennen austragen. 2020 kommt gar die Weltmeisterschaft nach Albstadt, wo die Firma Gonso vor vier Jahrzehnten die erste echte Radhose mit Sitzpolster fertigte, die den Popo schonen sollte. Die RSG Zollern-Alb Albstadt ist nach eigenem Bekunden der drittgrößte Radsportverein in Baden-Württemberg. So wird klar, warum Mountainbiker auf eine vorbildliche Infrastruktur treffen: Es gibt einen Bikepark, in dem sich die Downhiller per Lift nach oben ziehen lassen, um danach mit glühenden Reifen ins Tal zu brettern.
Wer bereit ist, auch Muskelkraft ins Bergauffahren zu investieren, kann sich auf aktuell drei offiziellen Rundkursen austoben und auf den natürlichen Trails in Wald und Wiese, über Stock und Stein ins Abfahrtsvergnügen stürzen. Und das ist tatsächlich eine Besonderheit. Denn der echte Mountainbiker sucht die schmalen Pisten, die sich um Bäume winden. Genau das erlaubt die Gesetzeslage in Baden-Württemberg allerdings nicht. Mountainbiker schimpfen über das hinterwäldlerische Waldgesetz, das Radfahren nur auf Wegen erlaubt, die mindestens zwei Meter breit sind. Baden-Württemberg ist nach Recherchen von Mountainbike-Fachmagazinen das letzte deutsche Bundesland, das an dieser Regel festhält. Lange Anträge und umständliche Verfahren sind nötig, um Ausnahmegenehmigungen zu bekommen. Neidisch blickt die hiesige Single-Trail-Community nach Bayern, wo das eher schwammig formulierte Gesetz das Radfahren auf allen Wegen erlaubt, „die dafür geeignet sind“. Klingt nach Freifahrtschein, ist es oft auch.
Warum also gelingt es ausgerechnet den Albstädtern, Trails anzulegen und zu legalisieren, die Biker aus Stuttgart, Frankfurt oder gar Bayern anlocken? Um das zu erklären und zu verstehen, muss man tief in die jüngere Geschichte Albstadts eintauchen. Das Mountainbike ist hier seit jeher ein alltägliches Fortbewegungsmittel. Selbst Kinder ab vier oder fünf Jahren machen in Albstadt einen auf dicke Reifen. Das Mountainbike taugt sogar zur kommunalen Völkerverständigung: Albstadt besteht aus acht Orten, die sich in den 1970er-Jahren zusammengeschlossen haben, um eine einheitliche Verwaltung zu bekommen. Die Bürger selbst durften Namensvorschläge machen. Am Ende einigten sie sich auf Albstadt. Aber natürlich war man sich nicht ganz grün. Die Bewohner der einzelnen Ortsteile, die oft viele Kilometer auseinander liegen, schielten argwöhnisch zum neuen Nachbarn. So entstand die Idee, ein gemeinsames Projekt zu machen, bei dem alle zusammenarbeiten müssen. Und da bot sich in Albstadt nur eines an: ein Mountainbike-Rennen, das sich durch alle Orte schlängelt. 2018 fand der Bike-Marathon zum 24. Mal statt.
Harald Schaible ist jedes Jahr dabei. Ihm liegt das Thema Völkerverständigung besonders am Herzen, weil er vor 20 Jahren nach Onstmettingen gezogen ist und sich noch immer Frotzeleien anhören muss. „Man bleibt ein Zugezogener – auch wenn man wie ich letztlich aus derselben Stadt kommt.“Aus seiner Sicht hat das Thema Mountainbike für Toleranz, Verständnis und Umsicht gesorgt. Man akzeptiere, dass es „andere“gebe und verhalte sich nachsichtig. Als wolle Schaible, der mittlerweile Radguide ist, genau das demonstrieren, bremst er auf Schrittgeschwindigkeit ab, weil er einen Trupp Wanderer auf dem Weg entdeckt hat. Er rollt langsam vorbei und grüßt freundlich. „Das gehört bei uns dazu. Man kommt sich nicht ins Gehege.“Wenig später trifft man sich an einem Aussichtspunkt wieder. Die Wanderer überlassen den Mountainbikern die Ruhebank. „Das hier muss man genießen“, sagt einer und winkt zum Abschied.