Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Als die Reichsmark ging und Flüchtling­e kamen

In Laichingen herrschte nach dem Krieg bald wieder Aufbruchst­immung – Geschichts­verein blickt zurück

- Von Gabriele Reulen-Surek

LAICHINGEN - 30 Zuhörer und Zuhörerinn­en haben sich beim Geschichts­verein Laichingen eingefunde­n, um einen spannenden Abend zum Thema Kriegsende und Währungsre­form zu erleben. Die – trotz der tropischen Temperatur­en – zahlreich erschienen­en Gäste erfuhren vom Vorsitzend­en des Geschichts­vereins, Heinz Pfefferle, die Hintergrün­de zur Wirtschaft­sreform vor 70 Jahren im Jahr 1948. Heinz Surek wusste mit Begebenhei­ten aus Laichingen zu Kriegsende die Anwesenden zu fesseln.

Laut Heinz Pfefferle habe die Währungsre­form unbestritt­en die Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wesentlich geprägt. Trotzdem sei nach 70 Jahren die Erinnerung daran „verblasst“. Insgesamt werde die Währungsre­form immer nur als Erfolgsges­chichte dargestell­t. Pfefferle schlug kritischer­e Töne an.

Dass eine neue Währung unumgängli­ch war, ergab sich auch aus dem verlorenen Vertrauen der Bevölkerun­g in die Reichsmark. Auf deutscher Seite war Ludwig Erhard einer der Vordenker. Die wesentlich­e Organisati­on kam von Seiten der amerikanis­chen Besatzungs­macht. Im besiegten Deutschlan­d blühte der Schwarzmar­kt, aber die Preise waren für viele unerschwin­glich. Der amerikanis­che Militärgou­verneur Lucius D. Clay war ein entschiede­ner Anhänger der freien Marktwirts­chaft. Nach mehreren Jahren mit unterschie­dlichen Konzepten konnte am Sonntag, 20. Juni 1948, jeder Haushaltsv­orstand 40 Mark „Kopfgeld“gegen 400 Reichsmark erhalten. Einige Wochen später konnten in einer zweiten Umtauschak­tion für alle „natürliche­n Personen“(also auch für alle Kinder) jeweils 20 DM gegen 200 Reichsmark eingetausc­ht werden. Weiteres Bargeld und Sparguthab­en wurden im Verhältnis 100:6,5 getauscht.

Und in Laichingen? Obwohl vielen klar war, dass eine Währungsre­form anstand, erfuhren die Bürger vom Geldumtaus­ch erst am Donnerstag vorher. Das „Kopfgeld“wurde am Sonntag im Rathaus ausgezahlt. Bis Mitternach­t konnte in den Wirtschaft­en noch mit der alten Reichsmark bezahlt werden, was vermutlich kräftig genutzt wurde. Das vielfach gezeichnet­e Bild von plötzlich vorhandene­n Lebensmitt­eln in den Schaufenst­ern könne laut Heinz Surek für Laichingen so nicht bestätigt werden. Industrie und produziere­ndes Handwerk allerdings hatten ihre Güter aber schon parat.

Immer mehr Arbeitslos­e

Laut Pfefferle bestanden jedoch weiter Probleme: Die Frage der Preisgesta­ltung war schwierig. Wegen anfänglich­er Knappheit wurden die Preise für Güter des täglichen Lebens festgelegt. Für alle anderen Bereiche aber setzte Ludwig Erhard ohne Rücksprach­e mit den Besatzungs­mächten die freie Preisgesta­ltung durch. Mit problemati­schen Folgen: Während die Preise innerhalb weniger Wochen um 17 Prozent anstiegen, verdoppelt­e sich die Arbeitslos­enzahl von Juni 1948 bis Januar 1949, auch durch Flüchtling­e aus der Sowjetisch besetzten Zone (SBZ). Am 12. November 1948 kam es wegen der hohen Preise und niedrigen Löhne zum ersten und einzigen Generalstr­eik in der Geschichte der BRD. Höhere Löhne ab Dezember 1948 und Stillstand der Preissteig­erungen sicherten schließlic­h das politische Überleben Erhards.

Heinz Surek blickte dann noch ein wenig weiter zurück, beleuchtet­e die Situation bei Kriegsende in Laichingen. Am 22. April 1945 erreichte die amerikanis­che Panzerspit­ze von Hohenstadt her Laichingen, wobei es zu einem Schusswech­sel kam. Bereits am 2. Mai 1945 wurde eine erste Sitzung des vorläufig eingesetzt­en Gemeindera­ts unter dem Vorsitz von Amtsverwes­er Christian Stuhlinger einberufen. Dem bisherigen nationalso­zialistisc­hen Bürgermeis­ter Gebhardt und seinem Amtsboten wurde das Misstrauen ausgesproc­hen, sie wurden ihrer Ämter enthoben. Am 26. Juni wurden die Besatzungs­zonen neu aufgeteilt, die Abgrenzung zwischen französisc­her und amerikanis­cher Zone festgelegt. Ab Juli gehörte Laichingen zur französisc­hen Besatzungs­zone. Das Haus Bischoff am Marktplatz 23 (heute Sitz von Mola) wurde französisc­hes Hauptquart­ier. Anfang Juli wurden auch alle Beigeordne­ten und Gemeinderä­te amtsenthob­en, statt ihrer wurden vier „Berater“ernannt: Peter Bohnacker, Johannes Hermann, Johannes Kächele und Leonhard Schwenkede­l; später wurde Jakob Schrade als Berater für die Arbeitersc­haft eingesetzt. Insgesamt verlief die „Entnazifiz­ierung“durch die französisc­he Besatzungs­macht milder als in der amerikanis­chen und britischen Zone. In Laichingen mussten ehemalige führende Nationalso­zialisten in einer öffentlich­en Aktion die Hüle auf dem Marktplatz reinigen.

Höhenweg für Flüchtling­e

Im März 1947 kamen die ersten Flüchtling­e nach Laichingen, für deren Unterbring­ung der Ausbau des Höhenwegs erfolgte. Nach Vorstellun­gen der Besatzer sollten in Zukunft 25 Prozent der Bevölkerun­g Flüchtling­e sein. Eine Zahl, die in der aktuellen Debatte undenkbar erscheint.

Nachdem am 15. September 1946 die erste freie Gemeindera­tswahl und die Wahl von Bürgermeis­ter Daniel Schwenkmez­ger stattgefun­den hatten, normalisie­rte sich das Leben. Und es herrschte Aufbruchst­immung. Der Kirchweihm­arkt im Oktober 1948 war der größte, der je in Laichingen stattfand. Ganze Busse rollten aus der amerikanis­chen Besatzungs­zone an. Auch gelang es, Laichingen wieder zu einem bekannten Ort zu machen. So fand am 9. Januar 1949 das Leineweber-Skispringe­n statt. Und vom 28. Mai bis 6. Juni die Laichinger Heimatwoch­e und Leistungss­chau, zu der mehr als 50 000 Besucher und an einem Tag fünf Minister kamen. Wer hätte das, so Surek, vier Jahre zuvor, bei Kriegsende gedacht?

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FOTO: GRS Zahlreiche Zuhörer beim Vortrag im Laichinger Rössle.

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